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NSU-Prozess im Rückblick„Abgrund an Menschenfeindlichkeit“

Nach mehr als fünf Jahren soll im NSU-Prozess Anfang Juli das Urteil fallen. Am Dienstag will sich Beate Zschäpe zum letzten Mal äußern.

Neben Mehmet Kubaşık und Michèle Kiesewetter war Halit Yozgat (Mitte) eines der Opfer des NSU. Nach ihm wurde in Kassel ein Platz benannt Foto: dpa

München taz | Am 6. Mai 2013, Tag 1 des Prozesses, erscheint Beate Zschäpe in Saal A101 des Oberlandesgerichts München im dunkelblauen Blazer, selbstbewusst, und kehrt den Kameras den Rücken zu. Ihre Verteidiger Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm stellen einen Befangenheitsantrag gegen die Richter, sie klagen über eine „nicht mehr zu heilende Vorverurteilung“ ihrer Mandantin.

Erst am nächsten Prozesstag kann der Anklagesatz verlesen werden. Bundesanwalt Herbert Diemer, seit 29 Jahren im Dienst, erklärt Zschäpe für voll mitschuldig an den zehn Morden, zwei Anschlägen und 15 Raubüberfällen des NSU. Zwar sei die Angeklagte an keinem Tatort gesehen worden, als Mitglied des NSU habe sie aber zu jeder Tat einen „gleichwertigen Beitrag geleistet“. Zschä­pe lässt die Worte regungslos an sich vorbeiziehen. Angaben werde sie im Prozess nicht machen, sagt ihr Verteidiger Heer zu Richter Manfred Götzl.

Tag 5, 4. Juni 2013

Der Mitangeklagte Carsten S. sagt aus. Der 33-Jährige, vor Jahren aus der Szene ausgestiegen, legt ein Geständnis ab. Ja, er habe dem abgetauchten Trio die Waffe überbracht, mit der später neun NSU-Opfer erschossen­ wurden: die Ceska 83. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben habe ihn beauftragt.

Carsten S. redet frei, stockt, versucht, sich genau zu erinnern. Am Ende weint er. Und berichtet von einem Anschlag, der bisher nicht dem NSU zugeordnet wurde: 1999 zündete in einer Nürnberger Kneipe ein Sprengsatz in einer Taschenlampe. Der türkische Betreiber erlitt damals Schnittwunden am ganzen Körper. Als die Uwes davon berichteten, sei plötzlich Zschä­pe erschienen, erinnert sich Carsten S. „Pssst, Beate kommt“, hätten die Männer gesagt.

Tag 7, 6. Juni 2013

Nun spricht Holger G. Der Mitangeklagte, 44 Jahre, Lagerist aus Hannover, hielt bis zum Ende mit den Untergetauchten Kontakt. Er soll dem Trio eine Waffe überbracht und ihnen Pass und Führerschein überlassen haben. Holger G. gesteht. Er verliest seine Erklärung so hastig, dass er noch mal beginnen muss. Alles seien Freundschaftsdienste gewesen, er habe von den Terrortaten nichts geahnt.

Holger G. belastet Zschäpe schwer. Eine „Autorität“ habe sie damals in der rechten Szene dargestellt. Noch 2011 sei Zschäpe zweimal zu ihm gefahren, um einen neuen Pass für Böhnhardt zu beschaffen. Wann immer er Geld bekommen habe, sei es von Zschä­pe gekommen, einmal 10.000 DM, zur Verwahrung. Und er berichtet, wie Ralf Wohlleben ihn beauftragte, dem Trio einen Beutel zu bringen. Als er merkte, dass darin eine Waffe lag, habe Zschäpe ihn beruhigt.

Später habe sie zugesehen, als einer der Uwes die Pistole durchlud. Nach seiner Erklärung atmet Holger G. erleichtert auf. Für die Bundesanwaltschaft ist er ein Hauptbelastungszeuge: Seine Aussagen zeigten, wie aktiv und eigenständig Zschäpe an der Tarnung und Bewaffnung der Terroristen mitgewirkt habe.

Tag 14, 24. Juni 2013

Richter Manfred Götzl lässt das NSU-Bekennervideo im Saal zeigen. Die Comicfigur Paulchen Panther führt mit zynischen Kommentaren durch die Mordserie. Fotos der Erschossenen werden eingeblendet, Mundlos und Böhnhardt haben sie gemacht.

Ganz still ist es im Saal, Zschäpe schaut versteinert zu. Später wird sie gestehen, den Unterschlupf des Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße mit zehn Litern Benzin angezündet zu haben: Am 4. November 2011, als sie vom Tod der Uwes nach einem gescheiterten Bankraub in Eisenach erfuhr. Auf der Flucht habe sie ein gutes Dutzend der Bekennervideos verschickt, an das Türkische Generalkonsulat in München oder eine Moschee in Hamburg – angeblich als letzten Freundschaftsdienst, ohne den Inhalt zu kennen.

Die Bundesanwaltschaft glaubt beides nicht: Zschä­pe wollte mit dem Versand des Videos das Terrorwerk des NSU zu Ende bringen und habe den Hinterbliebenen noch einmal einen „Stich ins Herz“ versetzt. Das offenbare „einen Abgrund an Menschen- und Staatsfeindlichkeit“.

Tag 15, 25. Juni 2013

Frank L. sagt aus, ein Brandermittler der Polizei. Er berichtet über das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße nach Zschäpes Brandstiftung: Mehrere Stunden brauchte die Feuerwehr, um den Brand zu löschen. Im Brandschutt habe man dennoch elf Waffen gefunden, darunter die Ceska 83, außerdem die Handschellen der 2007 erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter. Später wird Zschäpe zugeben, dass Waffen offen in der Wohnung lagen – sie habe diese hin und wieder weggeräumt.

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Für die Bundesanwaltschaft war die Wohnung die „Kommandozentrale“ der Gruppe, abgesichert mit Überwachungskameras, Schießübungen im Keller. Hier stand auch der Computer des Trios – unter Zschä­pes Hochbett. Darauf, unverschlüsselt: das Bekennervideo und Notizen von ausgespähten Tatorten.

Zschäpe könne bei all dem schwerlich behaupten, vom Terrorleben nichts mitbekommen zu haben, so die Ankläger. Auch dass Zschä­pe die Wohnung angezündet habe, sei Teil eines festen Plans für den Fall der Entdeckung gewesen, „ein höllisches Finale“. Die Bundesanwaltschaft wertet dies als versuchten Mord, weil dabei eine 89-jährige Nachbarin in Lebensgefahr geriet.

Tag 17, 2. Juli 2013

André P., Kriminalhauptmeister aus Zwickau, berichtet über Zschäpe, als sie sich am 8. November 2011 der Polizei stellte, nach vier Tagen auf der Flucht. Zschäpe verweigerte damals die Aussage, dennoch entwickelte sich ein Gespräch. Wie es ihren Katzen gehe, habe Zschäpe gefragt. Und sie habe betont, dass die Uwes ihre Familie gewesen seien: Sie sei „zu nichts gezwungen worden“. Zschäpes Verteidiger kritisieren das Gespräch als „rechtswidrige Ausforschung“.

Tag 27, 24. Juli 2013

Olaf B., ein breitschultriger Bauarbeiter mit donnernder Stimme, sagt aus, ein früherer Nachbar Zschäpes. Als „Susann Dienelt“ habe Zschäpe sich ihm vorgestellt. Sie sei eine „liebe, gute Nachbarin“ gewesen. B. nannte sie Diddl-Maus: „Erstens heißt sie Dienelt. Und zweitens ist sie ’ne Maus, ist ja hübsch anzusehen.“

Über Zschäpes Gesicht, sie sitzt nur wenige Meter entfernt, huscht ein spöttisches Lächeln. Beide meiden Augenkontakt. Die beiden Uwes, fährt Olaf B. fort, habe er nie gesprochen. Einer sei ihr Freund gewesen, der andere ihr Bruder, das habe „Susann“ erzählt. Und dass die Männer Fahrzeuge überführten und sie von zu Hause arbeite.

Olaf B. erzählt, man habe manchmal mit Nachbarn in seinem Keller getrunken, auch mit Zschäpe. „Ist in Ihrem Besitz ein Bild von Adolf Hitler?“, fragt Richter Götzl. Ja, antwortet Olaf B. „Im Keller auf dem Fernseher.“ Das sei nur ein Andenken aus dem Fundus eines verstorbenen Bekannten.

„Hat Frau Zschäpe mal was zu dem Bild gesagt?“, fragt Götzl. „Nein, gar nichts.“ Eine Gesinnung habe man ihr nie angemerkt. Später im Prozess werden Nachbarn und Bekannte Ähnliches berichten. Für die Bundesanwaltschaft ist Zschäpe die „Tarnkappe“ des NSU-Trios gewesen, eine „Meisterin im Verschleiern“. Sie allein pflegte elf Aliasnamen. Mit ihren Alibis habe Zschäpe das Überleben der Gruppe im Untergrund gesichert.

Tag 41, 1. Oktober 2013

„Ich bin Ismail Yozgat, der Vater des Märtyrers, der am 6. April 2006 durch zwei Schüsse in den Kopf erschossen und in meinen Armen gestorben ist“, sagt ein Mann in dunkelgrauem Anzug mit müden Augen. Ismail Yozgat, Vater des NSU-Opfers Halit Yozgat aus Kassel, berichtet, wie er das Internetcafé seines Sohnes betrat und ihn blutend hinter der Theke entdeckte.

Yozgat steht auf, wirft sich auf den Boden, um zu zeigen, wie er seinen sterbenden Sohn fand. „Er hat nicht geantwortet!“, ruft er in den Saal. Yozgat weint. „Warum haben Sie mein Lämmchen getötet?“

Er habe später einen Herzinfarkt erlitten, sagt Ismail Yozgat. Nie mehr werde er seinen Geburtstag feiern. Zschäpe schaut starr auf ihren Laptop. Für Bundesanwalt Herbert Diemer zeigt das: Zschäpe sei ein „eiskalt kalkulierender Mensch, für den ein Menschenleben keine Rolle spielte, wenn es um die Durchsetzung ihres mörderischen Willens ging“.

Tag 44, 9. Oktober 2013

Christina L., BKA-Beamtin, berichtet von ihren Ermittlungen zu einer Art Archiv, das Polizisten im Brandschutt des NSU-Unterschlupfs in Zwickau fanden: 68 abgeheftete Zeitungsartikel über die Mord- und Anschlagstaten des NSU. Fingerabdrücke der Uwes habe sie darauf nicht gefunden, sagt Christina L. – an zwei Artikeln aber die von Beate Zschäpe. Für die Bundesanwaltschaft ist es ein wichtiges Indiz: Die Angeklagte habe über die Verbrechen also Bescheid gewusst – und darüber sogar noch eine Chronik geführt.

Tag 60, 26. November 2013

Christian und Karin M. erzählen von ihren Urlauben auf der Ostseeinsel Fehmarn. Dort trafen sie ab 2007 wiederholt das Zwickauer Trio auf einem Campingplatz. Als drei Freunde hätten sich diese ausgegeben. Man habe zusammen gegrillt, Badminton gespielt, gesurft. Zschäpe habe die Männer „bemuttert“. Und sie habe die „Urlaubskasse“ verwaltet, jedes Essen und jeden Einkauf bezahlt, in bar.

Die drei seien immer harmonisch aufgetreten. Auch andere Urlaubsbekannte werden das Trio später als „Familie“ beschrieben, die sich „extrem gut verstanden“ habe – und Zschä­pe als „Managerin des Geldes“. Später wird Zschäpe behaupten, dass sie nach jedem Mord, den die beiden Uwes ihr gebeichtet hätten, geschockt gewesen sei und sich mit den Männer überworfen habe. Die Harmonie in den Urlauben spreche dagegen, erwidert die Bundesanwaltschaft.

Und: Zschä­pe habe nicht nur auf den Reisen die Finanzen verwaltet, sondern auch sonst – wie etwa die Übergabe der 10.000 DM an den Mitangeklagten Holger G. beweise. Der NSU hatte bei seinen 15 Raubüberfällen mehr als 600.000 Euro erbeutet. Da Zschäpe dieses Geld verwaltete, komme ihr eine „herausragende Stellung in der Gruppenhierarchie“ zu.

Tag 61, 27. November 2013

Zschäpes Mutter Annerose, eine große Frau Anfang 60, Pflegehelferin, würdigt ihre Tochter keines Blickes. Ob sie Angaben machen wolle, fragt Richter Götzl. „Nein.“ Schon vor langer Zeit hatten sich beide zerstritten, Zschäpe nennt sich ein „Omakind“.

Bei der Polizei hatte die Mutter noch gesprochen: Ihre Tochter sei nicht leicht zu beeinflussen. Wenn sie von etwas überzeugt war, habe sie dies „konsequent“ durchgesetzt. Auch Zschäpes Cousin Stefan A., früher ein rechter Skin, tritt an diesem Tag auf. Für das Trio sei er nicht politisch genug gewesen, sagt Stefan A., nur ein Partytyp und „Assi“. Auch Stefan A. sagt: Zschäpe habe die Männer „im Griff“ gehabt, sie habe „sich nicht über den Mund fahren lassen“.

Tag 86, 19. Februar 2014

Norbert V. vom Thüringer Landeskriminalamt erzählt, wie er am 26. Januar 1998 Zschäpes Jenaer Wohnung und eine von ihr gemietete Garage durchsuchte. Nach den Razzien ging das Trio in den Untergrund. In der Garage fand Norbert V. fünf Rohrbomben, 1,4 Kilo TNT, und rechtsextreme Flugblätter.

In Zschäpes Wohnung hingen über dem Sofa eine Gaspistole, ein Luftgewehr, ein Wurfstern, fünf Messer und ein Morgenstern. An einer Wand ein Bild mit Hakenkreuz. Der LKA-Mann berichtet auch von zwei „Pogromlyspielen“, eins in der Garage, eins unter Zschäpes Sofa. In dieser selbst entworfenen Monopoly-Abwandlung sollen Städte „judenfrei“ gemacht werden, Bahnhöfe sind KZs, eine Ereigniskarte teilt mit, man habe „eine Infektion“ beim „Kacken auf ein Judengrab“ erlitten.

Tag 127, 15. Juli 2014

Ein stämmiger Mann wird in Handschellen in den Saal geführt. Tino Brandt, einst Anführer des rechtsextremen „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann, sitzt gerade wegen Kindesmissbrauchs in Haft. Im „Thüringer Heimatschutz“ hatten sich Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos radikalisiert.

Brandt belastet Zschäpe: Er habe sie wiederholt auf Szeneschulungen, Demos und Stammtischen getroffen. Zschäpe sei „keine dumme Hausfrau gewesen“. Für die Ankläger passt das ins Bild: Die Angeklagte sei damals keine Mitläuferin gewesen, sondern stramm rechtsextrem – und deshalb mit in den Untergrund gegangen.

Tatsächlich stand Zschäpe schon seit 1995 im Fokus des Verfassungsschutzes. Sie beteiligte sich an rechten Aufmärschen, meldete selbst einen an, soll sich in Diskussionen für eine Bewaffnung ausgesprochen haben.

Mit Böhnhardt und Mundlos verschickte sie Briefbombenattrappen an die Jenaer Stadtverwaltung, Polizei und Lokalzeitung. In der Stadt deponierte das Trio zwei Koffer mit Bombenattrappen und Hakenkreuzen, an eine Autobahnbrücke hängten sie eine Puppe mit Davidstern.

Tag 128, 16. Juli 2014

Aufregung nach der Mittagspause. Richter Manfred Götzl berichtet, dass Zschäpe gerade einem Wachbeamten erklärt habe, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl. „Ist das richtig, Frau Zschäpe?“ Zschäpe nickt. Götzl verlangt eine schriftliche Erklärung. Die liefert Zschäpe später: Sie wolle schon länger aussagen, ihre Anwälte aber hinderten sie daran. Zudem seien sie schlecht vorbereitet, stellten die falschen Fragen und setzten sie unter Druck.

Der Bruch kommt überraschend, Zschäpe hatte bis dahin mit ihren Anwälten gescherzt und sich Bonbons geteilt. Tatsächlich aber hat die Angeklagte da bereits Kontakt zu einem Münchner Strafverteidiger aufgenommen: Hermann Borchert.

Richter Götzl lehnt eine Ablösung der Verteidiger ab – es hätte den Prozess zum Platzen gebracht. Zschäpe habe nicht nachgewiesen, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört sei. Zschäpe aber bleibt hart – sie redet irgendwann kein Wort mehr mit den Anwälten, verlangt, dass sie sich von ihr wegsetzen und erstattet Anzeige gegen sie.

Für die Bundesanwaltschaft zeigt auch das, wie sich Zschäpe nicht unterordnen lässt: Im gesamten Prozess sei Zschäpe „bestimmend, selbstbewusst und durchsetzungsstark“ aufgetreten. Im Sommer 2015 wird ihr das Gericht einen neuen Pflichtverteidiger gewähren, Mathias Grasel. Der Junganwalt, Anfang 30, ist Bürokollege von Hermann Borchert.

Tag 132, 30. Juli 2014

Maria H., eine frühere Punkerin, berichtet, wie sie 1996 im Jenaer Plattenbauviertel Winzerla von einer jungen Frau derart geschubst wurde, dass sie sich einen Fuß brach. Dann habe sich die Frau auf sie raufgesetzt und sie gezwungen, zu sagen „Ich bin eine Potte“. Später, so Maria H., habe sie die Angreiferin auf Fotos erkannt: Es sei Beate Zschäpe gewesen.

Die damalige Begleiterin von Maria H. berichtet, Zschäpe habe einen „krassen“ Ruf gehabt: Diese habe keine Skrupel, auf Leute loszugehen. Auch der Mitangeklagte Holger G. berichtete der Polizei, wie Zschäpe einer Punkerin in einem Bus einmal „eine reingehauen habe, weil diese blöd geschaut habe“. Auch dieser Tag wird zum Nachweis, wie gewalttätig Beate Zschäpe auftreten kann.

Tag 210, 16. Juni 2015

Falko H., ein BKA-Mann, berichtet von einer Wette des Trios. Auf einer CD aus dem letzten NSU-Unterschlupf fanden die Ermittler ein Bild von Zschäpe und Böhnhardt und eine Wette, wer bis 1. Mai sein Wunschgewicht erreiche. Der Einsatz: „200 Mal Videoclips schneiden“.

Falko H. berichtet, wie er in den Fundstücken nach Videos gesucht habe, auf die dieser Einsatz passen könnte. Dazu gepasst habe nur das NSU-Bekennervideo – weil es tatsächlich viele Schnitte beinhalte und außerdem kurz nach dem Wettende entstanden war.

Tag 249, 9. Dezember 2015

Zschäpe, so hat es ihr Verteidiger Mathias Grasel angekündigt, bricht an diesem Tag ihr Schweigen. Schon im Morgengrauen warten Zuschauer und Journalisten vor dem Gericht, auch Opferangehörige sind da. Neben Zschäpe sitzt Grasel und verliest eine Erklärung für seine Mandantin: Diese habe mit den vorgeworfenen Taten nichts zu tun – alles sei Werk der beiden Uwes gewesen. Zschä­pe habe stets erst im Nachhinein von den Morden und Anschlägen erfahren und sei jedes Mal „geschockt“ gewesen. Aber sie hätte die beiden nicht stoppen können. Und auch nicht verlassen. Denn die Uwes hätten gedroht, sich zu töten, wenn Zschäpe ginge.

„Ich stand vor einem unlösbaren Problem“, liest Grasel in Zschäpes Namen. Opferangehörige nennen die Einlassung „erbärmlich“. „Sie lügt, wir glauben ihr nicht“, sagt Ismail Yozgat. „Nach dem ersten Mord hätte sie zur Polizei gehen müssen. Dann hätte sie neun Morde verhindern können.“

Auch die Bundesanwaltschaft spricht von einem Bild, „wie es nicht zutreffen kann nach der Beweisaufnahme“. Richter Götzl scheint die Ausführungen­ ebenfalls nicht recht zu glauben: Er stellt in den folgenden Prozesstagen Dutzende Nachfragen. Zschäpe wird diese nur schriftlich und nach wochenlanger Beratung mit Grasel und Borchert beantworten. Die mehr als 300 Fragen der Opferanwälte lässt sie unbeantwortet.

Tag 313, 29. September 2016

Zschäpe spricht erstmals selbst im Prozess. Vor ihr liegt eine kurze Erklärung, sie verliest sie mit klarer, etwas gehetzter Stimme. „Ich verurteile, was Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Opfern und deren Familien angetan haben, sowie mein eigenes Fehlverhalten.“

Sie selbst habe sich früher „durchaus mit Teilen des nationalistischen Gedankenguts“ identifiziert. Das aber sei vorbei. Heute bewerte sie Menschen nur noch „nach ihrem Benehmen“, Gewalt lehne sie ab.

Die Bundesanwaltschaft hält ihre Worte für dahingesagt: Wann und warum Zschäpe ihre rechtsextreme Ideologie abgelegt habe, habe sie bis heute nicht dargelegt.

Tag 336, 17. Januar 2017

Gerichtspsychiater Henning Saß trägt sein Gutachten über Zschäpe vor. Saß, seit 40 Jahren in der Forensik, ist eine Koryphäe. Ein Gespräch mit ihm hatte Zschäpe verweigert. Monatelang aber hat Saß sie im Prozess­ beobachtet und Zeugenaus­sagen studiert.

Er erklärt Zschäpe für voll schuldfähig. Sie zeige „antisoziale“ und „mani­pulati­ve“ Züge, wirke im Prozess, als habe das Verhandelte „kaum etwas mit ihr zu tun“. Sie neige dazu, ihre Verantwortung auf andere zu schieben. Es sei nicht auszuschließen, dass sie wieder schwerste Straftaten verübt, sollte sie an die falschen Leute geraten. Saß’ Gutachten ebnet den Weg zu einer lebenslangen Verurteilung samt Sicherungsverwahrung.

Tag 361, 3. Mai 2017

Zschäpes Anwälte kontern mit einem eigenen Gutachter: Joachim Bauer, Psychotherapeut und Bestsellerautor. Er darf mit Zschä­pe sprechen und trifft sie fünfmal in Haft. Bauer erklärt die 43-Jährige für vermindert schuldfähig: Sie sei krankhaft abhängig gewesen von Uwe Böhnhardt – obwohl dieser sie sogar geschlagen habe.

Bauer schildert Zschäpe als schwache Persönlichkeit, sie sei ihren „rechtsradikalen Verführern“ erlegen gewesen. Später wird bekannt, dass Bauer versuchte, Zschäpe Pralinen in die Haft mitzubringen, und dass er den Prozess in einem Schreiben an eine Zeitung als „Hexenverbrennung“ bezeichnete. Bauer wird für befangen erklärt, sein Gutachten ist damit wertlos.

Tag 375, 25. Juli 2017

Richter Manfred Götzl schließt die Beweisaufnahme. Bundesanwalt Herbert Diemer beginnt sein Plädoyer: Alle Vorwürfe hätten sich im Prozess bestätigt. Zschäpe sei voll mitverantwortlich für den NSU-Terror, den „infamsten Taten“ seit der RAF.

Das Trio sei ein „verschworenes Triumvirat“ gewesen – und Zschäpe die Logistikerin: Sie habe für die Tarnung gesorgt, das Geld verwaltet, falsche Papiere und Wohnungen beschafft – und am Ende das NSU-Bekennervideo verschickt. „Weder die Anschläge noch die Überfälle hätten ohne ihr Zutun in dieser Form stattfinden können.“

Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft wird acht Prozesstage dauern. Dann fordert er lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Tag 419, 24. April 2018

Zschäpes Anwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert plädieren. Die Anklage ist für sie haltlos, „Fake News“. Zschäpe habe mit den Terrortaten nichts zu tun. Es gebe keinen Beweis, dass sie an einem Tatort war oder in irgendeine Planung involviert.

Die Bundesanwaltschaft liefere „Spekulationen“ und ignoriere Entlastendes. „Der Rechtsstaat wird es aushalten müssen, dass es Verbrechen gibt, für die die eigentlichen Täter nicht mehr belangt werden können“, sagt Grasel und meint Mundlos und Böhnhardt.

Zschäpe sei nur für die Raubüberfälle und das Anzünden des Unterschlupfs verantwortlich. Dafür genügten maximal zehn Jahre Haft. Später halten Zschäpes Alt-Verteidiger Sturm, Stahl und Heer ein zweites Plädoyer. Auch für sie ist Zschäpe unschuldig – und sofort freizulassen. Opferanwälte nennen die Plädoyers „eine Verhöhnung der Opfer“.

Tag 436, 26. Juni 2018

Auf Antrag der Alt-Verteidiger von Zschäpe erscheint Christian S., ein Brandgutachter des LKA Bayern. Er soll bestätigen, dass die Brandstiftung von Zschäpe in der Frühlingsstraße weniger gefährlich war als behauptet – und tut das Gegenteil. Wäre die Feuerwehr nur fünf Minuten später gekommen, sagt Christian S., das Haus hätte komplett in Flammen gestanden.

Danach schließt Richter Götzl die Beweisaufnahme, zum wohl letzten Mal, und verkündet den vorletzten Termin des Prozesses: die Schlussworte der Angeklagten, am kommenden Dienstag. Verteidiger Grasel kündigt an, dass Zschäpe fünf Minuten sprechen werde. Danach wird nur noch ein Verhandlungstag folgen: die Urteilsverkündung.

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