Blaue statt grüne Welle

AfD in Brandenburg und Sachsen stärkste Kraft für Europa – kommunal im Osten oft zweite Siegerin

Von Alicia Lindhoff

Es ist bizarr: „Ich habe gerade das Gefühl, in einer Parallelwelt zu leben“, schreibt die Journalistin Antonie Rietzschel, die in Leipzig lebt, auf Twitter. „Die Grünen als neue Volkspartei. Hier im Osten, in Sachsen, in Görlitz sind die Realitäten so völlig anders.“

Dabei sind die Grünen in Leipzig bei der Europawahl sogar auf Platz 1 gelandet . Doch damit ist die Stadt lediglich eine winzige grüne Insel in einem Meer aus Blau. Die AfD hat bei der Europawahl mit 25,3 Prozent in Sachsen am besten abgeschnitten, in den Landkreisen Görlitz, Bautzen, Meißen und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge hat fast jede*r Dritte für die Rechtsnatio­nalen gestimmt. Und auch in Brandenburg liegen sie mit fast 20 Prozent vorne. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern hat es für die CDU zwar gerade noch zur stärksten Kraft gereicht. Aber im südlichen Sachsen-Anhalt und in Süd-Thüringen ist die AfD ebenfalls Wahlsiegerin.

Insgesamt ist es sowohl bei der Europawahl als auch bei den parallel stattfindenden Kommunalwahlen in den fünf neuen Bundesländern gelungen, Nichtwähler*innen zu mobilisieren: Die Wahlbeteiligung stieg deutlich.

Auf kommunaler Ebene schnitt die AfD nicht ganz so stark ab wie bei der Europawahl. In Sachsen blieb sie hinter der CDU zurück, dort sieht es aktuell so aus, als habe sie nur zwei Landkreise für sich gewonnen.

In Görlitz, im Wahlkreis des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, hat die AfD allerdings gute Chancen, künftig das erste Mal den Oberbürgermeister zu stellen. Der Polizist Sebastian Wippel gewann in der Grenzstadt die erste Runde der Oberbürgermeisterwahl mit 36,4 Prozent. Nun geht er gegen den CDU-Kandidaten Octavian Ursu in die Stichwahl. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla nennt auf der Görlitzer Wahlparty seine Partei schon „eine Volkspartei in Sachsen“.

Im ehemals tiefroten Brandenburg konnten sich die Sozialdemokraten bei den Kommunalwahlen mit Ach und Krach und 17,7 Prozent den zweiten Platz hinter der CDU sichern – und so die AfD (15,9 Prozent) auf einen knappen dritten Platz verbannen. Insgesamt sind die Ergebnisse der SPD allerdings auch im Osten niederschmetternd.

Das schlechte Abschneiden der Parteien der Großen Koalition in Berlin verbindet die Ergebnisse mit denen im Rest des Landes. Insbesondere Kretschmers Versuch, mit einem rechten Hardliner-Kurs verlorenes Terrain von der AfD zurückzuerobern, ist gescheitert.

Die Ost-Grünen haben von der Schwäche der Volksparteien, anders als im Rest des Landes, nur vereinzelt in größeren Städten profitiert, etwa in Dresden oder Rostock. Das Stadt-Land-Gefälle verschärft sich auch politisch.

Etwas Hoffnung für die Zukunft gibt allen antifaschistisch Gesinnten im Osten an diesem Tag nur eines: Bei der parallel zur Europawahl abgehaltenen Juniorwahl machte ein Großteil der ostdeutschen Schüler*innen ihr symbolisches Kreuz bei den Grünen – genau wie im Rest des Landes. Allerdings: In allen fünf neuen Bundesländern landete auch hier die AfD auf Platz 2.