piwik no script img

„Abstimmen mit der Gabel“

Slow Food Deutschland fordert eine Ökologisierung der Landwirtschaft. Die Vorsitzende Ursula Hudson erklärt, wieso sich der Verein gegen die industrielle Agrarwirtschaft engagiert und warum Genuss und Verantwortung beim Essen keine Widersprüche sind

Was im Einkaufskorb landet, ist ein politisches Statement, Biolandbau kann auch im Supermarkt gestärkt werden Foto: Björn Kietzmann

Interview Michael Pöppl

taz: Frau Hudson, Slow Food hat im Herbst 2017 zusammen mit Misereor zu einer „sofortigen Ökologisierung der Landwirtschaft“ aufgerufen, Anlass war der Welternährungstag. Was läuft denn falsch in der aktuellen deutschen Agrarpolitik?

Ursula Hudson: Leider unglaublich vieles. Es geht in großen Bereichen unserer Landwirtschaft nur noch um immer mehr und immer schneller produzierte Lebensmittel. Auch die europäische Agrarpolitik setzt auf Massenproduktion mit allen negativen Komponenten: immensem Wasserverbrauch, einem immer höheren Einsatz von Dünger, der das Grundwasser belastet, und von Pestiziden, die zum massenhaften Insektensterben führen. Diese wiederum sind für eine funktionierende Befruchtung der Pflanzen notwendig. Man setzt auf großflächige Monokulturen anstatt auf kleinflächige zukunftsfähige Landwirtschaft und gefährdet dadurch nicht nur die Umwelt, sondern auch kleine familiäre Betriebe und damit auch Arbeitsplätze. Gleichzeitig zerstört man durch billige Exporte in arme Länder die dortigen landwirtschaftlichen Strukturen und Märkte.

Angesichts dieses internationalen industriell-landwirtschaftlichen Komplexes scheint aber die Umstellung auf eine nachhaltigere Produktionsweise doch schwer umsetzbar?

Die Umsetzung ist möglich, ist aber vor allem eine Frage des politischen Willens, den ich im Moment leider nicht sehe. Gerade in der Agrarpolitik haben wir es leider vor allem mit betonköpfigen Politikern zu tun, die wichtige Themen wie den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, globale Verantwortung oder Artenvielfalt verdrängen. Im Moment bestimmen die Lobbyisten der Großbetriebe, der Biochemiekonzerne und der Bodenspekulanten die weltweite Agrarpolitik und die Art und Weise, wie Lebensmittel produziert und verarbeitet werden. Solange man Landwirtschaft aber genauso denkt und plant wie den Autobau oder ähnliche Industriezweige, ist eine Veränderung auch nicht umsetzbar. Aus genau diesem Grund ist es für Slow Food grundlegend, Lebensmittelproduktion auch im Sinne kultureller und politischer Nachhaltigkeit zu denken.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte, an denen man kurz- und mittelfristig die Richtung in der Landwirtschaftspolitik ändern kann?

Foto: Sharon Sheets

Ursula Hudson, Jahrgang 1958, ist Kulturwissenschaftlerin und Autorin. Sie hat 1993 an der Ludwig-Maximilians-Universität promoviert und ist seit 2011 Erste Vorsitzende von Slow Food Deutschland. In den Jahren 2007 und 2008 war sie Geschäftsführerin der Deutschen Akademie für Kulinaristik.

In Europa ist Landwirtschaft der größte subventionierte Sektor. Indem zum Beispiel die Förderung der Betriebe verändert wird, weg von der flächenbezogenen zu einer leistungsbezogenen Subventionierung, die auch Faktoren wie artgerechte Tierhaltung, Natur-, Klima- und Umweltschutz berücksichtigt, bringt man die Landwirtschaft damit wieder in die richtige Richtung. Diese zukunftsorientierten Vorgaben müssen natürlich sowohl auf nationaler Ebene wie auch innerhalb der Europäischen Union vorangetrieben werden. Der Biolandbau sollte außerdem massiv gestärkt werden. Finanzielle Anreize für Umwelt- und Klimaleistungen sind für konventionelle Landwirte sicher eine zusätzliche Motivation, ihre Produktion auf Bio umzustellen. Zudem würde das den kleinen und mittleren Betrieben mehr langfristige Planungssicherheit geben.

Sehen Sie politische Ansätze bei den Parteien, die in die richtige Richtung gehen?

Natürlich gibt es einsichtige und kluge Politiker, vor allem bei den Grünen und auch in der Linkspartei, die sich für eine zukunftsfähige Lebensmittelproduktion einsetzen. Ich verstehe aber nicht, dass ausgerechnet die Parteien, die das große „C“ im Namen tragen, nicht sehen wollen, wie unchristlich diese industrielle Landwirtschaft ist, die Menschen, Tiere und Umwelt ausbeutet.

Ihr Verein ist auch auf der Biofach präsent und hat zur „Wir haben es satt“-Demonstration aufgerufen. Wie kann eine Vereinigung wie Slow Food, die sich vor allem auf das Thema Genuss konzentriert, auf solche politischen Entscheidungsprozesse einwirken?

Gut, sauber und fair

„Buono, pulito e giusto“, also gut, sauber und fair. Das sind die drei Grundbegriffe, mit denen Carlo Petrini das Slow-Food-Konzept beschreibt. Die von dem Italiener 1986 gegründete gleichnamige Organisation mit der Weinbergschnecke als Symbol der Langsamkeit im Logo setzt sich für genussvolles wie regionales Essen ein – als Gegenbewegung zum globalisierten Fastfood. Mit rund 80.000 Mitgliedern in etwa 150 Ländern auf allen Kontinenten ist Slow Food eine internationale Bewegung. In Deutschland gibt es seit 1992 einen nationalen Slow-Food-Verein. Infos unter: www.slowfood.de

Der Marktkorb ist auch ein politisches Statement, ohne Essen geht doch gar nichts. Ich nenne das gern „Abstimmen mit der Gabel“. Zum Genuss gehören für Slow Food aber auch Ernährungssicherheit und -souveränität, gesunde Lebensmittel, bei denen Qualität und guter Geschmack entscheidend sind, aber eben auch die Art und Weise, wie sie produziert werden. Die aktuelle Landwirtschaftspolitik trennt die Verbraucher komplett von der Natur ab. Sie sollen konsumieren, aber am besten gar nicht mitbekommen, wie und wo ihre Lebensmittel produziert werden. Nur wenn wieder einmal Skandale in der Branche aufgedeckt werden, wird über unsere Lebensmittel diskutiert. Deshalb mischen wir uns als Menschen, die Spaß an gutem Essen haben, immer wieder in die Diskussion ein. Wir wollen ja nicht das schlechte Gewissen der Nation sein, sondern positiv zu ökologischem Genuss motivieren.

Nachhaltiges Denken endet aber oft beim eigenen Geldbeutel. Auch die knickrigen Konsumenten und der preisdrückende Handel sind mitverantwortlich dafür, dass immer mehr Lebensmittel aus industrieller Landwirtschaft stammen. Wie kann man mehr Verbraucher und den Handel zum Umdenken bewegen?

Viele Menschen machen sich ja bereits Gedanken und essen öfter Bio, kochen mit mehr Gemüse und weniger Fleisch. Man übersieht im konventionellen Handel gern, welche Leistung die Menschen erbringen, die gute und gesunde Lebensmittel produzieren, und welche Ausbeutung der Produzenten hinter den billigen Produkten beim Discounter steckt. Sehen Sie sich einmal an, unter welchen sklavenartigen Bedingungen Migranten arbeiten müssen, die Obst und Gemüse in Spanien oder Marokko ernten. Oder wie schlecht die Spargelstecher aus Osteuropa bezahlt werden, damit wir unser Lieblingsgemüse nur recht billig bekommen. Wenn in der Agrarindustrie gerechte Löhne bezahlt würden, wären biologische Lebensmittel im Vergleich oft preisgünstiger als konventionelle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen