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Schüler unter Antifa-Verdacht

Werden nicht-linke Meinungen an Hamburger Schulen unterdrückt? Die taz hat die Lage sondiert und mit Schülern*innen gesprochen

Von Kaija Kutter

Er habe schon etwas zu berichten, sagt Jannes am Telefon. Er fand es nicht gut, als im Winter 2017 direkt am Gymnasium Othmarschen Flyer von der Antifa für eine Gegendemo zur „Merkel muss weg“-Demo verteilt wurden. „Ich hatte nichts gegen die Demo, aber gegen die Flyer auf dem Pausenhof schon.“ Es hätten sich dann Leute aufgeregt über ihn und dann habe es auf Instagram geheißen, er sei auch so ein „Fascho“. Und als er auf eine Party wollte, warnte ihn eine Freundin: „Pass auf“. „Sie meinte, die wollten mir was tun.“

Stimmt es, dass in Hamburg an einigen Schulen ein „politisch weitgehend uniformes Schulklima“ herrscht und sich nicht-linke Schüler nichts zu sagen trauen? So, wie es die AfD in der Anfrage zur Hamburger Ida-EhreSchule behauptet hat, die sie mit Fotos von den Wänden des Oberstufenhauses illustrierte?

Weil die Hamburger Schulbehörde daraufhin in den Märzferien die Aufkleber von der Pinnwand einer 12. Klasse entfernte, die zu einem Projekt gehörten, steht die Stadt seit zwei Wochen Kopf. Der SPD-Schulsenator musste sich in einer Bürgerschaftsdebatte von CDU und Linken anhören, Gehilfe der AfD zu sein, weil er ohne Rücksprache mit der Schule handelte. Und doch gebe es hier etwas aufzuklären, schrieb das Hamburger Abendblatt nach der Debatte. Der Autor warnte vor „Selbstgerechtigkeit“. Man müsse klären, wie stark der Einfluss der Gruppe Antifa-Altona-Ost (AAO) ist, von der einige der Aufkleber an der Ida-Ehre-Schule stammen und mit der Schüler nicht nur dort zu sympathisieren scheinen.

Müsste die Schüler-Union nicht etwas dazu sagen können? Jannes ist seit Februar der Vorsitzende, er macht gerade Abi und jobbt gelegentlich in der Kneipe „Altes Mädchen“ im Schanzenviertel. Wir treffen uns dort am Freitagnachmittag, mit dabei sind der Co-Vorsitzende Etienne und der dritte im Vorstand, Felix, der Landesgeschäftsführer. Drei junge höfliche Männer, die hier ihr Bier trinken.

Jannes hat sich vorbereitet: „Wir sehen die Entwicklung teils positiv, teils negativ“, sagt er. Positiv sei, dass die Jugend „sehr stark politisch ist“. Egal ob „Friday for Future“, Uploadfilter für Internetseiten oder AfD. Ich erfahre, dass in vielen Gymnasien und Stadtteilschulen im Hamburger Westen Antifa-Sticker kleben, manche Rektoren hätten sie ob der Diskussion schnell entfernen lassen.

Etienne, der die 12. Klasse der Stadteilschule Rissen besucht, stört sich sehr an den Stickern. „Man verliert damit den Respekt vor dem Raum“, sagt er. Es gebe die Sticker „auf fast allen Schultoiletten“. Und wenn diese Botschaften wie „All Cops are Bastards“ (kurz ACAB) enthielten oder Hammer und Sichel, fühle er sich sehr stark gestört. Der rothaarige Junge ist Sohn russischer Auswanderer. Sein Vater habe in der Sowjetunion nicht studieren dürfen, weil er jüdischer Abstammung war. Die alte UdSSR war für ihn ein Unrechtsregime.

Wir diskutieren über ACAB. „Bastards sind doch nichts schlimmes“, sage ich. „Das wissen wir“, sagt Jannes. Es gehe um die Abwertung der Polizisten. Ein junger Beamter, der bei G20 dabei war und in der Jungen Union ist, habe berichtet, wie schlimm das war. Die Schülerunion, zurzeit mit wenigen Mitgliedern recht klein, stört sich aber auch am Portal der AfD, auf dem die Schüler linke Aktivitäten melden sollen. Nicht die AfD, der Schulleiter sei zuständig bei Beschwerden.

Dass Lehrer Schüler mit anderer Meinung benachteiligen, hätten sie erlebt, es sei aber selten, sagen die drei von der Jungen Union. Etienne findet es leichter, sich mit Gleichaltrigen zu streiten. „Wenn ich mit einem Lehrer diskutiere, der mag dich viel mehr nicht, als wenn ich mit einem Schüler diskutier.“ Man dürfe die politische Meinung nicht mit der persönlichen Ebene verwechseln. „Ich habe Freunde in der Linkspartei“, sagt Etienne. Worauf Jannes sagt: „Ich habe Freunde in der Antifa-Altona-Ost“.

Er finde einige Aktionen von denen gut, wie Aufklärung über Tierpelz an Kleidung. „Es gibt die friedliche Antifa“, sagt Jannes. „Die sagen: Wir sind nur Antifa, wir sind nicht gewalttätig.“ Bei der Party im Winter war damals auch gar nichts passiert.

„Natürlich wird es immer Schulen geben, wo regelmäßig Sticker auftauchen“

Jan von Bargen, Unterstufenleiter der Ida-Ehre-Schule

Sympathisanten der Antifa -Altona-Ost dürften auch in der schulpreisgekrönten Max-Brauer-Schule in Altona zu finden sein. Sie wird demnächst ein Schild mit der Aufschrift „Schule ohne Rassismus“ ans Schultor schrauben – eine Kampagne, der sich in Hamburg schon 42 Schulen angeschlossen haben. Dafür müssen 70 Prozent der Schüler und Lehrer unterschreiben, dass sie das wollen.

Bei der Max-Brauer-Schule hat der elfjährige Paul* die Sache angeschoben und mit anderen Kindern aus der 6. die weit über 1.000 Unterschriften gesammelt. Ich treffe ihn mit seiner Lehrerin. „Wir verpflichten uns, dass wir dagegen angehen, wenn einer wegen seiner Hautfarbe geärgert wird“, erklärt der Junge.

Ob es damit Probleme gibt? „An unserer Schule nicht so direkt“, sagt Paul. Die Haltung bedeute, „jedem eine Chance zu geben“, statt sich von Vorurteilen lenken zu lassen, etwa das Russen immer Wodka trinken oder ein Auto „heute gestohlen, morgen in Polen“ ist. Paul: „Das gemeine an Rassismus ist, dass man ein Bild hat, wie Leute sind, statt zu gucken, wie sie sind.“ Und nach Rechten gefragt: „Es gibt bestimmt auch Rechte, die nett sind. Nur wenn du extrem rechts bist, bist du eine Sau.“

Wir sitzen in einem kleinen Nebenraum im Neubau der Schule. Nach der Pause kommen die Schulsprecher Frode, Annika, Jonna, Ben und Mascha dazu. Einer trägt ein schwarzes Shirt, dass mit einem Antifa-Slogan spielt. Unter einer roten Kaffeekanne steht „Barista, Barista, Antifascista“. Das Shirt sei ein Geschenk gewesen, weil er Kaffee mag.

„Was mir auffällt“, sagt Zehntklässler Frode, „man muss sich ganz genau ausdrücken, welche Meinung man vertritt.“ Sage einer, gesunder Patriotismus sei in Ordnung, müsse er „genau belegen, was er damit meint“. Es gab wohl eine Debatte darum nach der Fußball-WM. „Das ist doch in jeder politische nDebatte wichtig“, ergänzt Mascha aus der 12. „Dass ich sage, dazu stehe ich, und warum.“ Und wenn ein Schüler „tendenziell rechte Ansichten vertritt“, müsse er mit mehr Gegenwind rechnen.

Das sieht auch Ben so. „Wenn jemand sagt: ‚Abschieben jetzt!‘, muss er mit Gegenwind rechnen.“ Und wenn eine Person die AfD gut findet? „Sie würde sich verteidigen müssen. Es wäre nicht ‚Iiih’. Sie könnte es sagen“, so Ben. Er habe aber noch nie erlebt, dass eine politische Diskussion „respektlos“ war. „Wir lernen, verschiedene Blickwinkel einzunehmen“, ergänzt Jonna aus der 12.

An der Max-Brauer-Schule werden seit dem Vorfall an der Ida-Ehre Schule viele Antifa-Sticker geklebt. „Hier gibt es viele, die gut finden, dass die Antifa-Altona-Ost organisiert ist und was erreichen will“, sagt Frode. „Antifaschismus ist nichts Negatives.“

„Bei mir in der Klasse haben ein paar Verbindungen zur Antifa-Altona-Ost“, ergänzt Jonna. Viele sähen es positiv, dass sich diese Gruppe seit ihrer Gründung von Gewalt distanziert. Und positiv sei auch die Bildungsarbeit der Gruppe. „Beim G20-Gipfel 2017 haben hier vor den Häusern die Kleinwagen gebrannt“, berichtet Lehrer Marne Benedetti. „Da gab es für viele Schüler die Erkenntnis: Gewalt ist Gewalt und nichts Positives.“

Mittwoch. 12 Uhr. Der Schulleiter der Ida-Ehre-Schule, Kevin Amberg, bespricht sich noch kurz mit einem Kollegen. Es gibt schon wieder eine Anfrage der AfD, weil Transparente aus den Fenstern des Oberstufenhauses hingen, mit der Losung „Antifa-Area – Hamburger Schulen bleiben rot“. Es war ein Abiturstreich, sagen die Schüler.

Mit am Besprechungstisch im Schulleiterzimmer sitzen Unterstufenleiter Jan von Bargen und die Schulsprecher Micheal, Juri und eine Schülerin, es gibt Hagebuttentee. In den letzten Tagen ist viel passiert: Am Freitag vor den Märzferien kam die Anfrage der AfD, bis Dienstagmittag hatte Amberg Zeit, die Fragen zu beantworten. Schon Montag früh kam die Schulaufsicht und ließ die Sticker entfernen. Nach den Ferien dann die Berichte in den Medien, der Streit in der Bürgerschaft, ein Tag später eine Bombendrohung mit rechtsextremistischem Hintergrund. „Da klingen die Ohren“, sagt von Bargen. „Es bleibt bei uns ein ungutes Gefühl.“

Der Schulsenator hat am Vorabend im Fernsehen gesagt, dass die Ida-Ehre-Schule eine sehr gute Schule ist und keine linksextremistischen Tendenzen hat. Nur hätten ein paar provokante Aufkleber sehr lange geklebt. Es werde Zeit, dass die Schule zur Ruhe komme.

Juri und die Schülerin gehören zur Klasse, in der die Pinnwand geräumt wurde. Ein Sticker zeigte eine brennende Barrikade. Ein anderer setzte „Patrioten“ mit „Kacke“ gleich. Ob man das vertreten kann? „Deswegen hingen die Sticker ja da, damit wir darüber diskutieren“, sagt Juri. Ihr Profil heiße „Sich einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz“, sagen beide im Chor. Die Behörde hat bemängelt, dass die „Pluriperspektivität“ bei der Stickerwahl fehlte. „Unser Lehrer hat genau diese Frage gestellt“, sagt Juri. Es gebe auch konservative Ansichten in der Klasse, aber die Seite hätte keine Sticker beigetragen. Juri: „Wenn man seine Meinung sagt, wird man nicht fertig gemacht.“

Es sei ein Fehler gewesen, die Pinnwand nicht für Außenstehende besser zu kontextualisieren, sagt Amberg. „Aber an sich ist eine Klasse ein geschützter Raum.“

„Natürlich wird es immer Schulen geben, wo regelmäßig Sticker auftauchen“, sagt Jan van Bargen. „Wir werden aber nicht nach jeder Schulstunde durchs Gebäude gehen und alles wegnehmen.“

Die Ida-Ehre-Schule ist schon seit 2007 „Schule ohne Rassismus“. Neuerdings hat die Schule den Ansatz auf „ohne Diskriminierung“ erweitert. „Wir haben zum Beispiel gegen ,Hate Speech‘ aufgerufen“, sagt Schulsprecher Michel. Dabei gehe es um alles, was irgendwie verletzend ist, etwa der Ausspruch „Du bist schwul“. „Unser Ziel ist nicht zu sagen: ‚Du bist ganz böse‘, sondern: ‚Denk mal drüber nach‘“, erklärt der Abiturient.

Und was ist mit der Lust, mal böse Worte zu sagen und zu schimpfen? „Wenn man Blitzableiter braucht“, sagt Michel, „sollte man sich das bewusst machen und es auch dem anderen so sagen.“

Ich treffe Juri später noch auf dem Nachhauseweg. „Mir macht das Diskutieren großen Spaß“, sagt er. „Ich lerne jeden Tag dazu.“

* Name geändert

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