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Kommentar Mays ParteitagsauftrittNeue Stärke, alte Schwächen

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Beim Parteitag der britischen Konservativen zeigte sich Theresa May souverän. Wie sie in Brüssel punkten will, bleibt aber rätselhaft.

Ihr geht es nicht nur um Europa, sondern auch um britische Innenpolitik: Theresa May Foto: reuters

S ie tanzte zu Abbas „Dancing Queen“ auf die Bühne, sie hielt eine souveräne Rede, sie strahlte Zuversicht aus: Alles, was zuletzt der britischen Premierministerin abhandengekommen zu sein schien, war bei Theresa Mays Auftritt zum Abschluss des Jahresparteitags der regierenden Tories plötzlich wieder da. Es ist, als zöge Großbritanniens glücklose Regierungschefin geradezu Stärke aus dem Gegenwind, der ihr in Brüssel und innerhalb des eigenen Lagers ins Gesicht bläst. Diese Premierministerin wird das Land so schnell nicht los – es sei denn, die Parlamentarier in Westminster nähmen dafür den eigenen politischen Untergang in Kauf.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die tiefen Gräben in der britischen Politik in Bezug auf den Brexit plötzlich zugeschüttet wären. Dass Theresa May ihr Brexit-Konzept jetzt ein Freihandelsabkommen nennt, womit bisher ihre Gegner ihre eigenen Konzepte bezeichnet hatten, verwirrt mehr, als es erhellt. Wie die Britin jetzt in Brüssel punkten will, bleibt rätselhaft. Außer sie nutzt ihre neue Stärke in der eigenen Partei dafür, neue Zugeständnisse an die Europäische Union zu machen – in der irrigen Hoffnung, dass das nicht auffällt.

Aber wer behauptet, die Briten wären vor lauter Brexit plötzlich alle verrückt geworden und könnten Probleme nur noch schaffen, aber nicht lösen, der dürfte durch diesen Parteitag der Konservativen ebenso wie durch den Labour-Parteitag in der Vorwoche eines Besseren belehrt worden sein. Was die Menschen bewegt, ist nicht Europa, sondern die britische Innenpolitik, von der Rolle des Staates in der Wirtschaft bis zur Wohnungskrise. Die linke Opposition sprüht vor Ideen, manche merkwürdig, aber alle diskussionswürdig. Die konservative Regierung, voller un­geduldiger junger Minister, dürfte mit dem von May verkündeten Ende der Sparpolitik auch ein Ende der eigenen Ideenlosigkeit einläuten.

Europa könnte davon lernen. Es gibt Gründe dafür, dass in Großbritannien entgegen dem Anschein populistische Strömungen eine Randerscheinung der Politik bleiben und dass es das so ziemlich letzte westeuropäische Land mit einem soliden Zweiparteiensystem ist. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass Wahlen etwas ändern können, stabilisieren sich Politik und Gesellschaft. Gerade auch deswegen ist das Gerede von einem zweiten Brexit-Referendum, das das erste rückgängig macht, so fahrlässig.

Besser wäre es, den Brexit dafür zu nutzen, überfällige Veränderungen in Großbritannien endlich anzugehen. May und Corbyn haben jedenfalls bewiesen, dass sie dazu bereitstehen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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4 Kommentare

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  • May und Corbyn mögen alles mögliche bewiesen haben, nur nicht, dass wir sie wollen. Mit einem Brexit werden keine Probleme gelöst, so ein Blödsinn! Falls sich die Briten aus der Union lösen, können sich alle entspannt zurücklehnen und weitermachen wie zuvor.

    Nur ein Rücktritt mit einem ersten Referendum zu den (nicht vorhandenen) Verhandlungsergebnissen, kann zum Umdenken führen, würde Aufbruch bedeuten. Selbst wenn die EU entscheidet, nach dem Rücktritt vom Brexit ist wie alles wie zuvor, wäre nichts mehr wie früher. Die Briten hätten nicht den Verträgen von Rom, sondern denen von Lissabon zugestimmt. Damit wird eine Politik Camerons unmöglich.

    Zudem wandelt sich das Land. Mit den Liberalen etabliert sich eine dritte Kraft. Die Europawahlen haben deutlich gemacht, dass auch die Grünen im UK an Bedeutung gewinnen. Die Altparteien haben abgewirtschaftet. Nur massive Medienkampagnen halten sie noch an der Macht. Doch ohne Mehrheitswahlrecht hätte May schon lange keine Mehrheit mehr.

  • Man kann sich vieles schön reden. Weil die völlig chaotische Vorbereitung für den Brexit alles erstickt, entpuppen sich die "anderen Themen" wie die Wohnungskrise eher als Schnuller für Parteiaktivist*en, damit sie endlich aufhören zu heulen.

    Das "solide Zweiparteiensystem" ist über die Jahre zu einem Zweiparteienstaat geworden, mit dem einen oder anderen "support gig" der Liberals oder der nordirischen DUP. Eine Regierungsform, die seit sehr langer Zeit nicht erneuert worden ist und an der die Ratten nagen wie am zerbröckelnden House of Commons.



    Es hat eine starke Umweltbewegung ausgeschlossen (Caroline Lucas hat in Brighton gewonnen, als einzige Grüne). Wer also z.B. 30% der Stimmen bekommt in GB, aber in jedem Wahlkreis von einer anderen Partei überholt wird, 30.5% würden dafür reichen, wird keinen einzigen Abgeordneten im Parlament stellen.



    Das first-past-the-post System hat große Schwächen. Wer z.B. den Klimawandel für das wichtigste Thema der Gegenwart hält, hat keine Stimme, denn bei Labour ist das kein vorrangiges Thema.



    Eine gewisse Stärke dieses monolithischen Systems beweist sich allenfalls in Krisenzeiten, wo Karrierist*en mit simplen Erklärungen und verengter Pupille, die Pupillist*en, an die Macht drängen. Die Ukip ist inzwischen bedeutungslos (sie hätten mehr Sitze als die Grünen bekommen).



    Der Preis, der für dieses System bezahlt wird, ist jedoch hoch, da die Wahlbeteiligung niedrig ist und sich kaum jemand repräsentiert fühlt. Es wäre interessant, diese Frage am Beispiel von Frankreich zu untersuchen, wo beide Wahlsysteme wechselweise ausprobiert wurden.



    Wenn gut geht, bleibts bei einer autoritären Stabilität (immer noch besser als Pupillismus). Wenns schlimm kommt, setzt sich selbst in diesem hermetisch abgekapselten System der große Erwecker durch, und die Tories werden zur BJP (Boris Johnson Party).

  • Ich freue mich auf den 30. März 2019 0:00, da die EU dann hoffentlich den aktivsten Bremsklotz einer weiteren EU-Integration verliert. Was hat das UK je für die EU getan? Genörgelt, gebremst, die Bankenderegulierung überall hoffähig gemacht und bei jeder Gelegenheit als us-amerikanisches U-Boot gedient, um jegliche Abweichnung vom Neoliberlismus zu torpedieren.

    Aber um die britische Innenpolotik braucht man sich keine Sorgen machen. Auch weiterhin wird die EU an allem Schuld sein. Vor dem Brexit wurde das UK von Brüssel behindet, weil es drinnen war, nach dem Breixt wird es behindert, weil es draussen ist. Die EU bleibt weiter an allem Schuld. Da sieht man schon daran, dass die EU völlig unfähig ist dem UK einen fairen, für das UK vorteilhaften Deal anzubieten.

  • Der Witz der Woche: kaum Populisten in UK! In den USA ja auch nicht. Die haben auch ein super stabiles Zweiparteiensystem.



    Das Wahlsystem sorgt dafür, dass Populismus innerhalb der Konservativen (z.T. auch für Labour zutreffend) stark wird.