Anett Selle über Jens Spahns Pflegeoffensive: Vorsicht, bitte nicht stolpern
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu zu bewegen, sich mit Gesundheit zu befassen, schien bisher so erfolgversprechend wie der Versuch, einem Dackel das Prinzip Steuererklärung näherzubringen. Erst hat Spahn die Asylpolitik der Bundeskanzlerin kritisiert, dann die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Die Kirchen hat er ermahnt, sich aus der Gesellschaftspolitik herauszuhalten, GegnerInnen des frauenfeindlichen Paragrafen 219a warf er vor, ihnen seien Tiere wichtiger als Menschen – und EmpfängerInnen von Hartz IV durften sich anhören, sie hätten alles, was man zum Leben braucht, denn wer Hartz IV bekomme, sei nicht arm.
Doch inzwischen hat Spahn das Thema Pflege für sich entdeckt. Gerade jetzt, wo sich an den Unikliniken Düsseldorf und Essen wieder Streiks wegen Unterbesetzung abzeichnen; wo sich die Situation in Krankenhäusern bundesweit verdüstert; und wo es immer schwieriger wird, junge Menschen zu finden, die noch willens sind, sich die Arbeitsbedingungen in dieser Branche der Helfenden anzutun. Jetzt soll das „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ kommen. 13.000 zusätzliche Stellen für Pflegekräfte in Altenheimen soll es schaffen und die Bedingungen in Krankenhäusern verbessern. Kliniken wären verpflichtet, das Verhältnis von Pflegeaufwand zu Personal zu veröffentlichen: Wer zu wenig Personal hat, müsste ab 2020 mit Sanktionen rechnen.
Die Kosten sollen nicht die Steuertöpfe tragen, sondern die Kranken- und Pflegekassen. Erstere können die Mehrausgaben von etwa 4,4 Milliarden Euro bis 2021 wohl schlucken, dank ihrer Milliardenrücklagen. Aber Letztere sind pleite: Schon dieses Jahr wird die Pflegeversicherung bei 3,1 Milliarden Euro im Minus stehen. Eine Anhebung der Beiträge um 0,3 Prozentpunkte zu 2019 hat Spahn bereits angekündigt. Für BürgerInnen könnte sich das Gesetz langfristig auch in Form höherer Krankenkassenbeiträge bemerkbar machen. Darüber kann man meckern. Oder man sieht es als hinnehmbaren Preis für ein unbezahlbares Gut: ein funktionierendes Gesundheitssystem.
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