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Aus taz FUTURZWEIEs vibriert in Deutschland

Kommentar von Harald Welzer

Wenn Politik jungen Leuten die Perspektiven blockiert, dann wird es gefährlich. Die Frage ist, wer diese Vibrationen zu verstärken weiß.

Die Generationen reden aneinander vorbei: die damalige SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks und Anti-Groko-Demonstranten von den Jusos Foto: dpa

E s liegt was in der Luft. Man weiß nur nicht, was es ist.

Die Wirklichkeit hat gerade etwas Irreales, mit ihrer somnambulen Politik, mit Parteiführungen, die sich habituell vom ZK der SED im Endstadium nicht mehr unterscheiden, mit Rechten, die Geländegewinne ausgerechnet in Zeiten von Hochkonjunktur verzeichnen, mit Linken, die in Teilen in ihrer identitätspolitischen Hyperkorrektheit nur noch als stalinistisch bezeichnet werden können – jedenfalls dort, wo Gedichte überpinselt und Menschen aus Filmen geschnitten werden.

Und irgendwo dazwischen findet sich die verwirrte und defensive Anhängerschaft der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaft, die sich gewiss weder durch einen Innenminister Seehofer noch durch die Neurechten noch durch die Neulinken repräsentiert sieht und auf seltsame Weise sprachlos geworden ist.

So sehen wahrscheinlich Umbruchzeiten aus. Ohne Leitbild dümpeln die Bewohnerinnen und Bewohner des real existierenden Kapitalismus zwischen der Reklame der Digitalwirtschaft, den hypochondrischen Ängsten vor Globalisierung und Zuwanderung, der Dummdreistigkeit sogenannter Entscheidungsträger sogenannter Schlüsselindustrien sowie der dumpfen Befürchtung vor sich hin, dass der Westen womöglich die besten Zeiten hinter sich hat.

Die Diktatur reiner Gegenwärtigkeit

Keine Zukunft, nirgends? Wenn Klimapolitik vom Symbolischen ins Nebensächliche abgedrängt ist, Ökologie nicht mehr auf der Tagesordnung steht und Entwicklungspolitik wieder völlig sach- und fachfremd verantwortet wird, weiß eine junge Generation, dass sie unter der Diktatur reiner Gegenwärtigkeit aufzuwachsen hat.

Die Zukunft, die im Koalitionsvertrag beschrieben wird, ist eine Konsumhölle im globalen Maßstab. Die Welt soll bald überall genauso aussehen wie Oberhausen

Es birgt, wie Norbert Elias vor langer Zeit in seinen Studien über die Deutschen beschrieben hat, ungeheuren gesellschaftlichen Sprengstoff, wenn Gesellschaften ihrer nachrückenden Generation die Perspektive blockieren, auch noch ein gutes, selbst gestaltetes Leben leben zu dürfen. Symptome für dieses Gefühl, Zukünftigkeit nicht mehr in ausreichendem Maß zu haben, zeigen sich etwa im Kampf der Jusos gegen die mumifizierte Führung der SPD, in repolitisierten Fernsehformaten wie Neo Magazin Royale oder Quer, in all den Blogs und Plattformen, die sich für anderes Wirtschaften, andere Politik, einen anderen Alltag engagieren, aber auch dort, wo das reine Ressentiment parteiförmig und wirkmächtig geworden ist.

Anja Weber
Harald Welzer

Harald Welzer ist Sozialpsychologe, Sachbuchautor und Herausgeber des Magazins für Zukunft und Politik, taz.FUTURZWEI

Das ist ja das Schlimmste: nicht, dass eine Partei wie die AfD im Bundestag sitzt. Sondern dass ihr mit der Politik der Angst und der Ausgrenzung ein Agenda-Setting gelungen ist, das in der Zuwanderungspolitik der nächsten Bundesregierung ihr getreues Abbild gefunden hat.

Und der stärkste Beleg für diesen Erfolg ist, dass es inzwischen zum durchschnittlichen Überzeugungsinventar zählt, dass Merkels Flüchtlingspolitik ein schwerer Fehler war, dass man zu viel über das Klima, aber zu wenig über die Abgehängten gesprochen habe, dass „Heimat“ und die Vermittlung damit verbundener Gefühle ein Zentralinhalt von Politik sei,. Und dass ein sachgerechter Umgang mit Flüchtlingen und Zuwanderern darin bestehe, sie in Lager in Afrika oder auf dem Grund des Mittelmeers zu entsorgen.

taz FUTURZWEI Die 2018er

2018 – Aufbruch oder Scheiße? Die einen rennen zu den neuen Rechten, die anderen suchen im Jubiläumsjahr Trost bei den 68ern, wir suchen die "2018er"- Menschen, Politik, Liebe. Jetzt in der neuen Ausgabe von taz.FUTURZWEI, auch als Digitalausgabe im taz eKiosk erhältlich. Mit Beiträgen von Jan Böhmermann, Susanne Wiest, Arno Frank, Adrienne Goehler, Tom Strohschneider, Harald Welzer und vielen mehr.

taz FUTURZWEI ist das Magazin für Zukunft und Politik, das die taz und die Stiftung FUTUR­ZWEI zusammen machen. Für Abonnenten liegt „Movum“ bei, die Umweltbriefe des Deutschen Naturschutzrings (DNR).

Ich glaube, dass ein wesentlicher Grund für die wachsende künstliche Dummheit gegenüber den wirklichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts darin besteht, dass sich niemand die Mühe gemacht hat, das zivilisatorische Projekt der Moderne weiterzudenken und weiterzubauen. Es ist klar, dass mit „zivilisatorischem Projekt“ nicht die Herstellung von materiellem Überfluss gemeint ist, sondern die immateriellen Güter: Freiheit, Sicherheit, Recht, Institutionen der Bildung, Gesundheit, Versorgung.

Den materiellen Stoffumsatz verändern

Wenn wir das alles erhalten und mit Zukunft versehen wollen, dann müssen wir unser Naturverhältnis, also unseren materiellen Stoffumsatz verändern. Das allerdings wäre ein radikales Modernisierungsprojekt, die Wiedereinführung von Zukunft in die Politik.

Die neue Bundesregierung hat einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der ohne jede Rechenschaft gegenüber den naturalen Bedingungen unserer wirtschaftlichen Existenz auskommt – und zwar der gegenwärtigen wie der künftigen. Die Zukunft von heute ist nicht mehr: weniger Ungleichheit, mehr Humanität, gerechtere Verteilung, ein befriedetes Naturverhältnis. Sie ist: eine Konsumhölle im globalen Maßstab.

Die Welt soll bald überall genauso aussehen wie Oberhausen. Dass dieses Zukunftsbild nicht fürs 21. Jahrhundert taugt, ist klar, es wird gleichwohl mit aller Macht aufrechterhalten und durchgesetzt.

Dass das nicht gut gehen kann, erzeugt das diffuse, aber drängende Grundgefühl. Das ist es, was in der Luft liegt. Je neurotischer die Politik an den Rezepten des 19. (SPD) und 20. Jahrhunderts (CDU) festhält, desto klarer wird, warum es gegenwärtig vibriert im mentalen Haushalt der Republik.

Unklar allerdings bleibt, wer am Ende den politischen Resonanzkörper für diese Vibrationen bauen kann. Die Grüne im Modus ihrer ökosozialen Neuerfindung? Eine neue Partei? Wer also werden die 2018er gewesen sein? Noch ist Zeit, die Antwort auf diese Frage mit zu gestalten.

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7 Kommentare

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  • Angestachelt durch die Versprechungen der Politiker, ganz speziell durch die An und Aussprachen von Merkel, haben die jungen Leute meiner Verwandtschaft sich ins Zeug gelegt und haben, bis auf drei von Fünfzehn, studiert und ihre Abschlüsse mit gut bis sehr guten Noten abgeschlossen.

     

    Die Einzigen der Fünfzehn, die einen wirklich unbefristeten Job haben, sind die Drei, die nicht studiert haben. Die Anderen hängen alle samt in befristeten Jobs fest, ohne auf eine wirkliche Ausschicht auf Festanstellungen durch ihre Arbeitgeber!

     

    Einer dieser Studierten ist nun Vater geworden. Er hat dieses Wagnis mit seiner ebenfalls studierten Frau in Kauf genommen, weil ihm eine Festanstellung in Aussicht gestellt wurde. Laut seinem Arbeitgeber konnte er letztendlich dann aber doch keine Festabstellung bekommen, so dass seine gesamte Zukunftsplanung schon wieder den Bach runter ging.

     

    Seine Vermutung zu dem Rückzug seines Arbeitgebers; er habe bei Beginn der Schwangerschaft geäußert, dass er wohl seine Elternzeit nach der Geburt wohl antreten werde, um sein Kind aufwachsen zu sehen, so wie Elternzeit auch geplant war von der Politik bei der Einführung.

     

    Wie soll das ganze noch Enden, wenn die junge Generation von sehr gut gebildeten Menschen bei allen Zukunftsplänen im Stich gelassen wird?

     

    Wie kann man seiner Tochter, ein Nachzügler, gerade erst 14 Mut machen, sich in der Schule anzustrengen, wenn sie tagtäglich mitbekommt, dass ihre Onkel und Nichten und Neffen trotz hervorragender Ausbildungen, nicht in der Lage sind, mit Ende 20 oder Anfang 30 sich eine sichere Zukunft in Deutschland aufzubauen?

     

    Nach einem Gespräch am Ostersonntag mit meiner Tochter kamen mir die Tränen als sie sagte, was soll ich denn lernen oder studieren um sicher zu sein, dass ich eine Zukunft im Berufsleben habe?

    AFD wählen und hoffen Reich zu heiraten, wie es noch in den 50igern für Frauen das Beste war?

     

    Gern würde ich diese Frage direkt an Frau Merkel und dem BT weiter geben!

     

    Käme wohl eine Antwort?!

  • Wat soll nu des, wat issen ditte?

    Wer an dem großen Busen sich will hungrig laben,

    dem muss ich's hier nun leider einmal drastisch sagen,

    es gibt in dieser endlos breiten Mitte,

    bis heute keine dritte Titte.

    Und daran wird sich schwerlich etwas ändern,

    da hilft kein biegen und kein gendern.

     

    Frohes Österchen!

  • Das Dilemma ist ein Mangel an Demokratie. Nicht noch mehr Wahlen, mehr Bürgerentscheide im ständigen zähen Kampf der Bürger gegen die widerständige Politik. Nein, das Politikverständnis hat sich im Grunde feudalisiert. Die Kanzlerin soll es richten. Sie macht es richtig oder falsch. Die Parteien sollen Zukunftskonzepte entwickeln und Perspektiven zeigen. Der Ruf nach Führung ist das fatale. Seit der bürgerlichen Revolution ist der Souverän vom König auf die Bürger übergegangen und alle wurden mit gleichen Rechten ausgestattet. Seit dieser Zeit kämpft sich die Demokratie mühsam nach vorne, gegen Rassismus, Sexismus, Ausbeutung, für Gleichberechtigung und gleiche Chancen. Uns Bürgern ist aber die Erkenntnis verloren gegangen, dass wir der Souverän sind und unser gezieltes Handeln auch im Alltag letztlich die Politik betimmt. Über die Produkte die konsumiert werden, über die Banken, die unser Geld bekommen usw. Wer sagt, der einzelne kann nichts ausrichten, der braucht das nächste mal auch nicht zur Wahl gehen. Parteien sind nur das Spiegelbild der Gesellschaft. Am Spiegelbild herumzudoktorn hat noch nie was gebracht. Zeigt ein Finger auf die Parteien und die Regierung, zeigen drei Finger zurück auf einen selbst.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Vieles von dem, was Harald Welzer schreibt, ist zutreffend. Die Erde wird durch den umfassenden Raubbau, von dem nur wenige - vordergründig - profitieren und unter dem viele - manchmal sehr direkt, meist aber diffus - leiden, rasant zerstört.

     

    Welzer stellt wichtige Fragen, legt den Finger in tiefe Wunden. Oft wird die gegenwärtige Entwicklung als alternativlos dargestellt. Wie dumm! Wer sich selbst und andere davon überzeugen möchte, dass dies nicht so ist, dem sei Tim Jackson (Wohlstand ohne Wachstum) an Herz und Hirn gelegt.

     

    Umkehr ist nötig - und möglich.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ich kann Ihnen insoweit zustimmen, dass die Umkehr (dringend) nötig ist, jedoch habe ich leider Zweifel, dass sie tatsächlich möglich ist, also praktisch und nicht nur theoretisch. Dazu bräuchte es entweder eine andere Art von Mensch, oder eine SciFi Weltregierung.

  • Vielen Dank für diesen Beitrag. Ein "radikales Modernisierungsprojekt" für die Art, wie wir Politik machen, ja, das wird kommen. Ich hoffe, dass wir als Gesellschaften das gestalten durch radikale Zukunftsorientierung und Übernahme von Verantwortung für unsere Entscheidungen. Durch beteiligungsorientierte Politik und durch ebenso radikales Umdenken der Parteien, die das Lagerdenken überwinden müssten. Ich kenne viele Menschen, die sich das, was Harald Welzer schreibt, sehr wünschen und auch schon versuchen, zu leben: das veränderte, befriedete Naturverhältnis und den veränderten, wohl reduzierten materiellen Stoffumsatz. Gleichzeitig erleben gerade wir in NRW und in Köln, dass die "ganz normalen Menschen" mutiger, offener, wandlungsbereiter und zukunftsorientierter sind als unsere Führung, als Politik und Verwaltung auf landes- und kommunaler Ebene (siehe etwa die überholte Energie- und Verkehrspolitik). Das ist irritierend! Führt aber dazu, dass immer mehr Leute selbst aktiv werden, auf die Straße gehen, ihre Meinung kundtun, nachhaltige Projekte und Geschäfte starten, Politik machen, sich einmischen und mitmischen. Zum Glück. Und ich hoffe, es werden immer mehr.

  • Wer die Soziale Frage mit einem Schulterzucken beantwortet, und dann zur ausbeuterischen Tagesordnung übergeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er eine ganze Generation verliert.