Der Mann vom LKA

Bei einer Anti-Merkel-Demo lässt ein Teilnehmer einen ZDF-Kameramann von der Polizei aufhalten. Nun stellt sich heraus: Er arbeitet fürs LKA Sachsen

„Sie haben mich ins Gesicht gefilmt“ – ­Szene aus dem Frontal-21-Beitrag aus Dresden Screenshot: ZDF

Von Malene Gürgen
und Martin Kaul

Er wolle ein positives Bild von Sachsen erzeugen, hatte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bei seinem Amtsantritt im letzten Dezember gesagt. Angesichts der aktuellen Nachrichten aus dem Freistaat dürfte das nicht so einfach sein: Tagelang wurde über den Polizeieinsatz gegen ein Journalistenteam des ZDF diskutiert, den ein Pegida-Demonstrant am letzten Donnerstag ausgelöst hatte.

Seitdem wurde öffentlich über eine womögliche besondere Nähe zwischen sächsischer Polizei und Pegida diskutiert. Am Mittwochabend dann gab das sächsische Innenministerium bekannt: Bei dem Mann handele es sich um einen „Tarifbeschäftigten“ des sächsischen Landeskriminalamt (LKA) – und die Debatte bekam neue Brisanz.

Am Donnerstag beschäftigte sich der sächsische Innenausschuss in einer nichtöffentlichen Sitzung mit dem Fall. Der Polizeipräsident habe dort erklärt, der LKA-Angestellte sei im Ermittlungsdezernat für Wirtschaftskriminalität tätig, sagte der sächsische Innenpolitiker Enrico Stange (Linke) der taz.

Dort habe er auch Zugriff auf Ermittlungsakten – dass dies auch für weitere Bereiche des LKA gelte, habe der Polizeipräsident nicht ausschließen können. Mit Verweis auf die Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitern wollte sich das sächsische Innenministerium am Donnerstag nicht offiziell zur genauen Tätigkeit des Mannes äußern.

Dieser war in den letzten Tagen deutschlandweit bekannt geworden. Am Rande einer Pegida-Demonstration zum Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden hatte der Mann, ausgestattet mit schwarz-rot-goldenem Deutschlandhut, ein Fernsehteam des ZDF um den Journalisten Arndt Ginzel verbal attackiert. Anschließend hatte die Polizei die Journalisten 45 Minuten festgesetzt, um ihre Personalien aufzunehmen.

Darf ein LKA-Angestellter privat auf Pegida-Demos gehen?

Die Pflicht zur politischen „Mäßigung“ gilt nur für Beamte. Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst heißt es für Angestellte: „Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen.“ Hoheitlich tätig ist das Landeskriminalamt Sachsen. Allerdings gilt Pegida bisher nicht als Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat und wird weder vom Verfassungsschutz im Bund noch vom Landesamt in Dresden beobachtet. Mit dem bloßen Besuch einer Pegida-Demo würde ein LKA-Mitarbeiter also nicht gegen seine Dienstpflichten verstoßen.

Darf die Polizei die Personalien von Journalisten aufnehmen?

Wenn ein Journalist von einem Bürger angezeigt wird, darf die Polizei grundsätzlich die Personalie aufnehmen. Journalisten stehen nicht über dem Gesetz. Dem Vorwurf von Straftaten muss die Polizei nachgehen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Anzeige nicht offensichtlicher Blödsinn ist oder offensichtlich dazu dient, jemand falsch zu beschuldigen oder zu belästigen. Zeitliche Obergrenzen für die Dauer einer Identitätsfeststellung gibt es nicht. Für die Polizei gilt aber stets das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das heißt, sie muss Eingriffe in die Rechte der Bürger so gering wie möglich halten. In Dresden gab es zwei Strafanzeigen – eine wegen unerlaubten Filmens, die andere wegen Beleidigung – gegen die gleichen Journalisten. Es ist nicht ersichtlich, warum deshalb die Identität des ZDF-Teams zweimal direkt hintereinander überprüft werden musste. Aus dem ZDF-Video geht nicht hervor, warum insbesondere die zweite Überprüfung länger als eine halbe Stunde dauerte.

Dürfen Journalisten Menschen filmen?

Seit Mai gilt die EU-Datenschutz-Grund­verordnung, wonach für jede Datenerhebung die Einwilligung des Betroffenen erforderlich ist. Wie das Oberlandesgericht Köln im Juni entschieden hat, ist daneben aber das Kunsturhebergesetz (KUG) zumindest für Journalisten weiter anwendbar. Journalisten dürfen deshalb „Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben“ weiter ohne deren Einwilligung verbreiten.(chr)

Ein zweiter Demonstrant hatte außerdem Anzeige gegen Ginzel erstattet, weil der ihn beleidigt habe. Bei ihm handelt es sich offenbar um René S., der 2015 die flüchtlingsfeindlichen Proteste im sächsischen Freital mitorganisiert hatte. Filmaufnahmen Ginzels belegen, dass der Vorwurf haltlos ist.

Ginzel hatte auf Twitter ein Video von dem Vorfall veröffentlicht. In den vergangenen Tagen wurde daraufhin diskutiert, warum die Polizei überhaupt so lange auf die Beschwerden des Mannes mit dem Deutschlandhut einging. In Paragraf 23 des Kunsturhebergesetzes heißt es: „Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben“, dürften ohne Einwilligung verbreitet werden. Gegen das Argument, der Demonstrant habe sich gar nicht mehr auf einer Demonstration befunden, spricht, dass munter weiter skandiert wurde. In den Filmaufnahmen ist das dokumentiert.

„Die Vorgänge in Sachsen sind wirklich besorgniserregend und müssen dringend und umfassend durch die sächsischen Behörden aufgeklärt werden“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) am Donnerstagmorgen. Am Nachmittag erklärte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Ich will mich da ausdrücklich zur Pressefreiheit bekennen. Jeder, der an einer Demonstration teilnimmt, muss wissen, dass er Objekt dieser Pressefreiheit ist.“

Der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki forderte, ein Disziplinarverfahren gegen den LKA-Angestellten einzuleiten. Auch der Grünen-Politiker Cem Özdemir und der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch kritisierten die Teilnahme des LKA-Manns an der Pegida-Demonstration scharf. Die deutsche Polizeigewerkschaft wies den Vorwurf rechter Tendenzen in der sächsischen Polizei hingegen zurück.

In der sächsischen Regierung gibt es offenbar unterschiedliche Einschätzungen zum richtigen Umgang mit dem Fall. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) wies den Vorwurf zurück, die Polizei habe sich von den Demonstranten ins­tru­mentalisieren lassen und versprach „zügige Aufklärung.“ Der sächsische CDU-Fraktionsvorsitzende, Frank Kupfer, kommentierte den Frontal-21-­Beitrag zu dem Fall auf Facebook mit den Worten: „Öffentlich rechtliche … dafür bezahlen wir Beiträge“.

Ministerpräsident Kretschmer warnte am Donnerstagvormittag vor Vorurteilen gegenüber der sächsischen Polizei: „Hier werden viele Dinge vermengt, die so nicht zusammengehören“, sagte er. Ihm sei daran gelegen, „die Situation zu versachlichen und mit Ruhe zu bewerten“. Kretschmer bekräftigte sein Vertrauen in die sächsische Polizei, diese leiste eine „ganz wichtige Arbeit“.

Die sächsische Staatsministerin für Kunst und Wissenschaft, Eva-Maria Stange (SPD), erklärte hingegen: Das, was dem ZDF-Team geschehen sei, bereite ihr Sorgen. „Wir sind nun offenbar in der Situation, die Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen zu müssen.“

Gegen Angriffe auf die Meinungsfreiheit müsse „eine klare rote Linie gesetzt werden von allen, die den Staat repräsentieren“. Sie könne „nur hoffen, dass genügend Aufklärungswille da ist“. Stange sagte weiter, die Polizei habe die Verantwortung, Journalisten zu schützen, „so wie das auch in anderen Bundesländern der Fall ist“.