Strategie der Tabakindustrie: Rauchen ist jetzt wieder cool

E-Zigaretten sind die gesündere Alternative zum Rauchen, beteuern die Hersteller. Aber machen sie Kinder und Jugendliche nikotinsüchtig?

Zeichnung von Jugendlichen, die auf E-Zigarette surfen

Bei Youtube und Instagram gibt es Videos von Jugendlichen, die zeigen, wie man richtig „juult“ Foto: Oliver Sperl

Aus Zacharys Kindermund quillt weißer Dampf. Seine großen blauen Augen schauen konzentriert in die Kamera. Er filmt sich selbst. Mit wackelndem Handy und halb geöffnetem Mund, der zwei Schneidezähne entblößt.

Er liegt auf einem braunen Sofa, vermutlich im elterlichen Wohnzimmer. „Ich erkläre euch heute den French Inhale“, sagt Zachary. In der rechten Hand hält er ein Ding, das aussieht wie ein roter, übergroßer USB-Stick. Er klemmt es sich zwischen die Lippen und zieht. Die runden Apfelbäckchen werden schmal.

Dann blähen sie sich, und Dampf fließt aus seinem Mund. Ganz langsam, bevor er sich zurück in seinen Körper schlängelt, durch die Nasenlöcher. Es sieht aus wie ein Wasserfall, der nach oben fließt. „Einer der ersten Tricks, die ich gelernt habe“, sagt Zachary. Ein Junge, der Ende 2017 noch Bilder von seinen Fischen und Sammelkarten gepostet hat. In einem Chat mit der taz-Reporterin schreibt er, dass er sechzehn ist. Er sieht aus wie zwölf.

Die E-Zigarette ist in den USA erst ab 18 Jahren erlaubt, in einigen Bundesstaaten erst ab 21 Jahren. Weil Zachary Angst davor hat, sich strafbar zu machen, möchte er nur mit seinem Vornamen auftauchen.

Rund 40 Videos hat Zachary aufgenommen, in fast allen geht es um Juul, das rote Ding in seiner Hand. Eine E-Zigarette. Seinen ersten Juul kauft Zachary sich im September 2018 im Schulbus, für 25 Dollar, erzählt er. Seine Lieblingssorte: Mango.

Seine Videos ähneln sich. Mal erklärt er es anderen. Mal sitzt er nur da und hüllt sein Kinderzimmer in weißen Dampf. Mal filmt er sich vorm Badezimmerspiegel.

Schneller im Blut

Er ist nicht der Einzige, bei Weitem nicht. Da sind die beiden Jungs, die auf YouTube Tipps geben, wie man richtig „juult“. Ringe pusten, Wolken dampfen. Zwei pubertäre Gesichter, mit erstem Bartflaum und glänzenden Ohrsteckern. Und da ist Dom, ein braunhaariger Teenager, der Tipps gibt wie: „Es hilft, wenn ihr euch im Spiegel anschaut.“ Das lässige Ziehen am Gerät, das „lass es laufen“, das kurze Husten zwischen den Tricks.

Das sind Versuche, erwachsen zu sein, die man sich tausendfach anschauen kann, auf YouTube und Instagram. Im Hintergrund bietet sich das immer gleiche Bild: zerwühlte Betten oder schmucklose Schrankwände. Manchmal auch eine Schultoilette oder ein Klassenraum, mitten im Unterricht. Der Juul ist immer dabei.

Rund 10 Prozent der amerikanischen Teenager zwischen 15 und 17 rauchen Juul, zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der US-Fachzeitung Tobacco Control. Unter den Highschool-Schülern rauchen etwa 20 Prozent E-Zigarette, ein Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zu 2017. Das zeigen Zahlen des US- Gesundheitsministeriums.

Zeichnung eines Jugendlichen mit E-Zigarette Juul

Bereits zehn Prozent der amerikanischen Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren rauchen Juul Foto: Oliver Sperl

Juul kommt ohne Tabak aus und liefert trotzdem Nikotin. Ein dünner Stab wird mit sogenannten Liquids gefüllt. Ein Gemisch aus Aromen, Glycerin, Benzoesäure und Propylenglykol, einem chemischen Stoff, der auch in Nebelmaschinen zum Einsatz kommt. Das Starter-Kit kostet 49,99 Dollar, E-Zigarette, USB-Ladegerät und vier Geschmacksrichtungen.

Im Juni 2015 kommt das Gerät auf den US-Markt. Zwischen 2016 und 2017 steigert Juul seine Verkäufe um etwa 600 Prozent. Im Dezember 2018 investiert das Tabakunternehmen Altria, früher bekannt als Philip Morris, 12,8 Milliarden und sichert sich 35 Prozent am Unternehmen. Juul erreicht bei E-Zigaretten einen Marktanteil von 73 Prozent.

Es wird immer deutlicher: Rauchen ist schädlich, kann tödlich sein

Das liegt vor allem am Gerät. Juul Labs ist einer der ersten E-Zigaretten-Hersteller, der mit sogenannten Nikotinsalzen arbeitet. Kurz gesagt ist das Nikotin in gebundener Form. Gelangt schneller ins Blut und kickt genauso wie eine normale Zigarette.

Die Bedienung ist einfacher als bei vielen anderen Modellen. Kein Zusammenbauen, keine Wartung, kein Temperaturregler – nur einen neuen Pod und einen Knopfdruck. Das Prinzip E-Zigarette ist nicht ganz neu, aber jetzt könnte es seinen Durchbruch haben; so wie damals beim iPhone. Das war auch nicht das erste Smartphone auf dem Markt, aber es funktionierte besser und sah besser aus.

„Ein Hype“, sagt Zachary.

„Eine echte Alternative zur Zigarette“, sagen die Gründer von Juul.

„Eine Epidemie“, sagt der Leiter der US-Gesundheitsbehörde.

Im Mai 2018 werden die ersten Juuls in Israel verkauft. Im Juli im Vereinigten Königreich. Einen Monat später in Kanada. Seit Dezember 2018 ist Juul auch in Deutschland auf dem Markt.

Die E-Zigarette ist Mittelpunkt einer neuen Erzählung, in der Rauchen sauber und risikoarm ist. Ohne Krebs, Raucherbein und Impotenz. Trotz Nikotin.

Auch der Konsument ist ein anderer. Wer E-Zigarette raucht, raucht nicht, er dampft. Er zieht nicht mehr in die weite Prärie, einsam und abenteuerlustig, er sitzt am Laptop, irgendwo in einer globalen Metropole. Willkommen in der rauchfreien Zukunft.

E-Zigarette auf Verpackung

Sieht aus wie ein USB-Stick: Juul Foto: Magdalena Tröndle/dpa

Ab den späten 50er Jahren wird immer deutlicher, dass Rauchen schädlich ist, tödlich sein kann. In dieser Zeit setzt die Tabakindustrie erstmals zu einem Gegenschlag an. Mithilfe von Marketing, neuen Produktideen und Sprache.

E-Zigarette als Rettungsanker

Am 11. Januar 1964 erscheint der Terry-Report, in dem der amerikanische Arzt Luther Terry – selber Raucher – und neun weitere Kollegen erstmals den toxikologischen Beweis führen, dass Rauchen und Lungenkrebs verknüpft sind. Terry steigt auf Pfeife um.

Am 22. Januar 1964 erscheint im Spiegel ein Interview mit Karl-Heinz Weber, Leiter der Wissenschaftlichen Forschungsstelle im Verband der Zigarettenindustrie. Das Institut, das seit 1959 daran arbeitet, die Zigarette weniger schädlich zu machen, wird von den führenden deutschen Tabakkonzernen finanziert.

Auf den Terry-Report angesprochen und die Frage, was die Industrie gegen das erhöhte Lungenkrebs-Risiko tut, sagt Weber: „Sie tut alles, was in ihren Kräften steht, um durch Forschung dahinterzukommen, woran es liegen könnte, und wenn irgend jemand in der Welt einen gefährlichen Stoff findet, kommt er raus. Darüber gibt es keine Frage!“

Selbstregulierung, Vorwärtsverteidigung und Leugnung von Fakten. Diese Strategie zieht sich durch die letzten 60 Jahre der Zigarette, nicht nur in der Forschung, auch im Umgang mit Werbung. Das zeigt eine Publikation des Bundesforschungsministeriums, in der die Autoren den Image-Wandel der Zigarette im Detail nachvollziehen. Titel: „Als die Zigarette giftig wurde“.

Seit Oktober 1963 darf im westdeutschen Fernsehen vor 19 Uhr keine Tabakwerbung mehr gezeigt werden. Um weiteren Einschränkungen zu entgehen, beschließt die deutsche Tabakindustrie eine freiwillige Selbstauflage: Ab dem 1. Januar 1966 schalten die deutschen Tabakkonzerne keine Werbung mehr, die sich an Jugendliche richtet – dann wird sie ganz verboten.

1973 bringt der deutsche Ta­bakkonzern Reemtsma eine Neuauflage der R6 auf den Markt. Beworben wird sie als besonders „leichte“ Zigarette. Um das Image der Zigarette mit dem niedrigen Nikotingehalt anzukurbeln, druckt der Konzern ab 1975 die Werte von Kondensat, auch bekannt als Teer, und Nikotin auf die Packung. 1976 wird das für alle verpflichtend.

Erst 1999, nach verlorenen millionenschweren Prozessen und nach erbittertem Widerstand, geben die globalen Tabakkonzerne zu, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet. Vier Jahre später kommt die erste E-Zigarette auf den Markt, in China. Ein Jahrzehnt später steigen die globalen Konzerne ins Geschäft ein. Getrieben werden sie von schwindenden Rauchern, drastischerer Regulierung und immer höheren Steuern auf Tabakprodukte.

Mit Dampf wollen die Tabakkonzerne weiter viel Geld verdienen

Und so wird die E-Zigarette zum Rettungsanker für eine Industrie, deren Platz und Einfluss schwindet. Und zur vermeintlich gesünderen Alternative. So zumindest das Versprechen, das sich über die ganze Welt verbreitet. Von China über die USA bis nach Deutschland.

Mitte Januar. Tobias Gerlach, der Pressesprecher von Juul Labs Deutschland, ist spät dran. Er sitze noch auf dem Fahrrad, sagt er am Telefon und entschuldigt sich. Es ist einer der ersten warmen Tage im neuen Jahr und Gerlach würde gerne draußen sitzen, aber im Café Einstein haben sie die Gartensaison noch nicht eröffnet. Ein Tisch drinnen ist nun sein Arbeitsplatz für die nächsten Stunden. Interview folgt auf Interview.

Seit rund einem Monat gibt es den Juul auch in Deutschland zu kaufen. Aber mit weniger Nikotingehalt. Statt 60 mg nur 20. Erhältlich in 1.000 ausgewählten Verkaufsstellen, keine Werbung in der Testphase. „Wir wollen ­bereits in diesem Jahr 300.000 erwachsene Raucher dazu bringen umzusteigen“, sagt Tobias Gerlach.

Könnte funktionieren. Der Markt ist da.

Gesünder und glücklicher leben

Deutschland ist Raucherland. In den 90ern rauchte fast die Hälfte aller Erwachsenen zwischen 18 und 25. Heute ist es nur noch ein Drittel. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das noch immer viel. In den Niederlanden rauchen 19 Prozent der Bevölkerung, in Schweden nur noch 7 Prozent.

Während der Markt der althergebrachten Tabakprodukte schrumpft, steigt die E-Zigarette in immer neue Höhen. Rund 2 Millionen Deutsche dampfen bereits E-Zigarette. 2019 soll der Markt um 25 Prozent wachsen, auf rund 500 Millionen Euro. Davon gehen Branchen-Prognosen aus.

Rund 200 kleine und mittlere Unternehmen verdienen an dem Geschäft. Dazu kommen rund 400 bis 500 Fachgeschäfte und etwa 12.000 weitere Verkaufsstellen. Kioske, Supermärkte, Tankstellen. Und große Konzerne.

Im Juli 2015 steigt mit Japan Tobacco International der erste globale Tabakkonzern in den deutschen E-Zigaretten-Markt ein. Im Dezember 2015 folgt British American Tobacco mit der Marke Vype. Im Mai 2017 bringt Philip Morris International den Tabakverbrenner Iqos auf den Markt.

Die rauchfreie Zukunft, sie ist auch in Deutschland angekommen – und mit ihr Juul. Der Markteinstieg alarmiert deutsche Behörden und Verbände. Groß ist die Angst vor einer ähnlichen Entwicklung wie in den USA.

„Sie können sicher sein, dass ich als Drogenbeauftragte nicht nur Juul, sondern alle neuen Produkte auf dem Tabak- und Nikotinmarkt genau im Auge behalte“, sagt Marlene Mortler (CSU), die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, im März 2019 der taz.

„Gefährliche Zigarette. Mehr Nikotin als in einer ganzen Schachtel“, hat die FAZ im Dezember 2018 getitelt und die DAK-Krankenkasse forderte: „Die Politik muss endlich ein umfassendes Werbeverbot für Tabak, Zigaretten und auch für E-Zigaretten in Deutschland durchsetzen.“

Im Einstein möchte Gerlach jetzt über die sogenannte Mission von Juul Labs sprechen. „Wir wollen eine tabakfreie Welt“, sagt er. „Wir wollen das Leben von einer Milliarde erwachsener Raucher verbessern.“ Ziel sei es, eine weniger gesundheitsschädliche Alternative anzubieten.

So steht es auch auf der Website des Unternehmens, wo angebliche Konsumenten sagen, dass sie jahrzehntelang der Kippe verfallen waren und jetzt gesünder und glücklicher leben. Besser auch für Familie und Beziehungen.

Die beiden Gründer von Juul, Adam Bowen und James Monsees, Stanford-Absolventen, dynamische Start-up-Typen, haben beide früher geraucht. Sie haben eine Alternative gesucht und waren unzufrieden mit dem, was es gab. Also fingen sie an zu tüfteln und zu testen, zehn Jahre lang; auch das steht auf der Website. Das Ergebnis: „Ein geschlossenes Vaporizer-System, das erwachsenen Rauchern eine einfache und zugleich zufriedenstellende Alternative zum Rauchen bietet – ohne Teer, ohne Kohlenmonoxid und ohne viele andere toxische Chemikalien, die bei der Verbrennung von Tabakzigaretten entstehen.“

So viel zur Theorie.

Im Jahr 2015 veröffentlicht das britische Gesundheitsministerium eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass E-Zigaretten „95 Prozent weniger schädlich sind als normale Zigaretten und Rauchern beim Aufhören helfen können“. So zumindest die Schätzungen.

In Deutschland ist man sich dessen nicht so sicher.

Viel Geld mit Dampf

„E-Zigaretten sind lediglich im Vergleich mit Tabakzigaretten weniger schädlich; ein vollständiger Umstieg vom Rauchen auf E-Zigaretten kann wahrscheinlich das Gesundheitsrisiko senken. Für Nichtraucher, die keinerlei schädliche Substanzen inhalieren, bedeuten E-Zigaretten jedoch eine Erhöhung des Gesundheitsrisikos, da beim E-Zigaretten-Konsum ein Chemikaliengemisch inhaliert wird“, schreibt das Deutsche Krebsforschungszentrum schon im Jahr 2014.

Und weiter: „Da E-Zigaretten erst seit wenigen Jahren auf dem Markt sind, gibt es noch keine verlässlichen Informationen zur Gesundheitsgefährdung bei Langzeitkonsum.“ Es sei schwer vorhersehbar, welche Folgen die dauerhafte und häufige Inhalation des Chemikaliengemischs auf den Körper und insbesondere die Lunge habe.

Gerlach raucht nicht. Generell sollte eh keiner rauchen, sagt er, weder Zigaretten noch Juul. Ganz wichtig ist ihm: „Juul hat in den Händen von Kindern und Jugendlichen nichts verloren“, sagt er. „Da ist Nikotin drin, das macht abhängig.“

Damit die deutschen Kinder und Jugendlichen die Finger von Juul lassen, hat das Unternehmen Maßnahmen erarbeitet, die „deutlich über die gesetzlichen Vorgaben hinaus“ gingen. Durch doppelte Alterskontrollen, Händler-Schulungen und Testkäufe solle sichergestellt werden, dass Kinder und Jugendliche keine E-Zigaretten kaufen können.

Auch was Werbung angeht, wolle man sich selbst beschränken: Nicht an Schulen, Kindergärten und öffentlichen Plätzen, die von Jugendlichen frequentiert werden.

Im Dezember 2018 reicht die Bundestagsfraktion der Grünen einen Gesetzesentwurf ein, der vorsieht, Außen- und Kinowerbung für Tabakzigaretten, aber auch für E-Zigaretten gänzlich zu verbieten. Eine Mehrheit dürfte der Antrag nicht bekommen und das findet Gerlach gut. Denn wie sollen Raucher von der Umsteigemöglichkeit erfahren, wenn nicht über Werbung? Sie planen, Juul überall zu verkaufen, wo es Raucher gibt. Nicht nur in speziellen Vape-Shops, sondern auch im Lebensmittelhandel und in Tankstellen.

Ein Ziel, das der Tabakkonzern Philip Morris International (PMI) ebenfalls verfolgt, mit dem Iqos. Ein sogenannter „Tabakerhitzer“. Anstatt einer Flüssigkeit wird echter Tabak erhitzt, auf 300 Grad. Ein Gerät, das aussieht wie ein Smartphone: runde Formen, Farben in Chrom-Optik.

E-Zigarette mit Zubehör auf Tisch

Tabak wird auf 300 Grad erhitzt: Iqos Foto: Axel Heimken/dpa

In Deutschland kämpfen zwei Produkte um den Markt, während sie in den USA über den gleichen Vertriebsweg laufen, die Altria Group.

2003 wird aus dem Tabakkonzern Philip Morris die Altria Group. 2008 wird die Tochtergesellschaft Philip Morris International aus dem Altria-Konzern herausgelöst. Während Altria das US-Geschäft behält, übernimmt Philip Morris International den weltweiten Vertrieb. Fünf Jahre später – die Zahl der Raucher ist weltweit zurückgegangen – tun sich Altria und Philip Morris erneut zusammen. Sie unterschreiben eine Kooperationsvereinbarung, in dessen Zentrum die Zukunft des Rauchens steht: die E-Zigarette.

Vorgesehen ist, dass Altria zwei PMI-Tabakerhitzer auf dem amerikanischen Markt bringen darf. Im Gegenzug vermarktet PMI die von Altria entwickelten E-Zigaretten weltweit. Geplant sind neben einem gemeinsamen Vertrieb auch Forschungsprojekte. Iqos fällt unter diese Vereinbarung, Juul nicht, trotz der Beteiligung von Altria. Deswegen auch die Konkurrenzsituation in Deutschland.

Der Deal der Tabakriesen zeigt: Das Geschäft mit den normalen Zigaretten ist Geschichte. Die Zukunft gehört dem Dampf. Mit ihm wollen die Tabakkonzerne in Zukunft weiter viel Geld verdienen.

Während Juul noch ganz am Anfang steht, ist Iqos schon in Deutschland angekommen. In einer Seitenstraße vom Berliner Kurfürstendamm, Berlins alter Edel-Einkaufsmeile, liegt hinter einer hohen Glasfront einer von dreizehn deutschen Iqos-Stores. Helle Kommoden und edle Auslagen, perfekt ausgeleuchtet. Das Erste, was auffällt, wenn man den Laden betritt, ist der Geruch: Es riecht verbrannt, nach Tabak. Aber nicht nach kaltem Rauch.

Der Geruch kommt aus einer Ecke im hinteren Bereich des Ladens. Dort probiert sich ein mittelalter Herr mit Brille und kleinem Rollkoffer gerade durch das Sortiment. Je nach Modell kosten die Geräte zwischen 89 und 109 Euro. Wer will, kann dazu edle Accessoires kaufen, etwa eine Lederhülle für 44 Euro.

Heets heißen die Stäbchen, die man in den Iqos steckt und dann anzündet. Sie sehen aus wie sehr kleine Zigaretten. Die Firma wirbt damit, dass „die Menge an schädlichen Substanzen, die der Konsument inhaliert, im Vergleich zur normalen Zigarette im Schnitt um 90 Prozent reduziert“ ist.

260.000 mal #juul

Wie die Stäbchen funktionieren und warum diese kleinen Zigaretten besser sind als große, das möchten jetzt Iris Brand und Alexander Nussbaum erklären. Brand, blond, in den 30ern, ist die Pressesprecherin von Philip Morris Deutschland, sie hat zuvor für einen Kaugummihersteller gearbeitet. Nussbaum, drahtig und in den 40ern, ist ein promovierter Biochemiker, der vor etwas mehr als zwei Jahren die Seiten gewechselt hat. Er forschte vorher zu Impfstoffen und Lungenkrebs.

Beide sind Nichtraucher. Sie sind an diesem Morgen extra für das Gespräch mit der taz aus München angereist. Im Gepäck haben sie zwei Stunden Zeit und eine Powerpoint-Präsentation.

Nussbaum beginnt mit Zahlen und hauseigenen Studien. In der Schweiz, in einem kleinen Ort unweit von Bern, betreibt Philip Morris International ein Forschungs- und Entwicklungszentrum. Ein weiteres steht in Singapur. In Iqos, so das Unternehmen, steckten rund 4,5 Milliarden US-Dollar Ausgaben für Forschung und mehr als 4.300 Patente. 400 PMI-Mitarbeiter arbeiten weltweit daran, dass die verbliebenen Raucher bald Iqos rauchen. Der Imagewechsel kostet.

„Wir befinden uns in einer Transformation“, sagt Brand. Man wolle den Austausch mit der Politik, der Wissenschaft und der Politik. Den Rauchern wolle man erklären, „dass es eine Alternative gibt“.

Nussbaum ist die perfekte Werbefigur. Ein Wissenschaftler, der Rauchen ablehnt und deshalb eine Alternative schafft. Weniger schädlich, hochtechnologisiert, rauchfrei. Früher hielt er Vorträge als Krebsforscher, wirklich erreicht habe er da wenige, sagt er. ­Deswegen sei er 2016 zu ­Philip Morris gewechselt. „Um die Indus­trie von innen umzukrempeln.“

Nussbaum zitiert Studien und spricht viel von „harm reduction“. Schadensminimierung. „Ich möchte das nicht verharmlosen“, ist ein Satz, den er oft wiederholt.

In den nächsten Monaten will Philip Morris International mit Iqos auf den US-Markt expandieren. Der Antrag auf Zulassung wurde bereits gestellt.

Juul und Iqos. Zwei Produkte mit der gleichen Botschaft: Wir sind die bessere Alternative. Neu ist das nicht, das zeigt der Blick auf die Tabak-Imagekampagnen der letzten Jahrzehnte. Neu sind vor allem die Kanäle, auf denen diese Botschaft transportiert wird: Instagram, YouTube, Twitter und Facebook.

Juul Labs richte seine Produkte gezielt an Minderjährige, so der Vorwurf

Es sind Kanäle, die überaus beliebt sind, und zwar insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Das zeigt eine ­Studie der Universität ­Stanford, die das Marketing von Juul ausgewertet hat. Innerhalb von drei Jahren hat Juul selbst 2691 Tweets abgesetzt, dazu 248 Einträge bei Facebook, 187 bei Instagram. Auch andere haben zu #juul gepostet, den Hashtag fanden sie 260.000 Mal.

Die Kampagne, so beschreiben es die Wissenschaftler, zeigte Models zwischen 20 und 30, die in trendigen Kleidern auftraten und eher an Jugendliche erinnerten als an Erwachsene. Allgemein sehen sie viele Ähnlichkeiten zur klassischen Tabakwerbung. Besonderheit: Es wurden „vor allem süße und fruchtige Aromen hervorgehoben“. Als Markenbotschafter habe das Unternehmen Social Media Influencer eingesetzt.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss: Juuls Behauptung, dass sie das Leben der weltweit 1.000.000.000 erwachsenen Raucher verbessern wollten und dass ihr Produkt nur für erwachsene Raucher bestimmt sei, ist nicht deckungsgleich mit ihrem Marketing.

Eine ähnliche Studie hat auch die amerikanische Anti-Tabak-Organisation „Tobacco-Free Kids“ in Auftrag gegeben. In einem Schreiben an die amerikanischen Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde warnt die Organisation vor der Zulassung von Iqos für den amerikanischen Markt: „Wir haben dokumentiert, dass PMI bereits eine massive globale Marketingkampagne für Iqos betreibt, bei der ausländische Influencer eingesetzt werden“, heißt es darin. Es handle sich um Personen, die eine große Anzahl von US-Followern hätten und deren Beiträge über Iqos Millionen von US-Verbrauchern auf verschiedenen Social-Media-Plattformen erreichten.

Iris Brand, die Pressesprecherin von Philip Morris, sagt, dass Influencer-Marketing in Deutschland verboten sei und deshalb bei Philip Morris auch nicht vorkomme. Auf eine Influencerin aus München angesprochen, die in dem Report von „Tobacco-Free Kids“ gelistet wird, sagt sie: „Das ist vielleicht ein Fan.“ Man könne nicht verhindern, wenn Privatpersonen eigenständig Posts absetzten.

Der French-Inhale-Clip von Zachary, dem Jungen auf dem Sofa, hat mehr als 36.000 Aufrufe bei Instagram. Die Hashtags lauten #juul, #vapetricks und #vapecommunity. Rund 200 Nutzer haben Kommentare hinterlassen. Rena, Schülerin aus Oklahoma, schreibt: „Ich lerne noch.“ Weinender Smiley. Josie, ein Teenager aus Michigan: „Danke, Bruder, das habe ich wirklich gebraucht.“ Drei Smileys mit Sternchen-Augen.

Im Mai 2018 wird der Juul aus Israel verbannt. Premierminister Benjamin Netanjahu begründet diesen Schritt mit der Sorge um die öffentliche Gesundheit. Juul enthalte dreimal mehr Nikotin als im Land erlaubt.

Im April 2018 leitet die US Food and Drug Administration Untersuchungen gegen Juul Labs ein. Die Generalbundesanwälte der US-Bundesstaaten Iowa, Massachusetts und North Carolina ebenfalls. Juul Labs richte seine Produkte gezielt an Minderjährige, so der Vorwurf.

Im Oktober 2018 reicht die Mutter zweier minderjähriger Söhne Klage gegen Juul Labs ein. Der Fall wird in Miami verhandelt. Der Vorwurf: Juul Labs „vermarktet seine Produkte als sicher, wie etwas Süßes, das Minderjährige anzieht“. Und eben nicht als Zigarette.

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