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Nach ChemnitzAuf Köthens Straßen

Nach einem Todesfall in Sachsen-Anhalt mobilisieren rechte bis rechtsextreme Gruppen nach Köthen. Viele, die mitlaufen, sind organisierte Nazis.

Rund 2.500 Menschen nahmen an dem sogenannten Trauermarsch teil Foto: dpa

Köthen taz | Als sich am Sonntagabend gegen 19 Uhr der sogenannte Trauermarsch in Köthen in Bewegung setzt, hat die Polizei die – vorläufigen – Ergebnisse aus dem Obduktionsbericht bereits mitgeteilt. Der Mann, 22, ein Deutscher, der in der Nacht zu Sonntag nach einer Auseinandersetzung mit zwei afghanischen Männern in Köthen starb, so heißt es da, sei „einem akuten Herzversagen erlegen, das nicht im direkten kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen steht.“

Das kann vieles heißen – oder gar nichts.

Mit den „erlittenen Verletzungen“, damit ist gemeint: Mit den Verletzungen, die ihm mutmaßlich ein 18- sowie ein 20-jähriger Mann – beide laut Polizei afghanische Staatsbürger, Asylbewerber, beide inzwischen in Untersuchungshaft – zuvor zugefügt haben könnten. Dies, so teilt die Polizei mit, sei der Stand nach „einem ersten, mündlich übermittelten Obduktionsergebnis.“

Was genau sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf einem Spielplatz in Köthen, Sachsen-Anhalt, zugetragen hat – das ermittelt die Polizei derzeit noch.

Köthen ist das neue Chemnitz

Zu diesem Zeitpunkt, am Sonntagnachmittag, ist Köthen bereits fast zu einer neuen Metapher geworden, glaubt man den Beiträgen, die im Internet die Runde machen. In rechten und rechtsextremen Gruppen, via WhatsApp und Facebook, wird bereits dazu aufgerufen, in die Kreisstadt in Sachsen-Anhalt zu kommen; so wie vor zwei Wochen, in Chemnitz.

Als der „Trauermarsch“ am Sonntagabend beginnt, sind mehrere hundert Menschen dem Aufruf gefolgt, zahlreiche aktive und ehemalige NPD-Aktivisten sind in Köthen versammelt, viele Männer, die Freien Kameradschaften angehören, auch Angehörige der Neonazi-Partei „Die Rechte“ haben zu der Demonstration aufgerufen. Einige tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Division Sachsen-Anhalt“, auf anderen T-Shirts steht „Legion Nord Thor Steinar“. Auf dem Rücken eines Mannes in einem roten Pullover steht „Volksgemeinschaft. Einer für alle, alle für einen. Familie, Volk und Vaterland.“

taz-Kaul in Köthen

taz-Reporter Martin Kaul war am Sonntag vor Ort in Köthen und hat per Periscope und Twittermehrfach ausführlich Livevideos gestreamt.

Die einzelnen Videos finden sich hier:

Video ab 19.05 Uhr, in dem er die Trauerversammlung auf der Spielplatz besucht, auf dem der 22-Jährige in der Nacht zuvor zu Tode kam.

Video ab 19.20 Uhr, das unter anderm die explizit rechtsradikale Rede eines Thügida-Sprechers dokumentiert. Am Ende wird Martin Kaul von Umstehende bedrängt und attackiert. Er berichtet später auf Twitter, dass ihn die Polizei rausgeholt habe.

Video ab 20.32 Uhr, in dem er unter anderem die rechtsextreme Demonstrantion durch Köthen begleitet.

Video ab 21.18 Uhr, in dem er unter anderem die von der Polizei eingekesselten linken Gegendemonstranten besucht.

Weitere Livestreams gab es von dem Buzzfeed-Reporter Marcus Engert, der vor Ort so attackiert wurde, dass sein T-Shirt zerrissen wurde.

Es sind sicher nicht nur organisierte Neonazis, die hier, zunächst schweigend, mitlaufen. Aber viele derjenigen, die hier mitlaufen, sind organisierte Neonazis. Auch als sie am Spielplatz in der Franzstraße ankommen, wo in der Nacht zuvor die Auseinandersetzung stattfand, sind sie still. Die meisten schweigen.

Erst als um 20 Uhr ein Mann namens David Köckert, im Gesicht stark tätowiert, zum Mikrofon greift, ändert sich die Stimmung, mit einem mal. Köckert ist Gründer der extremistischen Thügida-Bewegung in Thüringen gewesen, ehemaliger NPD-Kader, Stadtrat in Greiz, eigens angereist heute, wie einige andere Neonazi-Kader auch, die ebenfalls nicht aus Köthen stammen. Köckert schreit jetzt, er hetzt, im wahrsten Sinne des Wortes.

„Ein Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“

Köckert wird nun sagen, dass es nichts nützt, nur zu demonstrieren, „rumzublöken“, wie er sagt. Dass es nichts nützt, nur „Dampf abzulassen“. Er sagt: „Das einzige, was diese Scheiß-Biep-Kunden verstehen, ist wenn man sie zuhause stellt, wenn man vor ihren Türen auf sie wartet. Wenn sie genau das wiederbekommen, was sie uns zumuten, und zwar Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

Da klatschen die, die drumrumstehen.

Köckert wird vorrechnen, dass „die Weißen“ weltweit zurückgedrängt werden; er wird sagen, dass sie sich wehren müssten. Köckert, wie er so dasteht eigentlich eine bemitleidenswerte Erscheinung, wird sagen: „Und zwar ist es Krieg und das kann man wirklich so sagen. Ein Rassenkrieg gegen das deutsche Volk, was hier passiert und dagegen müssen wir uns wehren. Wollt ihr weiterhin die Schafe bleiben, die blöken, oder wollt ihr zu Wölfen werden und sie zerfetzen?“

Da klatschen sie wieder. Es ist die klassische Sprache eines Volksverhetzers; vorbestraft übrigens – wegen Volksverhetzung. Aber die Polizei schreitet nicht ein. Die Menge, die um ihn herum steht, jubelt und klatscht, wie er so spricht.

2.500 Demonstranten

In der ersten Reihe stehen vor allem Männer, im klassischen Gestus des Nazihooligans; aber auch einige Frauen. Es werden noch einige weitere Redner folgen, Männer stets, und wiederholt werden sie hier „zum offenen Mikrofon“ rufen, in der Hoffnung, dass auch Köthener selbst sich zu Wort melden, doch das geschieht zunächst nicht. Dann, ganz am Ende, meldet sich eine junge Frau, die sagt, sie sei 23 Jahre alt und aus Köthen und sie sagt, in Richtung Journalisten: „Ihr sollt Euch mit Euren scheiß Kameras verpissen. Wir brauchen Euch hier nicht.“

Als sich schließlich die Demonstration erneut in Bewegung setzt, ist es eine wütende, rufende Menge. Meist sind es Männer, die skandieren „Deutschland den Deutschen, wir sind das Volk“ oder „Kriminelle Ausländer raus“. Die Polizei, die stark in der Stadt präsent ist, mit Einsatzkräften, die etwa aus Göttingen und Dresden zur Verstärkung gekommen sind, begleitet die Demonstration.

Am Ende des Abends wird die Polizei mitteilen, dass sich 2.500 Demonstranten an der Demonstration in der 26.000-Einwohner-Stadt beteiligt haben. Die Gegendemonstration, spontan ins Leben gerufen vom Bündnis „Dessau Nazifrei“, zählte nach Polizeiangaben 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die teils aus Berlin angereist waren. Diese reisten unter Polizeischutz ab, herauseskortiert aus der Stadt, vielleicht, um nicht den Wölfen zu begegnen.

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7 Kommentare

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  • Alles richtig die schelte auf die Nazis. Zu einer Berichterstattung gehört aber auch die Frage warum ein schwer Straffällig gewordener Mensch frei herumlaufen kann und noch mehr schwere Straftaten begehen kann.

    • @Klartexter:

      Sie fragen, warum "ein schwer straffällig gewordener Mensch frei herumlaufen kann."

      Das liegt daran, dass Straftäter in Deutschland in der Regel erst dann ins Gefängnis kommen, wenn sie rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden sind.



      Während des Ermittlungsverfahrens sind sie noch nicht im Gefängnis, weil sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht schuldig gesprochen sind. Ein Rechtsstaat zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass er Leute erst bestraft, wenn deren Schuld von einem Gericht festgestellt wurde.



      Die Ausnahme ist die Untersuchungshaft, dafür gelten aber strenge Bedingungen - genaueres finden Sie hier: de.wikipedia.org/w...haft_(Deutschland)

      Spiegel Online schreibt dazu: "Einer der beiden hätte in Kürze abgeschoben werden sollen. Das Einverständnis dazu haben die Staatsanwaltschaft erst am 6. September nach Beendigung mehrerer Ermittlungsverfahren erteilt."www.spiegel.de/pol...eme-a-1227298.html Dieser Meldung kann man entnehmen, dass die Ermittlungsverfahren erst kürzlich abgeschlossen worden sind.

  • Wenigstens hätte im Beitrag positiv vermerkt werden können, dass es, trotz aller dort zitierten Parolen, keine Toten, Verletzten, Sachschäden und auch keine Polizeibrutalität gab.



    Denn das ist heutzutage bei Demos durchaus nicht selbstverständlich!

  • 9G
    91751 (Profil gelöscht)

    "„Das einzige, was diese Scheiß-Biep-Kunden verstehen, ist wenn man sie zuhause stellt, wenn man vor ihren Türen auf sie wartet. [...] wollt ihr zu Wölfen werden und sie zerfetzen?“

    Schön. Ich war zwar schon auf so mancher Demo die aufgelöst wurde weil 1% ne Sonnenbrille aufhatten und Tücher vor dem Mund, aber wahrscheinlich wusste die Polizei nur nicht ob das legal sei oder nicht, oder der Einsatzleiter war wieder so ein Einzelfall. Jedenfalls kein Grund die Polizei zu kritisieren oder gar zu behaupten dass ein großteil Nazis in Uniformen sind.



    Werden die verantwortlichen Bullen eigentlich bestraft wenn sie so etwas zulassen?

    • @91751 (Profil gelöscht):

      Unwahrscheinlich.

      Offenbar starten die verantwortlichen Polizisten genau deswegen nicht einmal den Versuch herauszufinden, ob sie was Falsches tun, wenn sie nicht einschreiten in solchen Fällen. Es ist die uralte Dreifaltigkeit: Sie müssen und sie wollen nicht, weil sie nicht wüssten, wie das gehen soll. Die Zeitung, schließlich, hat es ja auch nicht recherchiert und anschließend berichtet. Sie hat nur mitgeteilt, was sie erwartet hat so aus dem bauch heraus. Das ist ja schon mal was...

  • Faktenanalyse

    »sei „einem akuten Herzversagen erlegen, das nicht im direkten kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen steht.“



    Das kann vieles heißen – oder gar nichts.« – So ist es!

    Ohne den vorausgegangenen Konflikt auf dem Spielplatz auch kein Todesopfer!

    Die Ursachen und die Folgen für das (spätere) Todesopfer nicht kleinreden

    Der Hebel für seinen frühen Tod lag in der psychischen und physischen Gewaltsituation auf dem Kinderspielplatz. Damit ist auch die psychische Belastungs- und körperliche Konfliktsituation der Auslöser für seinen Tod.

    Alles andere gehört in die medizinische Disziplin und in die juristische Auslegung und Interpretation und dient damit zugleich auch der gefälligen parteipolitischen Ablenkung der Bevölkerung von den kausalen Ursachen (vom tatsächlichen Zusammenhang mit dem ursächlichen Konflikt zwischen den daran Beteiligten).

    PS: Die objektive Faktenanalyse macht aus einen Analysten keinen Rassisten, bzw. keinen Fremdenfeind.

    • @Reinhold Schramm:

      Solange die "Faktenanalyse" auch objektiv bleibt. Womit belegen Sie denn Ihre Aussage, dass ein kausaler Zusammenhang definitiv besteht "Ohne den vorausgegangenen Konflikt auf dem Spielplatz auch kein Todesopfer!" ?

      Haben Sie mehr Informationen über das bestehende Herzleiden des Toten, oder über die genaue Art und schwere der ihm zugefügten Verletzungen und den Einfluss derselben auf Psyche und Körper, als die untersuchenden Experten?

      Schöne Formulierungen machen aus einer subjektiven Meinung noch lange keine objektive Faktenanalyse...