Vor dem EU-Gipfel in Brüssel: Brexit, letzter Akt
Nächste Woche wird entscheidend. Entweder London und Brüssel einigen sich über Großbritanniens EU-Austritt – oder es kracht.
Die Sorge ist berechtigt, denn in London braut sich ein politischer Sturm zusammen. Der frühere Brexit-Minister David Davis, der im Juli aus Protest gegen die Linie der Premierministerin Theresa May zurückgetreten war, rief seine ehemaligen Kabinettskollegen in der Sunday Times offen zur Rebellion auf. Auch die nordirische protestantische Partei DUP lehnt die bisher bekannt gewordenen Pläne ab – sie könnte nun May die parlamentarische Unterstützung entziehen und damit die Regierung stürzen.
Dass sich die Lage dramatisch zuspitzen würde, zeichnete sich schon länger ab. Bereits beim letzten EU-Gipfel im September in Salzburg kam es zum Eklat. EU-Ratspräsident Donald Tusk fegte Mays Pläne für ein selektives Freihandelsabkommen undiplomatisch vom Tisch – die konservative Regierungschefin musste noch einmal bei Null anfangen und zugleich so tun, als habe sich nichts geändert. Dies stürzt sie nun in neue, kaum lösbare Widersprüche.
Zum Verhängnis könnte May vor allem der Streit über den sogenannten „Backstop“ für Nordirland werden. Diese „Auffanglösung“ wird nötig, wenn es nach dem bereits vereinbarten Brexit-Datum 29. März 2019 und der bis Ende 2020 laufenden Übergangsphase, während der alle bisherigen Regeln weiter gelten, kein neues Abkommen über die zukünftigen Handelsbeziehungen Großbritanniens mit der EU geben sollte. Sie soll eine harte Grenze zwischen dem dann bereits aus der EU ausgeschiedenen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vermeiden.
Hoffen insgeheim, Großbritannien halten zu können
Zuletzt war geplant, dass Nordirland dann weiter in der Zollunion mit der EU bleibt. So könne man Grenzkontrollen zwischen beiden Teil der irischen Insel auf ein Minimum reduzieren, heißt es in Brüssel. Allerdings könnte dann eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs entstehen – für Nordiren ein absolutes „No-go“.
Dies käme einer „dauerhaften Annexion Nordirlands“ durch die EU gleich, warnt DUP-Chefin Arlene Foster. Auch bei den Brexit-Hardlinern in London lässt der EU-Plan alle Alarmglocken schrillen. Sie fürchten, dass Nordirland oder gar ganz Großbritannien auf unabsehbare Zeit in einer Zollunion mit der EU steckenbleiben.
May versucht zwar bereits, die Sorgen zu zerstreuen. Die Zollunion werde befristet, auch wenn sie noch kein Enddatum nennen könne. Doch damit hat May indirekt zugeben, dass Großbritannien nicht nur während der Übergangsphase, sondern auch danach noch eng an die EU gebunden bleibt. Erst wenn ein Freihandelsabkommen oder ein anderes neues Statut in Kraft tritt, wäre der Brexit vollendet.
Danach muss May den Deal durch ihr Kabinett bringen
Der EU käme dies entgegen: Ratspräsident Tusk und viele andere EU-Politiker hoffen insgeheim, Großbritannien in der Union halten zu können. Die EU-Unterhändler wollen die künftigen Beziehungen denn auch möglichst vage halten; Brüssel legt sich nicht fest.
Einen endgültigen und rechtsverbindlichen Deal strebt die EU hingegen beim Austrittsabkommen an – einschließlich des umstrittenen Backstops für Nordirland. Die Einigung soll schon an diesem Montag stehen. Danach muss May den Deal allerdings durch ihr Kabinett bringen. Dies ist für Dienstag geplant, könnte aber heikel werden – weshalb EU-Diplomaten die Devise ausgegeben haben, Details der Einigung geheim zu halten.
„Deal gemacht. Nichts öffentlich gemacht (in der Theorie)“, heißt es in einer internen Note für die letzte Phase der Verhandlungen. Doch was passiert, wenn pikante Details durchsickern und May noch mehr in Bedrängnis gerät? Auch für diesen Fall ist die EU vorbereitet. Schon Mitte November könnten sich die Staats- und Regierungschefs erneut in Brüssel treffen, um über die Folgen eines ungeordneten Austritts zu beraten.
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