Ausverkauf der Landwirtschaft: Die Verräter vom Bauernverband

Viele Agrarbetriebe in Ostdeutschland gehen an Großinvestoren. Die Politik könnte gegensteuern, scheitert aber an der Bauernlobby.

Mähdrescher auf einem Feld

Wem gehören die Felder? Wintergerste-Ernte in Thüringen Foto: ap

BERLIN taz | Es ist schon merkwürdig: Seit Jahren kaufen überregionale Großinvestoren immer mehr ostdeutsche Agrarbetriebe. Die Folge: Bauern aus der Region oder Neueinsteiger, die ihre Flächen vergrößern wollen, gehen leer aus. Sie können im Bieterwettstreit mit Unternehmen wie der Münchner Rückversicherung oder der Stiftung der Industriellenfamilie Zech nicht mithalten.

Die Preise für den Boden steigen in Höhen, die für kleine Höfe unerschwing­lich sind. Der Wohlstand wird immer ungleicher verteilt: Große Betriebe kommen im Schnitt mit weniger Arbeitskräften pro Hektar aus, und die Dörfer, deren Bewohner auf die Arbeitsplätze angewiesen sind, werden immer leerer.

Doch der Bauernverband blockiert hartnäckig Gesetze, die den Ausverkauf der Landwirtschaft an überregionale und sehr große Investoren bremsen sollen. Offenbar auch, weil manche Lobbyisten mit den Konzernen unter einer Decke stecken. Diesen Verdacht legen mehrere Verkäufe von Agrarunternehmen nahe. Sie zeigen, dass aktuelle oder ehemalige Funktionäre des Bauernverbands vom Ausverkauf der Landwirtschaft profitieren.

Zum Beispiel Urban Jülich. Er ist Vorsitzender des Bauernverbands im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt und Eigentümer eines großen Betriebes mit Ackerbau, Sauenhaltung und Biogasanlage. Aber das reicht dem 50-Jährigen nicht: Nun will Jülich gemeinsam mit dem Unternehmer und CDU-Landesschatzmeister Karl Gerhold „die Masse der Anteile“ der Firma Agro Bördegrün kaufen, wie deren Geschäftsführer Ronald Westphal der taz sagte.

Westphal ist selbst Mitglied im Vorstand des Kreisbauernverbands. „Geplant ist ein Erwerb von 94 Prozent der Anteile. Ziel ist ein Erwerb von 100 Prozent. Dazu bedarf es noch einer abschließenden Abstimmung mit einem der Gesellschafter“, schrieb Gerhold der taz. Der Kaufpreis ist geheim, dürfte aber einige Millionen Euro betragen.

Große Player werden größer

Bördegrün ist ein riesiger Agrarbetrieb mit nach eigenen Angaben mehr als 3.800 Hektar Ackerland, also etwa 60-mal so viel wie der durchschnittliche Hof in Deutschland hat, der laut Statistischem Bundesamt nur 62 Hektar bewirtschaftet. Bördegrün hat auch eine eigene Tankstelle, eine Werkstatt mit Landmaschinenservice und Biogasanlagen. Im Geschäftsjahr 2016/2017 machte die Firma rund 13 Millionen Euro Umsatz – eine stolze Summe für ein landwirtschaftliches Unternehmen.

Der geplante Deal macht also einen großen Player noch viel größer. Die Konzentration landwirtschaftlicher Flächen im Bördekreis wächst erheblich. Denn kein Betrieb in der Nähe kann es mit den Hektarzahlen von Bördegrün aufnehmen. Außerdem würde durch den Verkauf ein Gutteil der Gewinne aus dem armen Dorf Niederndodeleben in Sachsen-Anhalt, wo Bördegrün firmiert, künftig in das ohnehin schon wohlhabendere Hannover fließen.

Forscher des bundeseigenen Thünen-Instituts haben 2017 in einer Studie die Eigentumsverhältnisse der Landwirtschaft in Ostdeutschland untersucht.

Konzentration: 34 Prozent der 853 untersuchten Landwirtschaftsbetriebe in den neuen Bundesländern gehörten Anfang 2017 Großinvestoren. 2007 waren es nur 22 Prozent gewesen.

Eigentümerwechsel: 157 Unternehmen wurden in den vergangenen zehn Jahren verkauft. 72 Prozent der übernommenen Unternehmen gingen an Investoren, die mehr als 50 Kilometer vom Firmensitz entfernt wohnen und in einer anderen Region wirtschaftlich tätig sind.

Fachfremdheit: 30 Prozent der 157 Firmen wurden an landwirtschaftsnahe Investoren übertragen. 42 Prozent gingen an andere Anleger, die nichts mit der Branche zu tun haben.

Denn dort sitzt die Getec Immobilien GmbH, über die der CDU-Unternehmer Gerhold sich an Bördegrün beteiligen will. Und Niedersachsens Hauptstadt ist auch Hauptwohnsitz Gerholds, wie er selbst bestätigt.

Gerhold ist der Eigentümer des Energiedienstleisters Getec, ein Konzern mit zahlreichen Firmen und mehr als 1.100 Mitarbeitern. Die Gruppe nahm 2015 laut Geschäftsbericht rund 783 Millionen Euro ein und war außer in Deutschland zum Beispiel in den Niederlanden, der Schweiz, Österreich und Tschechien aktiv. Ein überregionaler Investor also, der außer durch Biogasanlagen bislang nicht viel mit Landwirtschaft zu tun hat.

Daran ändert auch Gerholds Verteidigung nichts. Er sei auch „als Landwirt eingetragen“, rechtfertigte er sich, und habe bereits „einige kleinere Flächen im Eigentum beziehungsweise angepachtet“. Zudem habe er mit den Gewinnen seiner Hannoveraner Firmen „vorzugsweise Investitionen in Magdeburg wie in ganz Sachsen-Anhalt getätigt“.

Jülich und Westphal sind nicht die ersten Bauernverbandsgrößen, die bei solchen umstrittenen Verkäufen verdienen. Ende 2016 übernahmen Mitglieder der Industriellendynastie­ Merckle die Agrargenossenschaft Jürgenshagen im Landkreis Rostock – laut Medienberichten im Jahr 2017 ein Großbetrieb mit rund 2.700 Hektar. Der Merckle-Clan besitzt bereits mehrere andere große Agrarfirmen in der Region, unter anderem den Nachbarbetrieb der Genossenschaft.

Einer der Genossen, die verkauft haben, ist der ehemalige Geschäftsführer Michael Constien. Er war von 2000 bis 2006 Vizepräsident des Bauernverbands Mecklenburg-Vorpommern und ist immer noch ein einflussreicher Strippenzieher für die Interessen der Organisation. Kritik an dem Deal weist Constien zurück. Die Käufer würden den Betrieb erhalten, der zuständige Vorstandsvorsitzende sei vor Ort, „das ist nämlich der Nachbar“, sagt er, „es bleibt Agrargenossenschaft“.

„Ungesunde Verteilung des Grund und Bodens“

Im brandenburgischen Niedergörsdorf verkaufte Siegfried Schütze 2007 nach eigenen Angaben seinen Betrieb Nuthequelle an eine Tochter der Steinhoff Familienholding. Diese Firmengruppe ist einer der größten Agrarlandbesitzer Deutschlands und an dem Möbelkonzern Steinhoff International Holdings beteiligt, der angibt, 12.000 Geschäfte in über 30 Ländern zu besitzen. Schütze ist ein früheres Präsidiumsmitglied des Landesbauernverbands Brandenburg. Bis 2009 war er Geschäftsführer der Nuthequelle, er arbeitete also noch zwei Jahre für Steinhoff. „Wer soll denn das übernehmen? Wer hat denn das Kapital? Das sind nun mal nur Investoren aus anderen Bereichen“, sagte Schütze der taz.

Eigentlich können die Behörden laut Grundstücksverkehrsgesetz Käufe von Agrarland verhindern, wenn dadurch eine „ungesunde Verteilung des Grund und Bodens“ entsteht. Sie müssen sogar Nein sagen, wenn der Käufer nicht Landwirt ist und ein Bauer die Fläche­ benötigt. Aber diese Regeln gelten nicht, wenn nicht direkt Land verkauft wird, sondern Firmen, die Eigentümer dieser Flächen sind.

Viele Funktionäre des Bauernverbands profitieren von den Verkäufen

Dieses Schlupfloch wollte Hermann Onko Aeikens (CDU) mit einem Agrarstrukturgesetz schließen, das er 2015 als damaliger Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt vorschlug. Auch für Verkäufe von Unternehmensbeteiligungen sollten Genehmigungen der Agrarbehörden nötig sein, wenn das Vermögen der Firma zu mindestens 40 Prozent aus landwirtschaftlichen Flächen besteht und der Käufer mindestens 40 Prozent der Firma halten will.

Bündnis zwischen CDU und Bauernverband

Doch allen voran der Bauernverband blockierte das Vorhaben. Eine Genehmigungspflicht für den Verkauf von Anteilen an Agrarfirmen brandmarkte er als „einen zu weit gehenden Eingriff in die Berufs- und Grundfreiheit“. Wenig später gab Aeikens das Projekt auf. Zu wichtig ist das traditionelle Bündnis zwischen CDU und Bauernverband.

Auch der Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern wehrt sich gegen einen ähnlichen Gesetzentwurf des dortigen Agrarministers Till Backhaus. Und der SPD-Politiker sagte überraschend ehrlich in der Ostsee-Zeitung: „Ich entscheide nicht gegen den Bauernverband.“ In anderen Ländern seien Verantwortliche „wegen ähnlicher Gesetze durch die Bauern abgewählt worden“.

Auf einem Bauerntag Anfang April wurde die Interessenlage im Verband sehr deutlich: Backhaus forderte die Lobbyisten laut NDR auf, bei der Übergabe von Betrieben mehr an die nächste Generation und den Erhalt einer bäuerlichen Landwirtschaft zu denken als an das Kapital. Verbandschef Detlef Kurreck entgegnete, der Ausverkauf des Ostens finde seit 28 Jahren statt. „Jetzt verdienen erstmals Ossis“ – und es gebe einen Aufschrei, klagte er.

Vor der Rente noch so viel mitnehmen, wie möglich ist

Die meisten Meinungsbildner der Landesbauernverbände im Osten seien eben Geschäftsführer von Betrieben, die aus den riesigen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR entstanden seien, erläutert Kurt-Henning Klamroth, der Präsident des Deutschen Bauernbunds, eines kleinen Konkurrenten des Bauernverbands. „Jetzt gehen die langsam alle in Rente. Sie wollen eine Abfindung und einen Preis für ihren Gesellschaftsanteil, den kein normaler Bauer bezahlen kann. Deshalb haben die überhaupt nichts dagegen, wenn da außerlandwirtschaftliches Kapital mitbietet. So erhöhen die ihre Rente“, sagt Klamroth.

Der Deutsche Bauernverband weist diese Vorwürfe zurück. „Wir vertreten nicht die Interessen der branchenfremden Investoren“, teilt Generalsekretär Bernhard Krüsken der taz mit – nur um das gleich zu relativieren: Es gebe ja auch Beispiele, „wo sich Investoren mit ihren erworbenen Betrieben in der Region integriert haben“. Mit dem Bodenrecht könne man da nicht so leicht differenzieren.

In Sachsen-Anhalt führt eine Grüne das Agrarministerium: Claudia Dalbert. Aber sie scheint von den Koalitionspartnern CDU und SPD schon ausgebremst zu werden. Die Koalitionsvereinbarung versprach noch „Regelungen für Geschäftsanteilsverkäufe“. Auf taz-Anfrage hat Dalbert nun einen Rückzieher gemacht. Es soll lediglich „geprüft werden, inwieweit Regelungen zum Anteilsverkauf in das modifizierte Bodenrecht einbezogen werden“. Die alten LPG-Chefs dürften erst mal ungestört weiter Kasse machen.

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