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Mit der Videokamera für das Tierwohl kämpfen

Was geht wirklich vor in Tierfabriken und -laboren? Der Verein SOKO Tierschutz dokumentiert, was die Öffentlichkeit nie zu Gesicht bekommen soll: welche Qualen Tiere für unsere Lebensmittel und unsere Gesundheit erleiden müssen

Von Jann-Luca Zinser und Anja Weber (Foto)

Irgendwann will ich auch mal was Schönes machen.“ Seitdem er 13 ist, dokumentiert Friedrich Mülln, heute 39, investigativ Verbrechen an Tieren. Er sucht Zugang zu Lobbytreffen, Mastbetrieben und Schlachthöfen, um faktenbasiert über die Vergehen der Branche aufzuklären und Informationsfreiheit zu schaffen. Mit den Tierschützer*innen des SOKO Tierschutz e. V. plant er minutiöse Operationen zur Beweissammlung, die dann in mediale Kampagnen transformiert werden.

Neben der Aufregung während der Einsätze sei vor allem das Sichten des stundenlangen Materials belastend. Videos von Kotschabern, großen motorgetriebenen Stahlriegeln, die ein just geborenes Kalb vor den Augen der Mutterkuh durch die Gülle schleifen und mindestens schwer verletzen, gehören zum Alltag. Die Speicherkapazitäten der aktuellen Geräte erlauben umfangreiches Aufzeichnen, so müsse man „nur warten, bis jemand ein Schwein verprügelt“. Spätestens dann werden Medienkooperationen gesucht. Im ersten Halbjahr 2018 gab es schon 25 Fernsehbeiträge und zahlreiche Erwähnungen in Print- und Onlinemedien. Zudem publiziert der SOKO Tierschutz e. V. auf einer eigenen Website und YouTube – es ist journalistische Arbeit die Mülln und Co leisten.

2013 gründete Friedrich Mülln den gemeinnützigen Verein und benannte ihn nach einer österreichischen Sonderkommission, die repressiv gegen Tierschützer*innen vorging. Aktuell unterstützen 600 Fördermitglieder die Arbeit von zehn Aktivist*innen, zwei von ihnen können hauptamtlich tätig sein. Bevormunden wollen sie niemanden. Ihr oberstes Ziel ist Chancengleichheit. Jede*r soll den gleichen Zugang zu Informationen haben, die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Denn die tagtäglichen Verbrechen an Tieren passieren im Dunkeln. Auch diesseits von Gesetzesverstößen gibt es viel ans Licht zu bringen, die Gesetze sind nämlich nicht nur weit, sondern auch schwammig gefasst. So heißt es, niemand dürfe einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Wirtschaftliche Interessen des Menschen gelten immer als vernünftiger Grund.

Unwürdige Zustände

Alle Ermittlungen laufen beweisbasiert, Öffentlichkeit kommt erst ins Spiel, wenn eindeutiges Material vorhanden ist. Des Weiteren werden dann Behörden wie das Veterinäramt einbezogen, die dadurch unter Zugzwang geraten sollen. Der Weg führt schließlich immer vor Gericht, die SOKO-Ermittler, wie sich selbst nennen, klagen an und treten in den Verfahren stets als Zeugen auf. Im Gegenzug wird ihnen beispielsweise Hausfriedensbruch vorgeworfen. Auch mit Schmutzkampagnen haben sie zu kämpfen. Angreifbar ist der Verein aber nicht. Das liegt vor allem an der transparenten Herangehensweise, den klaren Regeln und an der Schwäche der Gegner. Denn, wie Mülln sagt, „jeder Schuss ist ein Treffer“. Bei jeder einzelnen Aktion fand das Team nicht nur rechtswidrige, sondern maßlos unwürdige Zustände vor.

SOKO Tierschutz e. V.

Für den gemeinnützigen Verein stehen Tierrechte, Menschenrechte und Umweltschutz an gleicher Stelle. Er agiert in Deutschland und darüber hinaus. In präzise geplanten Missionen decken sie Vergehen bei Tierversuchen, in der Tierhaltung und -verarbeitung auf.

Mehr Informationen und Spendenmöglichkeiten: www.soko-tierschutz.org

Manche Recherche mag Jahre dauern, zahlreiche Einsätze, Ausdauer und den Mut erfordern, sich auch mit den Mächtigen anzulegen – aber es bringt was. Wo andere in ländlicher Gegend stillgelegte Fabrikhallen sehen, stehen für den Vollblutaktivisten Ergebnisse und Erfolge. Dank einer SOKO-­Kampagne ist Nerzöl aus deutschen Supermärkten verschwunden. Der wohl größte Sieg bislang: Nach einem Prozess wurde die riesige Legebatterien von Stefan Pohlmann geschlossen, Sprössling des Hühnerbarons Anton Pohlmann, der selbst mittlerweile lebenslanges Berufsverbot in Deutschland hat.

Von der heterogenen und oftmals uneinigen Tierschutz­bewegung agiert man weitestgehend losgelöst, viele ­würden die Arbeitsweise und ­Struktur des Vereins als skurril ­betrachten. In Tarnkleidung stundenlang durch die Dunkelheit zu ­waten, ist nicht jedermanns Sache. ­Außerdem ­positioniert sich SOKO e. V. ­deutlich ­gegen in der Szene ­verbreitete ­Polemiken, mit denen etwa PETA in der umstrittenen Aktion „Holocaust on Your Plate“ arbeitete. Sie artikulieren auch politisch eine klare Haltung: Als der Verein sich öffentlich von der AfD distanzierte, gingen viele Spender*innen verloren, doch davon ließ man sich nicht beirren.

Ob Massentierhaltung, Pelz­industrie oder Tierversuche – die Nutzung von Tieren kennt kaum Grenzen. Ebenso müssen die Aktivist*innen sich immer wieder auf neue Situationen einstellen. Ein viel beachteter Erfolg gelang ihnen etwa nach diversen, teilweise halbjährigen Undercovereinsätzen im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, einem europaweit renommierten Tierversuchslabor. Die ersten Aufnahmen dieser Langstreckenrecherche entstanden 2003, Bilder von Primaten mit in den Schädel implantierten Kopfhaltern, an denen sie sich blutig kratzten. Ein Ausschnitt zeigt Äffin Stella, die sich in ihrem eigenen Käfig übergibt und verwirrt durch ihr Erbrochenes läuft. Für sie kam der Tod nach einem sogenannten Endversuch wohl erlösend. Die Beschuldigten im Institut versuchten mit falschen Vorwürfen und inszenierten Anschlägen gegen das eigene Haus den Verein zu diffamieren, zweieinhalb Jahre friedlicher Protest innerhalb einer SOKO-Kampagne konnten die Versuche in dem Labor 2017 aber beenden.

In der Tierphilosophie ist oftmals die Rede von Sichtbarkeit und den Verdrängungsmechanismen des Menschen. Für den ist es schwer, das getötete Tier im Essen zu erkennen, zu sehr ist man an die verzehrbereiten Stücke aus dem Supermarkt gewöhnt. Sichtbarmachung und Aufklärung müssten also früher ansetzen – in der Schule vielleicht. Doch die teils brutalen Videodokumente, die das Team um Friedrich Mülln von seinen Aktionen mitbringt, sind selbst für Hartgesottene nur schwer erträglich. Dass sie Kindern nicht zumutbar sind, kann kaum bezweifelt werden. Deshalb hat der Verein eine andere Herangehensweise entwickelt. Bei Schulbesuchen sollen Kinder und Jugendliche auf persönlicher Ebene die Auseinandersetzung mit dem Thema beginnen. So werden vorab Gruppen gebildet, die sich auf ein Lieblingsprodukt aus Fleisch verständigen, dessen Herkunft und Werdegang bis auf den Teller sie mithilfe eines Mitglieds von SOKO recherchieren. Das Feedback sei oft positiv, Kinder würden ihre neu gewonnene Sensibilität dem Fleischkonsum gegenüber oft nach Hause transportieren und ein Umdenken in der Familie bewirken. Oft seien sie überrascht, wie groß das Interesse auch unter jungen Kindern am Tierschutz schon ist.

Tarnkleidung und Hightech

taz Panter Preis 2018

taz Panter Preis Er zeichnet Menschen und Initiativen aus, die sich mit persönlichem Einsatz für eine bessere Welt engagieren. Jedes Jahr werden zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise verliehen.

Porträts Bis Ende Juli stellen wir Ihnen die sechs Nominierten in der taz am wochenende und auf taz.de vor.

Leser*innenwahl Ab 4. August 2018 können Sie Ihre Favoritin/Ihren Favoriten wählen: per Mail, per Post oder online.

Verleihung Am 15. September werden Leser*innen- und Jurypreis im Deutschen Theater in Berlin verliehen.

Tickets Sie erhalten sie für die Preisverleihung online oder im taz Café in Berlin. Im Sinne des taz Solidarpakts bestimmen Sie selbst den Preis für Ihre Galakarten: 10, 20 oder 30 Euro.

Solidarität Unterstützen Sie uns und spenden Sie auf das Konto der taz Panter Stiftung bei der GLS Bank Bochum unter der IBAN DE97 4306 0967 1103 7159 00, Stichwort „taz Panter Preis“. Die Stiftung ist gemeinnützig, Ihre Spende steuerlich absetzbar.

Alles Infos zum taz Panter Preis: www.taz.de/panter

Etwa zwei Jahre Ausbildung, wie Friedrich Mülln es nennt, durchlaufen Aktivist*innen bis zur ersten Intensivrecherche. Es gilt auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. „Wie Bundeswehr, nur ohne Anschreien und den ganzen anderen Mist“, lächelt er. Aber nicht nur die Schulungen, auch die Recherchen sind aufwendig. Das Internet wird durchforstet, mit Ferngläsern wird beobachtet und der Transportrhythmus nachvollzogen, um zur richtigen Zeit da zu sein. Tarnkleidung und neustes technisches Equipment gehören zur Ausrüstung.

Früher, so erzählt Mülln, waren die Kameras kiloschwer, die Akkus brannten durch die Kleidung auf der Haut. Der technische Fortschritt helfe ihnen, gerade wenn die Einsatzorte besondere Arbeitsweisen erfordern: Manchmal treten die Aktivist*innen als Angestellte auf wie im Max-Planck-Institut, manchmal als Geschäftsleute getarnt in Elefantenrunden der Industrie, wie Mülln 2013 in China, manchmal mit einer alles fotografierenden touristischen Attitüde im fremden Land, bis keinem mehr auffällt, dass auch Verbrechen abgelichtet werden. Dass das nicht jede*r könne, sei klar. Zudem ernährten sich alle Ermittler*innen zwar vegan, bei manchen Recherchen müssten sie aber essen, was auf den Tisch kommt.

Das Risiko ist vor allem im Ausland groß. Nüchtern erzählt Mülln, dass man in Osteuropa „auch schon mal mit einer Axt verfolgt“ werde. In Großbritannien saß er drei Tage auf der Polizeistation, lang genug. Im US-Bundesstaat Iowa kann man sogar acht bis neun Jahre eingesperrt werden. Und auch in Deutschland regt sich parteipolitischer Widerstand: Die konservativen Kräfte im Land versuchen das Eindringen in Tierställe zum Zwecke der Aufklärung zu kriminalisieren. Glücklicherweise werten die Gerichte das öffentliche Interesse höher, bisher wurden Mülln und seine Kolleg*innen vom SOKO Tierschutz e. V. noch nie verurteilt. Selbst die Bild-Zeitung zitierte einen Richter einst mit: „Machen Sie weiter so!“ Das wird Mülln auch, seine Mission ist noch nicht erfüllt. Und dann ist vielleicht irgendwann auch mal Zeit für Schönes: „Zum Beispiel ein Buch schreiben. Reisen. Steine verkaufen. Irgendwas, womit man Menschen glücklich macht.“

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