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Nach Beschluss des BundeskabinettsScholz fordert zwölf Euro Mindestlohn

Der Mindestlohn in Deutschland steigt nächstes Jahr auf 9,19 Euro. Finanzminister Scholz will eine wesentlich stärkere Anhebung.

Mit Merkels CDU als Koalitionspartner lässt sich Scholz' Forderung eher nicht umsetzen Foto: dpa

Berlin dpa | Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat seine Forderung nach einem deutlich höheren Mindestlohn bekräftigt. Er finde, „dass 12 Euro Mindestlohn angemessen sind“, schrieb der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Vizekanzler in einem Gastbeitrag für bild.de. „Am Lohn sollten Unternehmen nicht sparen.“ Derzeit liegt der Mindestlohn bei 8,84 Euro. Er soll 2019 auf 9,19 Euro und 2020 auf 9,35 Euro steigen. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch eine entsprechende Verordnung.

Die FDP wies Scholz' Forderung empört zurück. „Es ist nicht die Aufgabe des Vizekanzlers, aus parteipolitischer Verzweiflung ein Wettrennen beim Mindestlohn loszutreten“, kritisierte Fraktionsvize Michael Theurer.

Die Lohnfindung sei Sache der Tarifpartner, diese Lohnentwicklung fließe dann in die Arbeit der unabhängigen Mindestlohn-Kommission ein. „Wenn Finanzminister Scholz hier politisch eingreift, ist das ordnungspolitisch falsch und ökonomisch unverantwortlich.“

Scholz hatte schon vor einem Jahr einen Mindestlohn von 12 Euro ins Gespräch gebracht. In der großen Koalition ist das allerdings kaum umsetzbar.

Hunderttausende auf Grundsicherung angewiesen

Vor wenigen Tagen hatte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann die SPD angesichts ihrer tiefen Krise zur Schärfung des linken Profils aufgerufen und ebenfalls einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde gefordert.

Er halte das für angemessen, sagte der ehemalige SPD-Bundestagsfraktionschef der Deutschen Presse-Agentur. Denn es gebe einen Niedriglohnsektor, „in dem die Menschen extrem hart arbeiten, aber mit dem Netto nicht zufrieden sein können“.

Die Zahl der Arbeitslosen ist im September zwar auf den niedrigsten Wert seit 1991 gesunken, zugleich sind aber Hunderttausende „Aufstocker“ trotz Arbeit auf Grundsicherung angewiesen.

Mehr als zehn Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr an sogenannte Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einem abhängigen Erwerbstätigen gezahlt, wie aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, auf die die Linke im Bundestag kürzlich aufmerksam machte. Im Jahr zuvor waren es 9,85 Milliarden Euro.

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5 Kommentare

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  • Alles nur Geschwätz, das darüber hinwegtäuschen soll, dass die SPD die Agenda 2010 eingeführt hat. Real haben Scholz und Co nichts gegen die Verarmung on the job unternommen - und das liegt nicht am Koalitionspartner. Seit Jahrzehnten wurde darüber diskutiert, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht. Anstatt neue Modelle sozialer Sicherung zu schaffen, orientierten sich die Regierungen von Schröder/Fischer bis Merkel/Scholz auf den schlecht bezahlten Dienstleistungssektor, der die abqualifizierten Beschfätigten auffangen soll. An diesem Modell wird weder Schwarz/Grün noch Jamaika etwas ändern: Die Politik hat vor den Kapitalinteressen längst die Weiße Fahne gehisst.

  • Diese ·unter 5 %· sind m. E. eine Lüge.

    Wie ich bereits unter

    www.taz.de/Merkel-...-zurueck/!5546277/

    schrieb:



    "Die Arbeitslosenstatistik wird seit Jahrzehnten massiv geschönt.



    Alle, die in Fortbildungen, die krank, die Aufstocker, die prekär beschäftigt sind, kommen darin überhaupt nicht vor.



    Das sind Millionen Menschen."

    Wieso werden diese – vorsichtig ausgedrückt – geschönten 5 % ständig (besonders in der taz) wiederholt?



    Wie wär's mit der Wahrheit?

    Ach so, die Agentur für Arbeit hat's gesagt… ja dann …

    www.tagesschau.de/...senzahlen-101.html

  • Oh das ist aber nett Herr Scholz. Fällt wohl unter Polulismus in Reinform. Das j e t z t zu sagen bringt ja leider genau nix, und das weiß eh jeder.

    Ich bin auch für Schokokuchen jeden Morgen frisch geliefert an jeden Haushalt in dem Kinder wohnen. Wenn Kinder wählen dürften würden sie mich vielleicht wählen.

    So eine Aussage eines immerhin Vize-Kanzlers könnte schon Wirkung zeigen, wenn er sich mal aus dem Fenster lehnen und sagen würde:

    "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Erhöhung des Mindestlohns essentiell ist für den sozialen Zusammenhalt, und wenn es uns nicht gelingt, sie bis Mitte nächsten Jahres mit unserem Koalitionspartner zu beschließen, so dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode schrittweise umgesetzt wird, dann werden wir diese Koalition beenden."

    Das wäre mal eine Ansage, die immerhin einen Effekt beinhaltet. Da könnte sich ja manch einer sogar wieder überlegen, dass SPD wählen vielleicht sogar Sinn macht. Aber vor solcher Klarheit haben diese ganzen Politakteure ja pure Angst, viel zu sehr abhängig von ihren Posten und der (Geld-)Wirtschaft, als dass man Rückgrat von ihnen erwarten dürfte.

    Also nichts als ein Rauchsignal von Herrn Scholz. Abgesehen davon, dass 12 Euro die Stunde eh zu wenig ist. Aber wenigstens mal eine Verbesserung, die sich nicht nur im cent-Bereich abspielt.

  • Für Rentenanspruch bedürfte es schon 14,60 Euro-Std.

    Laut der früheren Bundesarbeitsministerin von der Leyen bedürfte es über einen Zeitraum von 35 Jahren einen durchschnittlichen Bruttomonatslohn von 2.500 Euro, um eine Altersrente auf dem Niveau der Sozialhilfe zu erhalten. Das wäre aktuell ein Mindestlohn von 14,60 Euro.-Std. brutto, um dann einen eigenständigen Anspruch auf eine Altersrente in Höhe der Sozialhilfe, bzw. gesetzlichen Grundsicherung, zu erwerben. Derzeit erreichen Frauen, vor allem in Westdeutschland, ohne Beamtenposten und ohne Pensionsanspruch, nur 32/32 Erwerbsjahre für einen Anspruch aus der GRV. Die Mehrzahl der westdeutschen Frauen erhält nur eine eigenständige Altersrente unterhalb der Sozialhilfe, bzw. weit unterhalb der Armutsgrenze. Demnach befinden sich auch Millionen (westdeutsche) Frauen in einer freiwilligen und/oder unfreiwilligen Rentenehe, damit in Abhängigkeit von der Altersrente, oder der Beamtenpension, des Ehemannes.

    Keine gut-geschmierte und bürgerliche Parlamentspartei beschäftigt sich ernsthaft mit diesem unsozialen Zustand für Millionen GeringverdienerInnen! So vor allem auch deshalb, um eine Erhöhung des gesetzlichen Armuts- und Ausbeutungslohns, für erwerbstätige Frauen und Mütter, langfristig zu verhindern. Zugleich damit auch die Abhängigkeit und soziale Unterwerfung der Frau, immer noch vom Lebenspartner und Ehemann, fortzuschreiben. Dabei auch trotz allem Emanzipationsgeschwafel in bürgerlichen Parteien, Parlament und Regierung.

    • @Reinhold Schramm:

      @ Reinhold Schramm



      Danke für diese treffend beschriebenen Zustände für Frauen in diesem Land!

      Wirkliche Gleichstellung sieht anders aus.



      Gleichberechtigung auch.



      Aber jetzt kommen ja die Gockel an's Ruder, da wird's endlich besser, bestimmt.^^

      "Keine gut-geschmierte und bürgerliche Parlamentspartei beschäftigt sich ernsthaft mit diesem unsozialen Zustand für Millionen GeringverdienerInnen!"



      Stimmt auffallend.



      Wobei Geringverdiener*in immer so negativ klingt.



      Ich weiß, es ist der offizielle Terminus, klingt aber doch so, als würden diese Menschen auf der faulen Haut liegen.



      Ist sicher Absicht von den da oben, damit sich die Aufregung und Proteste in Grenzen halten bzw. erst gar nicht stattfinden.



      Pflegediensthelferin in der ambulanten Pflege: Geringverdiener*in ohne Chance auf eine Rente, sondern es wird nur Grundsicherung. Faul kann frau/man in diesem Job nicht sein, im Gegenteil, frau/man arbeitet sich für Mini-Kohle im Schichtdienst bis zur Burnout-Erschöpfung auf.



      Belohnung: Grundsicherung.



      Es gibt unendlich Beispiel für diese Ungerechtigkeit.

      Ein ausreichendes BGE würde die Situation sofort verbessern.