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Aus dem Blick verloren

Konsequent in der Kunstgeschichtsschreibung unsichtbar gemacht: Zwei Ausstellungen in Hamburg zeigen, wie künstlerische Leistungen von Frauen während 100 Jahren in Vergessenheit gerieten

Von Falk Schreiber

Wer einen Beweis dafür sucht, dass Frauen konsequent in der Kunstgeschichtsschreibung un­sichtbar gemacht werden, möge sich mit den Deutschen Werkstätten Hellerau beschäftigen. In der 1898 gegründeten Institution nämlich waren Frauen erstmals gleichberechtigte künstlerische Mitarbeiterinnen, nahmen an Ausstellungen teil, gewannen Preise, verdienten so viel wie ihre männlichen Kollegen.

Künstlerinnen wie Lilli Vetter, Lotte Frömel-Forchner und Charlotte Krause waren so maßgeblich daran beteiligt, Dresden nach der Jahrhundertwende neben München zu einem Zentrum internationaler Reformbewegung und avantgardistischen Designs zu machen. Heute sind sie nahezu unbekannt – im Gegensatz zu Künstlern wie Peter Behrens, Otto Fischer und Wilhelm Kreis, die ebenfalls Entwürfe für Hellerau lieferten.

Die Ausstellung „Gegen die Unsichtbarkeit“ versucht, diese Künstlerinnenbiografien zurück in die Wahrnehmung zu bringen, zunächst im Dresdner Kunstgewerbemuseum, jetzt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Was freilich einiges an Rechercheproblemen mit sich bringt: Zwar durften in Hellerau Frauen arbeiten, allerdings oft in weiblich konnotierten Bereichen wie Flächendekor und Textil, in denen weniger Wert auf künstlerische Autonomie gelegt wurde – die Urheberinnen der Entwürfe diffundierten schnell in die Anonymität.

Zudem änderten manche Frauen ihre Namen nach einer Heirat (dass Lilli Terstegen und Lilli Vetter dieselbe Person waren, erkannte die Forschung etwa erst vor Kurzem) und verschwanden so aus der öffentlichen Wahrnehmung. Mittlerweile sind knapp über 50 Hellerauer Designerinnen identifiziert, „Gegen die Unsichtbarkeit“ präsentiert 18 von ihnen sowie mit Hedda Reidt eine Produktfotografin.

Ein Schwerpunkt der (in Hamburg ein wenig unübersichtlich geführten) Präsentation liegt allerdings tatsächlich im Design, das nach „weiblichen“ Kategorien gelabelt ist: floral gemusterte Tapeten von Lotte Frömel-Fochler, Bündchen-Arbeiten von Charlotte Krause, Textilien von Käthe Lore Zschweigert.

Auch im Museumsbereich verschwindet die kreative Leistung von Frauen immer wieder in der Unsichtbarkeit

Von letzterer Künstlerin befanden sich immerhin zwei Entwürfe im Bestand der Neuen Sammlung München, dennoch verliert sich ihre künstlerische Biografie nach 1912. Was ein besonders drastisches Beispiel für das Verschwinden etablierter weiblicher Positionen im Design darstellt – Zschweigerts Erfolg wurde schlicht ignoriert.

Ein kleinerer Teil der Präsentation zeigt Frauen unter anderem als Möbeldesignerinnen. Margarete Junge etwa, deren Holzmöbel originell mit geschwungenen Formen spielen, und die konzeptionellen Entwürfe Marie von Geldern-Egmonds unter dem Titel: „Das deutsche Hausgerät“. Und Lilli Vetters textile Bilder wie „Biblische Szene“ (1926) oder „Bananenernte“ (1935) schaffen es sogar, die Brücke zwischen Kunsthandwerk und Kunst zu schlagen.

Nicht nur in der Wirtschaft, auch im Museumsbereich verschwindet die kreative Leistung von Frauen immer wieder in der Unsichtbarkeit. Im ehemaligen Völkerkundemuseum in Hamburg etwa waren ab 1905 unzählige Frauen als (schlecht bezahlte) „technische Hilfsarbeiterinnen“ damit beschäftigt, das Inventar des Hauses zu katalogisieren und hierzu Zeichnungen der Artefakte anzufertigen, die auf sogenannten Inventarkarten archiviert wurden. Im Laufe der Jahre entstand so ein umfangreiches Konglomerat von teilweise farbig aquarellierten Zeichnungen, die erstens den Bestand eines kolonial geprägten Museums abbilden, andererseits über diesen dokumentarischen Charakter hinaus eigenen Kunstwert besitzen.

Die Ausstellung „Ausgezeichnet: Künstlerinnen des Inventars“ im jüngst in „Markk – Museum am Rothenbaum“ umbenannten Völkerkundemuseum folgt der aktuellen Hauspolitik, die Bedingungen der eigenen Sammlung kritisch zu hinterfragen. In diesem Fall nicht ausschließlich mit dem postkolonialen Blick, sondern auch unter der Prämisse, die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen zu untersuchen – und ihnen nach Möglichkeit eine späte Würdigung als Künstlerinnen zukommen zu lassen.

Das aber erweist sich als kompliziertes Unterfangen. Die meisten Inventarkarten sind nicht signiert, Personalakten geben nur unvollständig Informationen preis, viele Arbeitsbiografien brechen auch hier spätestens mit der Heirat der Mitarbeiterinnen ab. Die Arbeit der Kuratorin Rahel Wille gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen; es verwundert nicht, dass „Ausgezeichnet“ vor allem durch den fragmentarischen Charakter eines bewusst unfertigen Stückwerks besticht.

Das heißt: Ausgestellt sind Exponate des Museums, beispielsweise eine kleine Statue, die als „Kraftfigur der Songye“ ausgewiesen ist, aus dem Kongo des 19. Jahrhunderts. Daneben hängt eine kleine, detailgenaue Zeichnung, die laut Information von Nora Witt aus den 1930er-Jahren stammt. Witt, erfährt man noch, eine 1904 geborene Kaufmannstochter, war examinierte Zeichen- und Turnlehrerin. Nach ihrer Heirat mit Franz Termer verliert sich allerdings ihre Spur – und dass zu Witt auch heute noch verhältnismäßig viele Informationen existieren, hängt damit zusammen, dass ihr Mann später Museumsdirektor wurde. Bei den meisten porträtierten Mitarbeiterinnen lässt sich hingegen praktisch nichts erfahren.

Die Ausstellung ist entsprechend keine abschließende Beurteilung, sondern ein Zwischenstand: Fakt ist nur, dass in der Vorgängerinstitution des Markk Frauen beschäftigt waren, die Arbeit an der Grenze zur Kunst leisteten. Die Leistung dieser Frauen zu würdigen, ist allerdings ein langwieriges Verfahren. Entsprechend ist „Ausgezeichnet“ nur ein erster Schritt – die Nadel im Heuhaufen ist noch lange nicht gefunden.

„Gegen die Unsichtbarkeit“, bis 18. August 2019, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe„Ausgezeichnet: Künstlerinnen des Inventars“, bis auf Weiteres, Hamburg, Markk

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