Brückeneinsturz in Genua: Ruf nach Verstaatlichung
Nach dem Brückeneinsturz mit vielen Toten in Genua will die Regierung in Italien die Betreiber zur Rechenschaft ziehen. Auch französische Behörden ermitteln.
An der Unglücksstelle waren auch in der Nacht noch Hunderte Rettungskräfte im Einsatz, um nach Vermissten zu suchen. Die Chancen, Überlebende zu finden, sind fast drei Tage nach der Tragödie aber schwindend gering. Am Samstag um 11:30 Uhr soll ein Staatsbegräbnis für die Opfer stattfinden.
Das Verkehrsministerium richtete eine Kommission ein, die technische Überprüfungen und Analysen an der am Dienstag eingestürzten Brücke durchführen soll. Während eines Unwetters war ein etwa 180 Meter langer Abschnitt des wichtige Polcevera-Viadukts in der italienischen Hafenstadt in die Tiefe gestürzt und hatte zahlreiche Fahrzeuge mitgerissen.
Die Ergebnisse der Arbeit sollen einer Mitteilung des Ministeriums zufolge schließlich dazu dienen, über eine mögliche Entziehung der Lizenz für den privaten Autobahnbetreiber zu entscheiden. Italienische Medien werteten das als Zurückrudern einiger Regierungsmitglieder, die die Verantwortung für die Katastrophe bereits am Mittwoch dem Betreiber Autostrade per l'Italia zugewiesen hatten. Auch Regierungschef Giuseppe Conte hatte erklärt, dass bereits erste Schritte für den Entzug der Konzession eingeleitet worden seien.
Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Minister für Wirtschaftliche Entwicklung, Luigi Di Maio, bekräftigte am Donnerstagabend im Sender La7, man werde dem Unternehmen nicht nur die Lizenz für die Autobahn entziehen, sondern auch eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro verhängen und dafür – wenn nötig – auch vor Gericht ziehen.
Überprüfung des Betreibers
Di Maio sagte im Rundfunk, wenn die Betreiber der Autobahnen nicht in der Lage seien, ihre Aufgabe richtig zu erfüllen, dann müsse der Staat die Autobahnen übernehmen. „Es kann nicht sein, dass man Maut bezahlt und dann stirbt“, sagte er. Jene, die für die Wartung zuständig seien, hätten ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht. Die Brücke hätte geschlossen werden müssen. Viele Menschen ärgerten sich darüber, dass die Autobahnbetreiber als Monopolisten große Gewinne machten, erklärte der Vize-Ministerpräsident. „Es hätte viel Geld in die Sicherheit investiert werden müssen. Stattdessen floss es in die Dividenden.“
Der Innenminister und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, sagte, er wolle von dem Betreiber „alles, was möglich ist“ für die Angehörigen der Opfer, die Verletzten und die nun Obdachlosen bekommen. „Über Konzessionen, Strafen und Spitzfindigkeiten reden wir von kommende Woche an“, zitierte ihn Ansa.
Die italienische Regierung hat eine Überprüfung des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia gestartet. Das Unternehmen habe 15 Tage Zeit, um nachzuweisen, dass es alle vertraglichen Verpflichtungen bezüglich der ordnungsgemäßen Funktion der Brücke und der Vermeidung von Unfällen erfüllt habe, erklärte das Verkehrsministerium am Donnerstag. Sollten die Auskünfte als unzureichend eingestuft werden, wäre dies ein Bruch der Konzessionsbedingungen.
Die Muttergesellschaft Atlantia wurde aufgefordert, sofort den Wiederaufbau der Brücke auf eigene Kosten anzugehen. Auch für den Wiederaufbau der unter der Brücke zerstörten Gebäude müsse Atlantia aufkommen. Atlantia wird von der Familie Benetton kontrolliert. Das Unternehmen besitzt 88 Prozent am größten Betreiber mautpflichtiger Straßen in Italien.
Frankreich leitet eine Untersuchung ein
Aus Sicherheitsgründen waren insgesamt 13 Wohnhäuser evakuiert worden. 558 Menschen verloren der Präfektur zufolge ihr Zuhause. 117 seien in Hotels oder bei Privatleuten untergebracht.
Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, spannt sich nicht nur über Wohnhäuser, sondern auch über Gleisanlagen und Fabriken und ist seit langem umstritten. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist als Urlaubsroute „Autostrada dei Fiori“ bekannt und eine wichtige Fernstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei.
Der Brückeneinsturz beschäftigt auch die französische Justiz. Die Staatsanwaltschaft in Paris leitete eine Untersuchung wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung ein, wie die Behörde am Donnerstag auf Anfrage bestätigte. Grund ist, dass auch Franzosen unter den Opfern sind – in solchen Fällen im Ausland ist es üblich, dass sich französische Ermittler einschalten. Nach Angaben des Pariser Außenministeriums starben bei dem Unglück vier Franzosen.
Bei dem Unglück in Norditalien sei auch ein Kolumbianer zu Tode gekommen, teilte das Außenministerium in Bogotá am Mittwoch mit. Medienberichten zufolge handelt es sich bei dem Todesopfer um einen 30-Jährigen, der als Vorstandsmitglied einer Jugendmannschaft von Inter Mailand tätig war.
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