Mietendeckel in Berlin: Angst vor der eigenen Courage
Kurz vor der Senatssitzung kommt insbesondere aus der SPD scharfe Kritik am Mietendeckel. Womöglich wird er nicht wie geplant verabschiedet.
Aus der Senatskanzlei, so ein SPD-Politiker im Gespräch mit der taz, seien am Montag Forderungen nach erneuten Prüfungen laut geworden. Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD) habe sich, so schreibt es der Tagesspiegel, Argumente zu eigen gemacht, dass der Mietenstopp den Neubauzielen der Wohnungsbaugesellschaften zuwiderlaufen würde.
Der Vorsitzende des SPD-“Fachausschusses Soziale Stadt“, Volker Härtig, habe argumentiert, dass die Gesellschaften aus den ihnen bei einem Mietenstopp entgehenden Einnahmen von 600 Millionen Euro 3.000 Wohnungen errichten könnten. Der Stadtentwicklungsexperte Andrej Holm kritisierte auf taz-Anfrage diese Rechnung. Bei bislang kalkulierten Mietsteigerungen von einem Prozent pro Jahr für die 300.000 Wohnungen der Gesellschaften summieren sich die Einnahmeverluste innerhalb von fünf Jahren auf lediglich 225 Millionen Euro.
Die zuständige Linken-Abgeordnete Gaby Gottwald sagte auf Anfrage der taz, Teile der SPD „torpedieren den Mietendeckel“. Sie kritisierte den Versuch, den Deckel mit dem Thema Neubau zu verbinden.
Kritik am Mietendeckel sei, so heißt es aus der SPD, auch von den Grünen gekommen. Einerseits habe das Haus von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop darauf bestanden, Ausnahmen für energetische Sanierungen festzuschreiben. Andererseits habe Justizsenator Dirk Behrendt die im Eckpunktepapier festgehaltene Möglichkeit kritisiert, Mieten abzusenken, falls sie eine noch zu definierende Obergrenze überschreiten.
Grünen-Mietenexpertin Katrin Schmidberger betont hingeen die Rolle der Grünen, den Angriff aus der SPD abzuwehren. Am Abend kursierte ein Entwurf, der „nicht mal ein Beschluss, sondern nur eine Kenntnisnahme der Eckdaten“ enthielt. Schmidberger sagt: „Mit der Formulierung wäre das Gesetz zur Deckelung der Mieten nicht rückwirkend wirksam auf das Datum des Beschlusses geworden“. Dies galt es zu verhindern.
Am Dienstagmorgen schien noch eine andere Option möglich: Das Gesetz könnte zumindest n Teilen beschlossen werden. Umstrittene Punkte würden zu Prüfaufträgen.
Was wird aus den Mieterhöhungen?
Alle Infos zum Mietendeckel und dem Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co enteignen" gibt es in der aktuellen Folge der Lokalrunde, dem Politik-Podcast aus Hamburg und Berlin. Dazu: Neues vom G20-Elbchaussee-Prozess.
Was das für die Gültigkeit von Mieterhöhungen bedeutet, steht noch nicht fest. Bislang wurde angenommen, dass ein Gesetz eine rückwirkende Stichtagsregelung mit dem Datum des Senatsbeschlusses enthalten wird. Alle Mieterhöhungen zu einem späteren Zeitpunkt wären damit hinfällig. Der Eigentümerverband Haus & Grund hatte Vermieter aufgerufen, bis zum Montag die Mieten zu erhöhen.
Zuletzt war eine Debatte darüber entstanden, ob die Mieterhöhungen, die in den letzten Tagen bei den Mietern eingegangen sind, erst nach Zustimmung der Mieter Gültigkeit haben oder bereits beim Eingang der Schreiben. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte nach dem Aufruf von Haus und Grund darauf verwiesen, dass Mieter bis zu drei Monate Zeit haben, einer Mieterhöhung zuzustimmen. Eine „wirksame Vereinbarung der Miethöhe“ käme bei Ausschöpfung der Frist erst nach dem Senatsbeschluss zustande und wäre laut Senat damit ungültig.
Reiner Wild vom Berliner Mieterverein widerspricht dieser Einschätzung und sagt, dass der Eingang der Mieterhöhungen als relevantes Datum gilt. Demnach gelte für alle Mieterhöhungen, die vor dem Senatsbeschluss eingehen, das alte Recht, und für alle die danach eintreffen, das neue Recht, sprich die Vorgaben des Mietendeckels.
Seit Bekanntwerden des Eckpunktepapiers war von verschiedenen Seiten Kritik an dem Entwurf laut geworden: So klagten Genossenschaften darüber, dass sie sich bei einem Mietenstopp die notwendigen Investitionen für Instandhaltung und Neubau nicht mehr leisten könnten.
Benjamin Raabe vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, der seit Ende vergangenen Jahres an der Debatte zum neuen Mietendeckel beteiligt ist, versteht die Aufregung nicht. Schließlich würden zunächst nur Eckpunkte beschlossen, der Gesetzgebungsprozess beginne damit erst. Somit sei der Mietendeckel auch weiterhin offen für die Gestaltung durch verschiedene Interessengruppen.
Auf die Vorbehalte der Genossenschaften antwortet Raabe, dass hier durchaus eine Ausnahmeregelung denkbar sei – möglicherweise eine, die Genossenschaften erlaubt, ihre Mieten bis zur noch festzulegenden, aber im Eckpunktepapier bereits erwähnten Obergrenze zu erhöhen.
Anmerkung der Redaktion: Die Passage mit Zitaten von Katrin Schmidberger wurde nachträglich ergänzt. In der ersten Version hatte eine Reaktion der Grünen auf ihre Rolle in der Debatte um die Eckpunkte gefehlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies