Barbara Oertel über die russische Ukraine-Politik
: Putins Nadelstiche

Jetzt ist klar, warum der Kreml den Wahlsieg von Wolodimir Selenski bei der ukrainischen Präsidentenwahl bislang mit Zurückhaltung quittiert. Russlands Präsident Wladimir Putin hat einen anderen Willkommensgruß im Köcher. Der ist nichts anderes als eine Provokation. Künftig soll es für BürgerInnen der von pro-russischen Kämpfern kontrollierten Gebiete Donezk und Lugansk leichter werden, einen russischen Pass zu erhalten.

Was diese Maßnahme bedeutet, die Putin allen Ernstes als Akt der Humanität verkauft, ist in der von Georgien abtrünnigen Republik Südossetien zu besichtigen. Auch hier wurden die Bewohner nach dem Krieg 2008 mit russischen Dokumenten ausgestattet. Der Flecken ist der Kontrolle durch Tiflis entzogen, seine Grenzen verschieben sich stetig weiter nach Georgien hinein.

Auch auf der Krim wurden in den 2000er Jahren russische Pässe verteilt – das Ende ist bekannt. Eine militärische Intervention oder sogar Annexion begründet der Kreml damit, die Menschenrechte seiner StaatsbürgerInnen im Ausland verteidigen zu müssen.

Dass dieser Schritt zum jetzigen Zeitpunkt kommt, ist ein Ausdruck tiefer Verunsicherung in Moskau, die die Wahl Selenskis ausgelöst hat. Unter dem scheidenden Amtsinhaber Poroschenko, der perfekt das Freund-Feind-Schema bediente, waren die Fronten eindeutig. Wie Selenski, der nicht nur großen Rückhalt im russisch geprägten Osten der Ukraine hat, sondern auch viele Sympathien in Russland genießt, agieren wird, ist noch nicht ausgemacht. Für ihn, der noch nicht einmal sein Amt angetreten hat, ist die Situation heikel. Er kann es sich nicht leisten, nicht zu antworten. Dennoch sollte sich Selenski keinesfalls zu übereilten Reaktionen hinreißen lassen.

Genau das würde Putin in die Hände spielen. Der ist entschlossen, die Situation in der Ostukraine weiter zu destabilisieren. Eine erste Bewährungsprobe hätte das Sprachengesetz sein können, das den Gebrauch des Russischen einschränkt. Das es gestern vom Parlament, in dem Poroschenko die Mehrheit hat, so verabschiedet wurde, dürfte die Position Selenskis nicht verbessern. Und der Westen? Er konnte nicht schnell genug Selenski seine Solidarität aussprechen. Jetzt ist der Zeitpunkt da, den Worten Taten folgen zu lassen.

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