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Seehofers neues GesetzHandgranaten für die Polizei

Horst Seehofer plant ein Musterpolizeigesetz. Als Vorbild soll offenbar ausgerechnet das umstrittene bayerische Gesetz dienen.

Mit dem Kopf noch in Bayern: Bundesinnenminister Horst Seehofer Foto: dpa

Berlin taz | Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Mittwoch offenbar im Innenausschuss erklärt, das geplante Musterpolizeigesetz für die Länder solle sich an der Novelle des bayerischen Polizeigesetzes orientieren, das die CSU im Mai im bayerischen Landtag verabschieden will. Seehofer habe ihre diesbezügliche Nachfrage klar bejaht, sagte die Linken-Abgeordnete Martina Renner am Donnerstag der taz. „Befürchtet haben wir das schon länger, jetzt gibt es die Bestätigung von Herrn Seehofer selbst“, so Renner. Das Bundesinnenministerium wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern, da es sich um eine nichtöffentliche Sitzung des Innenausschusses gehandelt hatte.

Das in Bayern geplante Polizeiaufgabengesetz (PAG) sieht eine massive Ausweitung der polizeilichen Befugnisse vor. So soll es der Polizei künftig möglich sein, auch ohne konkreten Verdacht Personen zu durchsuchen, Telefone abzuhören, verdeckte Ermittler einzusetzen, Daten auszulesen, zu speichern und zu verändern. Möglich wird das durch die Einführung der Kategorie „drohende Gefahr“: Bisher müssen für ein präventives Handeln der Polizei konkrete Verdachtsmomente vorliegen, künftig soll das nicht mehr nötig sein. Für Aufsehen sorgt auch das Vorhaben, der bayerischen Polizei künftig den Einsatz von Handgranaten zu erlauben.

Die „drohende Gefahr“ wurde in Bayern bereits im letzten Sommer mit dem „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ als rechtliche Kategorie eingeführt. Dieses Gesetz erlaubt unter anderem, Menschen, die als Gefährder eingestuft werden, theoretisch unbegrenzt in Präventivhaft zu nehmen – im März hat die bayerische Grünenfraktion dagegen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Auch gegen das neue Polizeigesetz gibt es starke verfassungsrechtliche Bedenken.

Seehofers Vorstellung, als Bundesinnenminister die Vorgaben für das Musterpolizeigesetz zu machen anstatt diese Aufgabe in der Hoheit der Länder zu belassen, sei schon grundsätzlich problematisch, so Renner. „Das ist ein Versuch, das föderale System in der Sicherheitsarchitektur auszuhebeln, dessen Einführung nicht ohne Grund eine der Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus war.“ Der Innenminister besitze hier keine Weisungskompetenz; sie hoffe, dass die Länder diese „Anmaßung“ zurückwiesen.

Das ist ein Versuch, das föderale System in der Sicherheitsarchitektur auszuhebeln, dessen Einführung nicht ohne Grund eine der Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus war

Martina Renner, Linke-Bundestagsabgeordnete

Ausgerechnet das geplante bayerische Polizeigesetz zum Vorbild zu erklären, gegen das es verfassungsrechtliche Bedenken und seit Wochen anhaltende Proteste gibt, hält Renner für „absolut nicht hinnehmbar.“ Weil nach der bayerischen Gesetzesnovelle die Polizei auch ohne Verdacht auf konkrete Straftaten ermitteln können soll, verschwämmen dort die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdienst. „Ein solches Gesetz darf es nicht geben, nicht in Bayern und nirgendwo sonst“, so Renner.

Auf Nachfrage, warum ausgerechnet das bayerische Gesetz als Vorlage dienen soll, habe Seehofer im Ausschuss darauf verwiesen, dass Bayern die höchste Aufklärungsquote bei Straftaten habe. Die aktuellsten Zahlen dazu stammen allerdings von 2016, und auch da lag Bayern mit einer Quote von 65,9 nur sehr knapp vor anderen Ländern. „Herr Seehofer will bayerische Politik in Berlin machen, er hat noch nicht verstanden, dass er nicht mehr in München sitzt“, sagt Renner. Wichtig sei nun, den Protest gegen das bayerische Gesetz auf die bundesweite Ebene zu heben.

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7 Kommentare

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  • "So soll es der Polizei künftig möglich sein, auch ohne konkreten Verdacht Personen zu durchsuchen, Telefone abzuhören, verdeckte Ermittler einzusetzen, Daten auszulesen, zu speichern und zu verändern. " ... und zu verändern!!!???

     

    Wenn das so stimmt, kann demnach die Polizei willkürlich auch von Bürgern gespeicherte Daten verändern? Verstehe ich das richtig?

     

    Dann könnte die Polizei missliebigen Personen einfach so 'mir-nix, dir-nix' Daten verändern und so Straftatbestände erfinden, um Unschuldige falsch zu belasten, damit jemand einfach mal für unabsehbare Zeit in der Untersuchungshaft verschwindet? Wenn das so wäre, dann wären ja Erdogans Pseudojustiziare Waisenknaben dagegen. Da stehen mir die Haare zu Berge. Ich hoffe sehr, dass ich das einfach nur falsch verstehe.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die bayrische Polizei darf schon seit langem Handgranaten und Maschinengewehre bei der Aufstandsbekämpfung einsetzen. Die sächsische Polizei soweit ich weis auch. Kann bei schweren Terroranschlägen auch sinnvoll sein mit Raketenwerfern und Kalaschnikovs bewaffneten Terroristen kommt man nicht Deeskalationsstrategien oder Gummiknüppeln bei.

  • Würde Seehofer in Berlin etwas anderes vorschlagen, als er in Bayern durchsetzen will, so wäre die Häme groß gewesen. Von daher ist nachvollziehbar, warum er in Berlin nicht anders als in Bayern handeln will.

    Es wird Zeit, dass wir mal wieder einen Innenminister bekommen, der auf dem Boden des Grundgesetzes agiert. Es scheint fast so zu sein, dass es inzwischen für einen Innenminister ehrenrührig wäre, auch nur ein verfassungskonformes Gesetz vorzulegen. Solche überzeugte Verfassungsfeinde als Innenminister sind eine große Gefahr für unsere Demokratie.

    • @Velofisch:

      Bayern hat das Grundgesetz bis heute nicht unterzeichnet.

    • @Velofisch:

      Und leider ist das Einbringen und Beschließen verfassungswidriger Gesetze für die Verantwortlichen folgenloser als Falschparken oder Schwarzfahren.

  • Die Handgranaten sollen nur an die SEK-Einheiten ausgegeben, die benutzen allerdings auch schon bisher Sprengmittel. Sie dienen auch nicht um Demonstrationen aufzulösen, sondern werden in ganz bestimmten Szenarien benötigt. Etwa wenn sich schwer bewaffnete Täter in einer Wohnung verschanzen.

    • @Frank Stippel:

      "Die Handgranaten sollen nur an die SEK-Einheiten ausgegeben, die benutzen allerdings auch schon bisher Sprengmittel. Sie dienen auch nicht um Demonstrationen aufzulösen, sondern werden in ganz bestimmten Szenarien benötigt."

       

      Hamburg hat gezeigt, dass die Polizei für den SEK-Einsatz gegen Bürger nichts anderes braucht als heiße Luft und einen konstrierten Vorwand, der sich dann zwar überraschenderweise nicht bestätigt oder mit Tatsachen belegen lässt, aber dann ist die Maßnahme ja bereits durchführt und das SEK von der Kette.

       

      Wenn die Polizei die Militarisierung bereiben will, dann schadet ihr selbst das am Ende am meisten, leider aber auch unserer gesamten Gesellschaft.

      Die Polizei wird schon heute von bestimmten Teilen als Gegner wahrgenommen, leider ist bei vielen eher schlicht getrickten Polizisten (nicht gerade eine Seltenheit) das Freund-Feind-Schema ebenso ausgeprägt. Wir haben in Stuttgart und an vielen anderen Orten gesehen, dass die Prügeltrupps von den BFE ihren Auftrag auch gegen Rentner und Schüler mit höchster Motivation ausführen und in Hamburg, wie das systemantische Belügen der Öffentlichkeit und die geplante Eskalation eine von höchster Stelle nicht nur gedeckte, sondern planmäßig betriebene Taktik ist.

       

      Dass die Polizei in Zukunft sogar Inhalte auf Smartphones verändern sollen kann, die dann potenziell als Beweise herangezogen werden, öffnet Willkür weiter Tür und Tor. Wir werden auch hier erleben, dass das ganze alte und neue Arsenal legal und illegal gegen Gentrifizierungskritiker u.ä. eingesetetzt werden wird.

       

      "Wo ein Trog ist, sammeln sich Schweine", wie es der Verfassungsrechtler Christoph Gusy mal an anderer Stelle ausgedrückt hat.