Jeder virte kan nich schreiben

Vor dem Hintergrund von Zuwanderung und Inklusion sinkt die Kompetenz der Grundschüler

Die Kultusministerkonferenz stellte die Studie vor. Foto: Gilles Leimdorfer/plainpicture

Aus Berlin Anna Lehmann

Deutschland erlebt einen zweiten milden Pisa-Schock. ViertklässlerInnen können heute in vielen Bundesländern schlechter rechnen, rechtschreiben und zuhören als 2011. Das ist das bittere Ergebnis des aktuellen Kompetenzvergleichs in den Fächern Mathe und Deutsch, welchen die Kultusministerkonferenz am Freitag in Berlin vorstellte.

An dem Test hatten im vergangenen Jahr fast alle Kinder, die in Deutschland die vierte Klasse einer Grund- oder Förderschule besuchen, teilgenommen. Sie basieren auf den Standards, die die Kultusminister gemeinsam für verschiedenen Bildungsbereiche definiert haben und die festlegen, was Kinder nach einer gewissen Lernzeit in der Schule können sollten.

Im Fach Mathematik konnten nur noch 62 Prozent der SchülerInnen das, was die Kultusminister als Regelstandard definieren. Vor sechs Jahren waren es noch 68 Prozent der Viertklässler. Im Bereich Lesen blieben die Ergebnisse zwar stabil, doch in Rechtschreibung rutschten die Schüler gegenüber 2011 deutlich nach unten. Nur noch jeder zweite Schüler (53 Prozent) erreicht den Regelstandard und kann laut KMK-Definition „geübte, rechtschreibwichtige Wörter normgerecht schreiben“ und „Rechtschreibstrategien anwenden“. Vor sechs Jahren schafften das noch fast zwei von drei (63 Prozent). Beinahe ein Viertel der Schülerinnen und Schüler verfehlen den als untere Grenze eingezogenen Mindeststandard im Bereich Orthografie, sie erkennen etwa in einem kurzen Text nicht, welche Wörter falsch geschrieben sind.

Die Direktorin des für die Schulstudie zuständigen Instituts für Qualitätssicherung, Petra Stanat, wies auf die geänderten Rahmenbedingungen in Deutschland hin. Insgesamt sei die Schülerschaft heterogener geworden, der Anteil von Schülern, deren Mutter- oder Vatersprache nicht Deutsch sei, sei gestiegen, genauso wie der Anteil von Kindern mit Förderbedarf, die im Zuge der Inklusion zunehmend an Regel- statt Sonderschulen unterrichtet werden. Vor diesem Hintergrund bewertete Stanat die relativ stabilen Leseleistungen als Erfolg.

Doch die Herausforderungen steigen weiter. SchülerInnen, die 2015 mit ihren Eltern als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland kamen, sind zum Beispiel in der aktuellen Erhebung noch nicht erfasst. Die Schülerschaft wird also noch vielfältiger, die Schulen sind auf diese neue Vielfalt jedoch nicht richtig vorbereitet. Drücken also Kinder mit Förderbedarf und mit Migrationshintergrund das Niveau an den Regelschulen nach unten?

Nicht zwangsläufig, meint Hamburgs Bildungssenator Ties Raabe. „Ein hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund führt nicht automatisch dazu, dass die Leistungen sinken, im Gegenteil.“ In Hamburg hat fast jeder zweite Viertklässler einen Zuwanderungshintergrund, trotzdem ist der Stadtstaat das einzige Land, wo sich die Kompetenzen der Kinder im Fach Deutsch signifikant verbesserten.