Kommentar Brexit-Stillstand: Warten auf die letzte Minute
Die Briten wissen nicht, wie. Die EU weiß nicht, wann. Und nach den Torys zerlegt sich nun auch Labour wegen des Brexit. Ja, und?
Noch 50 Tage bis zum Brexit, und noch immer ist keine gütliche Einigung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union in Sicht. Die Fronten sind verhärtet: Die EU will den bestehenden Deal nicht wieder aufschnüren, das britische Parlament will ihn in der bestehenden Form nicht ratifizieren.
Wenn nun Theresa May und Jean-Claude Juncker erst mal Sondierungsgespräche darüber ansetzen, ob weitere Gespräche über den Deal möglich sind, und dann in drei Wochen erneut ein Spitzentreffen in Brüssel das weitere Vorgehen beraten soll, ist klar: Beide Seiten wollen die verbleibende Zeit bis aufs Äußerste ausreizen.
Irgendwie hängen Brüssel und London an der Fiktion fest, dass sich das Problem rechtzeitig in Luft auflösen wird. London glaubt, dass die EU in allerletzter Minute nachgibt; Brüssel glaubt, dass Großbritannien noch vor dem 29. März eine Verschiebung oder Aussetzung des Brexit beschließen wird.
Das heißt aber auch: Bis auf Weiteres bewegt sich nichts. Daran ändern auch die täglichen neuen Winkelzüge in der Londoner Politik nichts. Nachdem wochenlang die regierenden Konservativen heillos über die Frage des Ja oder Nein zum Brexit-Deal zerstritten schienen, bis sie sich auf eine Art Nein verständigten, zerfleischt sich jetzt zur Abwechslung die Labour-Opposition über die Frage, ob sie Theresa Mays Deal in abgewandelter Form retten soll.
Am Ende wird am 30. März über Europa und Großbritannien die Sonne aufgehen, wie immer
Nichts davon hat wirkliche Bedeutung, solange es folgenlos bleibt. Und mit jedem Tag ohne Brexit-Deal rückt der No-Deal-Brexit einen Tag näher.
Na und? Man kann sich darauf vorbereiten. Die entsprechenden Regelwerke sind längst beschlossene Sache. Ihre Anwendung einzuleiten ist für die zuständigen Behörden lediglich eine Frage des politischen Willens. Unternehmer, Geschäftsleute, Händler und Migranten sind durchaus in der Lage, sich ohne staatliche Vorgaben darüber zu verständigen, wie sie nach dem Brexit weitermachen.
Am Ende wird am 30. März über Europa und Großbritannien die Sonne aufgehen, wie immer. Und alle werden sich fragen, was denn eigentlich das Problem war.
Leser*innenkommentare
Joachim Petrick
In seiner aktuellen Le Mond Printausgabe Kolumne schreibt Neal Ascherson:
"Das war zu erwarten. Aber in Schottland keimte der Verdacht, dass sich unter der Decke der „power grab“-Kontroverse eine weit bedrohlichere Entwicklung anbahnte. In Edinburgh war es vor allem Brexit-Minister Michael Russell, der geltend machte, bei der Gesamtarchitektur der Devolution ( Föderative Entwicklung Anmerkung A.) , so wie sie 1997 entworfen wurde, sei die EU-Mitgliedschaft vorausgesetzt. Das heißt aber: Nach dem Brexit würde Schottland – da nicht mehr in die EU eingebunden – einem ganz anderen Vereinigten Königreich angehören"
Befürchtung, die Brexiteers wollen das an Souveränit, das UK Teilstaaten Schottland, Wales, Nord Irland, Gibralta an EU in Brüssel, föderativ gefördert deligiert haben, unabgestimmt im Fall ungeregelten Brexits auf kaltem Weg nach Donwingstreet 10 per "power grab“ Lawgrapping zurückholen.
Hat der Brexit No Deal Austritt mehr mit innewrpolitischen Bestrebungen im UK zutun, als mit der EU, wenn ja, macht es diesen noch gewisser, dass der eintritt?
Ataraxia
Nichts gegen den beruhigenden Ton von Dominic Johnson, gefällt mir. Alles darf gesagt werden, damit sich etwas bewegt (danke für den offenen Austausch, taz).
Übrigens hat das Parlament 1649 zur derZeit des engl Bürgerkriegs King Charles I. (einen Stuart) hinrichten lassen. Gut informierte Quellen berichten, dass das Studium der genauen Umstände gerade wieder groß in Mode ist. Wer weiß, zu was dieses Parlament noch fähig ist.
Ich denke, es läuft auf einen Verbleib in der Zollunion hinaus, um das gespaltene und abgetörnte Land wieder mit sich zu versöhnen. Siehe die Vorschläge von Labour. Natürlich geht das alles nicht bis zum 29. März.
Aber am ersten Arbeitstag am Montag, on April fool's day, wären wir dann soweit.
Gesunder Menschenverstand
Als Taz-Abonnent habe ich die Druckfassung incl. Le Monde diplomatique schon in Ruhe lesen können.
Im Gegensatz zu Johnsons lapidaren Kommentar, den ich mir markieren und zukünftig gern wieder zitieren werde, hat ein anderer Artikel die möglichen Probleme der Gemüseversorgung des UK aus den Niederlanden thematisiert. In dem Artikel wird erwartet, dass die Tomaten, Paprika etc., die nicht ins UK geliefert werden können auf den kontinentaleuropäischen Markt kommen werden und dort die Preise einbrechen lassen werden. Ich bin gespannt und freue mich auf einen günstigen Salat a la Brexit.
Gern warte ich auf den 30. März, werde mir den Sonnenaufgang anschauen und mich freuen, dass die ewigen Nörgler endlich raus sein werden.
PS In der aktuellen Le Monde diplomatique äußert sich Neal Ascherson wesentlich reflektierter als Johnson zum Brexit.
nutzer
Wetten, es kommt nur halb so schlimm wie überall angedroht!
Am 30 März geht die Sonne auf, einige Menschen ärgern sich andere freuen sich, einige verlieren Geld andere gewinnen Geld.
Armageddon ist wann anders.
Der Mann, der unter einem Stein hervorkroch
@nutzer "Wetten, es kommt nur halb so schlimm wie überall angedroht!"
Die Wette gehe ich mit. :-)
Selbstverständlich wird der No Deal Brexit gewisse Verwerfungen mit sich bringen. Aber die angeblichen katastrophalen Folgen sind nichts anderes als Angstmacherei, die allerdings von allen Seiten befeuert wird. Von der EU um Druck auf GB aufzubauen, von den Remainern um den Brexit zu verhindern, von den Anhängern des "May Brexit" um eine Mehrheit für den Deal zu erzielen. Und schließlich auch von den Hardcorebrexiteers, die hoffen den "May Deal" noch zu ihren Gunsten ändern zu können.
Keine der Parteien konnte sich durchsetzen und so werden alle mit dem No Deal leben müssen - es gibt schlimmeres......
Hoffentlich einigt man sich nicht noch in letzter Minute auf eine Verschiebung des Austrittsdatums. Dann hat nämlich ende März der ganze Spuk endlich ein Ende. Ein Ende, daß zwar niemand wollte, aber zumindest ein Ende.
"Keep calm and carry on." :-)
Clara Kreuzer
Was für ein dämlicher Kommentar : Selbst den hardcore-Brexiteers in London ist klar, dass ein No-Deal Brexit katastrophale Folgen für alle Beteiligten hätte. Deren Argument ist es durch eine Phase des Chaos und der Rezession zu gehen, um langfristig zumindest den vermeintlichen Nationalstolz des ehemaligen Weltreichs Britanniens zurückzugewinnen.
Dass die TAZ nicht lieber die Folgen für das Leben der einfachen Menschen in Irland, Gibraltar oder sonst wo beleuchtet ist bezeichnend. Die britische konservative Oberschicht freut sich darauf endlich das Joch der europäischen Umwelt-und Sozialstandards sowie der Finanzmarktregulierung abwerfen zu können. Es zeichnet sich ab, dass der kleine Mann davon eher wenig profitiert wird.
Theloneous Honk
sorry peeps.
it's either the Tories or the Tory's ...
Zwieblinger
@Theloneous Honk Im Englischen ist das richtig. Das hier ist aber ein deutscher Text. Als Genitiv Singular geht laut Duden im Deutschen nur „Torys“, als Plural ist sowohl der grammatikalisch korrekte deutsche Plural „Torys“ als auch die englische Pluralform „Tories“ zulässig.
87233 (Profil gelöscht)
Gast
Die letzten Beiträge von Dominic Johnson waren für mich alles andere als Objektiv.
Das hier - auch mit die ironische Teile - scheint aber sehr passend zu sein.
"Lebbe geht weider" - Dragoslav Stepanovic.
Danke Dominic Johnson.