Debatte Brückeneinsturz in Italien: Die Gönner der Benettons
Bei der Suche nach Schuldigen geraten die Benettons unter Druck. Die Geschwister sind für die Instandhaltung weiterer Autobahnstrecken zuständig.
I n diesen aufgewühlten Tagen nach dem Einsturz der Morandi-Brücke hat sich so mancher in der Wortwahl vergriffen: „Das ist unser Ground Zero“, kommentierte der sozialdemokratische Bürgermeister von Genua. Worauf man sich unweigerlich fragt: Und wer sind dann die Terroristen? Unternehmen wie Autostrade per l’Italia, das der Familie Benetton gehört und knapp die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes betreibt? Oder die italienischen Politiker, die ihnen diese Autobahnen großherzig überlassen haben?
43 Menschen starben unter den Trümmern – und das am Tag vor Ferragosto, dem italienischsten aller Feiertage, der traditionell mit einem ausgiebigen Mittagessen im Familien- und Freundeskreis begangen wird. Für die Unternehmerfamilie Benetton wurde das Familienessen an Ferragosto allerdings zum PR-Fiasko: Während die Italiener es bereits als Taktlosigkeit empfanden, dass die Benettons ganze zwei Tage brauchten, um endlich ihre Trauer zu bekundeten, waren sie fassungslos, als sie erfuhren, dass die Familie nach dem Unglück nicht auf ihr Festmahl im eleganten Cortina verzichtete.
Der Mangel an Feingefühl erstaunt. Schließlich sind die Benettons erst dank ihrer geschickten Öffentlichkeitsarbeit reich und berühmt geworden. Stets stellten sie sich auf die Seite der Schwachen. Fotos von einem todgeweihten Aidskranken und von einander umarmenden Jugendlichen aller Hautfarben trugen das Unternehmen zum Erfolg. Mit einem Benetton-Pullover konnte man sich eine Weltanschauung kaufen. Die Benettons schufen sich damit ein Imperium.
Von Philanthropie war auch nichts zu spüren, als der Vorstandsvorsitzende von Autostrade per l’Italia selbst Tage nach dem Unglück noch darauf beharrte, nicht gewusst zu haben, dass die Brücke gefährlich war. Auch der für die Sicherheit zuständige Manager wiederholte gebetsmühlenartig, dass die Brücke völlig stabil gewesen sei, was angesichts der Tatsache, dass die von Benetton betriebenen Autobahnen nicht von neutralen Sachverständigen kontrolliert werden, sondern von Spezialisten, die das Unternehmen selbst beauftragt, kaum überrascht.
lebt seit 1991 in Venedig, wo sie sich als Journalistin und Schriftstellerin mit ihren Artikeln, Sachbüchern und Romanen über die Mafia einen Namen machte. Die in Paris studierte Romanistin und Sozialwissenschaftlerin ist für ihre Arbeit vielfach mit Journalistenpreisen ausgezeichnet worden.
Mit einer gewissen Kaltblütigkeit ermahnte der Sicherheitsmanager die Opferfamilien dann auch noch, abzuwarten, bis die Verantwortlichkeiten endgültig durch Gerichtsurteile geklärt seien. In Italien, wo Prozesse endlos dauern, klingt das wie eine Drohung.
„Privatisierung oder Tod“
86 Prozent des italienischen Autobahnnetzes sind seit Ende der 1990er Jahre in privater Hand. Die Benettons waren dabei auf der Überholspur unterwegs. Dank der Gefallen, die ihnen die politische Klasse von rechts bis links erwies, konnten sich die Autobahnen in „Benettons Bankautomaten“ verwandeln, wie der Chef der nationalen Beobachtungsstelle des Transportwesens bemerkte.
Im Jahr 2017 lag der Bruttogewinn bei 2,4 Milliarden Euro, die allerdings nicht in die Instandhaltung der Autobahnen gesteckt wurde, sondern in den Flughafen von Nizza und den Kauf von Anteilen am größten Betreiber des spanischen Autobahnnetzes und an der Gesellschaft, die den Eurotunnel betreibt. Dies alles dank bizarrer Klauseln, die in Verträgen enthalten sind, deren genauer Inhalt bis heute geheim ist. „Der Staat hat abgedankt“, sagte der Generalstaatsanwalt von Genua. Man könnte auch sagen: Demokratie ist nichts für Feiglinge.
Wer in Italien mit dem Fluch der frühen Geburt geschlagen ist, erinnert sich noch an die Jubelarien, die von den italienischen Politikern und in den Medien angestimmt wurden, als die Regierung Prodi Mitte der 1990er Jahre verhieß: „Privatisierung oder der Tod.“ Verkauft wurden nicht nur Banken, Industriebetriebe und die Telecom, sondern auch die Autobahnen.
Der Markt reguliere alles von selbst, hieß es, private Besitzer seien weniger verschwenderisch als der Staat. Nur so gelinge es, die Staatsschulden abzubauen, um den Euro einzuführen. Operation gelungen, Patient tot: Die Staatsschulden stiegen weiter, und der italienische Staatsbesitz ist so gut wie verkauft.
Parteispenden für die Lega
Die Benettons revanchiertensich mit Parteispenden und später mit finanziellen Zuwendungen an parteinahe Stiftungen, vorzugsweise links, aber auch rechts: Benetton hat in Veneto Wahlkampf für den Ministerpräsidenten der Lega gemacht: Luca Zaia, der sich jetzt für sie in die Bresche warf, als die Fünf-Sterne-Minister ankündigten, den Benettons ihre Konzession zu entziehen.
Dank ihrer Nähe zu den Mächtigen genoss die Unternehmerfamilie bei Ausschreibungen und Vertragsabschlüssen eine Vorzugsbehandlung. Die Privilegien reichten über Berlusconis „Rettet-die-Benettons“-Dekret (die Autobahngebühren unabhängig von der Inflationsrate zu erhöhen) bis hin zur Verlängerung der Konzession bis 2042, die Verkehrsminister Graziano Delrio von der Partito Democratico (PD) im letzten Jahr verfügte.
Der EU gegenüber wurde sie dadurch gerechtfertigt, dass die Benettons den Bau der „Gronda“ übernähmen, einer weiteren Autobahntrasse durch das Genueser Tal. Von den Fünf Sternen in Genua wurde das Projekt heftig kritisiert: Die Sanierung und Umwandlung der Morandi-Brücke in eine vierspurige Autobahn hätte weniger gekostet und weniger Auswirkungen auf das Tal und seine Bewohner gehabt.
Bei der Beerdigungsfeier wurden die beiden einzigen anwesenden Politiker der PD ausgepfiffen. Der Staatspräsident, Fünf-Sterne-Minister und Lega-Chef Salvini wurden hingegen beklatscht. Ihnen traut man zu, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings: Italiener lieben es nicht nur, sich Götter zu erschaffen, sondern diese auch vom Sockel zu stoßen. Die Smitizzazione, die Entmythologisierung, ist eine nationale Leidenschaft. Auch wenn sie manchmal Jahrzehnte auf sich warten lässt. Das sollte jeder, der jetzt beklatscht wird, bedenken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies