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Zwischen den Stühlen

Sabina Ide ist als Dialogbeauftragte bei der Polizeidirektion Osnabrück für Migranten zuständig. Mit muslimischen Hardlinern muss sie genauso umgehen können wie mit Muslimhassern

Sabina Ide liebt es, bildlich zu sprechen. „Wenn eine Gesellschaft wie ein Schmelztiegel ist, entsteht nur farbloser Einheitsbrei, und der schmeckt keinem“, sagt die Dialogbeauftragte der Polizeidirektion Osnabrück. „Die Gesellschaft sollte wie eine Salatschüssel sein: Man erkennt die einzelnen Zutaten, aber es gibt einen Zusammenhalt – durch das, worin ich es serviere.“

Sabina Ide, zuständig für den Dialog mit den Migranten Osnabrücks, ist keine Polizistin, keine Beamtin mit Strafverfolgungszwang, auch wenn sie jeden Morgen in der Lagebesprechung der Polizeidirektion sitzt. Und wie ein typisches Ordnungsmacht-Büro sieht ihr kleines Zimmer Nr. 215 auch nicht aus: An der Wand eine riesige Kalligrafie des Osnabrücker Künstlers Ismail Uluocak, in der Ecke ein Samowar, an der Pinnwand eine Postkarte von Hamburger Kollegen: „ACAD – All Cops Are Different!“

Different. Ja, das passt: Sabina Ides Tagwerk ist die Prävention, und die besteht aus Mittlerarbeit. Viel davon findet „draußen“ statt: „Der Ort ist entscheidend für die Qualität der Gespräche. Das Wichtigste erfahre ich manchmal irgendwo an der Ladenkasse.“

Ide ist in den muslimischen Communitys unterwegs, in den Moscheegemeinden. Sie organisiert Symposien, Fortbildungen, hält Vorträge. Sie berät Polizeidienststellen in Fragen der Religion und der Kultur. Und oft repräsentiert sie auch. Dieses Jahr zum Beispiel beim Fastenbrechen in der Osnabrücker „Merkez Camii“-Moschee, vor ein paar Wochen war das. „Als der Gemeindevorstand mit mir auf den Hof ging, sahen Hunderte Männer mir entgegen, viele deutlich irritiert: Was, eine Frau? Aber die Imame dort haben mich demonstrativ eingebunden – ein unmissverständliches Statement für die Moderne. Eindrucksvoll!“

Ides Gespräche sind oft heikel. Politische Themen kommen dabei auf, religiöse, ideologische. Ihre Mission ist das Zuhören. Das muss man erst mal aushalten. „Ich bin keine Allesversteherin“, stellt sie klar. „Ich sorge für Verständigung.“ Ein Job, der Außenwirkung hat. Ein Job auch, der ein Signal nach innen sendet, an ihre Kollegen.

Dass Sabina Ide lange in der Türkei gelebt hat, hilft ihr, nicht nur sprachlich. Sie kennt das Gefühl von Fremdheit. Sie weiß, wie es ist, wenn alle anderen um dich herum ganz selbstverständlich wissen, wie alles läuft, nur du nicht. Und die Menschen, mit denen sie spricht, wissen, dass sie es weiß. Das hilft, Vertrauen aufzubauen.

Dass Ide seit 2011 in der Polizeidirektion sitzt, war nicht vorauszusehen. Sie hat Fremdsprachenkorrespondentin gelernt, ist Schriftstellerin – einer ihrer wichtigsten Texte ist der Roman „Hagen Kirsch“, auch er kreist um das Thema Migration. Interreligiöse und interkulturelle Projekte hat sie geleitet, mit Bildkünstlern und Musikern hat sie performt.

Diese Kreativität hilft ihr ebenso wie ihre Fremdheits-Zeit in der Türkei. Denn ein Teil ihres Tuns ist es, neue Wege zu finden, der gesellschaftlichen Frontenverhärtung entgegenzutreten. Eine ihrer Ideen: Das bundesweit einzigartige Modellprojekt „Polizei-Scouts“. Jugendliche und junge Erwachsene, die meisten mit Migrationshintergrund, fast alle Muslime, werden hier zu Bot­schaf­tern für die Polizei, zu ehrenamtlichen Multiplikatoren für die Nachwuchsgewinnung. Sie gehen zum Beispiel auf Kulturfeste in allen vier Inspektionen der Polizeidirektion, die einen riesigen Einzugsbereich hat, von Osnabrück bis Aurich. Ide: „Die Polizei hat ein Glaubwürdigkeitsdefizit. Viele Migranten sehen sie vorwiegend als Repressalien-Organ. Das wollen wir aufbrechen.“

Wie gut das gelungen ist, zeigt die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, die sie dafür bekommen hat – und für ihre Integrationsarbeit generell. Nicht, dass Ide so was braucht. Oder dass sie viel darüber redet. Aber es freut sie natürlich. Dasselbe mit dem „Yilmaz-Akyürek-Preis“ der Stadt Osnabrück, verliehen für besondere Integrationsleistungen. Sie hat ihn 2011 bekommen.

Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Islam-Debatte ist Integration nötiger denn je. „Der inflationäre Gebrauch von Worten wie Radikalisierung und Islamismus, von IS-Terror und Salafismus schürt bei vielen ein Gefühl von Unsicherheit, von Bedrohung“, sagt Ide.

Und das hat Folgen: Selbst kleinste Abweichungen von der „Normalität“ sorgen mittlerweile für Bedenken und führen zu Anrufen bei der Polizei, in der Hoffnung auf Handlungssicherheit, Verantwortungsübernahme. Solche Anrufe werden dann zu Ide durchgestellt: „Sensibilität und Vorsicht sind gut, klar. Aber das allumfassende Bedürfnis nach Versicherheitlichung in vielen gesellschaftlichen Bereichen finde ich bedenklich.“

Ist es schwerer geworden, mit den Moscheegemeinden zu reden? Gibt es Blockaden durch die zunehmende Kälte und Härte der Debatte, bei der Muslime unter Generalverdacht stehen? „Nicht generell schwerer. Aber anders. Einige ziehen sich zurück, bauen Skepsis auf, Abwehr. Andere sind jetzt offener als zuvor. Das Wichtigste ist, dass du offen bleibst.“

Besonders fatal: Während alle von Terrorgefahr reden, von IS-Rückkehrern, die auch hierzulande zu Gefährdern werden könnten (klar, es gibt sie), wird das „permanente Hintergrundrauschen“, das Alltag ist, oft übersehen – und damit die wirklichen Probleme. Ide ärgert das: „Nehmen wir einen Sprachkurs. Ein Flüchtling setzt andere unter Druck. Zum Beispiel, weil sie in seinen Augen nicht die richtige Kleidung tragen. Da übernimmt jemand also die religiöse, vielleicht auch die soziale Kontrolle über andere. Was passiert denn da, wenn das keine Konsequenzen hat, wenn die Opfer schweigen, aus Furcht?“ Sie schüttelt den Kopf. „Ein solches Verhalten hat ein ganz beträchtliches Ausmaß angenommen. Und das sind keine Bagatellen.“

Manche Gespräche brennen sich in Ides Gedächtnis besonders ein. Krude Verschwörungstheorien zum Beispiel. Und die kommen nicht nur aus der braunen deutschen Stammtisch-Ecke, sondern auch von Muslimen. „Zum Beispiel, dass die Osnabrücker Drei-Religionen-Schule muslimische Kinder von ihrem Glauben abbringe. Oder dass die Caritas jedem Moslem 5.000 Euro zahle, der zum Christentum konvertiere.“

Gegen solche verqueren Gedanken kommt man kaum an. Nicht in Zeiten, in denen Polarisierung und Populismus Trumpf sind. Ide: „Vor 20 Jahren haben wir im Integrationsbereich alles wesentlich entspannter gesehen. Klar, auch da gab es Defizite. Aber zumindest war damals Privatsache, wie du deine Kultur, deine Religion ausgelebt hast. Das wurde von der Mehrheitsbevölkerung nicht als problematisch gesehen. Seit 9/11 gilt es als desintegrativ.“

Sabina Ide wünscht sich Moscheen an Orten, die jeder sieht, schön, würdevoll, nicht in düsteren Ecken, mit denen jeder sofort düstere Gedanken assoziiert. Und auch das sagt sie noch: „Mir gefällt der Gedanke, dass meine Tür immer offen steht. Und dass niemand zu klingeln braucht, um reinzukommen.“ Gut, das gilt natürlich nicht wortwörtlich. Wer zu ihr in die Direktion will, kommt allein nicht weit.

Es gibt übrigens nicht viele Dialogbeauftragte wie sie. Nur noch fünf andere, niedersachsenweit. Vielleicht ist die Debatte deshalb so aufgeheizt. Der Islam überrollt Deutschland? „Unsinn!“ Ide lacht. „Wer in seiner Identität gefestigt ist, muss doch keine Beeinflussung fürchten.“

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