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Komm in die Gänge

Beteiligungslos Fast ein bisschen eingeschlafen wirkt Löhne in Ostwestfalen. Den meisten Leuten geht es gut. Eigentlich gibt es keine Probleme. Das Einzige, worüber sich gestritten wird, ist die AfD

In Löhne wohnen Geflüchtete in sanierten Reihenhäusern mit großem Garten. Und auch sonst läuft es. So gut, dass das vielleicht der Grund ist, weshalb hier niemand über die nahende Bundestagswahl spricht. Ernst zu nehmende ökonomische oder soziale Verwerfungen gibt es nicht. Das erzählt Jörg Dahlbeck, grauvollbärtiger Sozialarbeiter, der viel lacht, wenn er in seinem Kleinwagen durch den Gemeindeverbund Löhne fährt – heute ausnahmsweise im Stau, weil gerade Küchenmesse ist.

Das Einzige, was „Reibung“ verursache, sei die Angst vor den Rechten, die Sorge, dass die AfD im Ort erstarken könnte. Nicht grundlos, weil rechte Strukturen hier nicht unbekannt seien. Dahlbeck gehört zum Bündnis „Gemeinsam für Vielfalt/ Löhne gegen Rechts“. Sie wollen die Ansiedlung einer „Botschaft“ von Reichsbürgern im Ort skandalisieren. Das Büro ist nun geschlossen, es gebe aber immer noch Leute mit „subtilen Ängsten vor Überfremdung“ und auch desinteressierte Menschen, die „wie Kinder eine Tüte über den Kopf ziehen“ und denken: „Wenn ich die nicht sehe, dann sehen die mich auch nicht.“ Dahlbeck lacht. Die Sorge ist trotzdem echt.

Im Café Muckefuck sitzt der Gesamtschullehrer Volker Hegemann, auch vom Bündnis, mit Backenbart und schwarzem Pullover. „Komm in die Gänge“ steht darauf. Hegemann erzählt von der letzten Sitzung des Bündnisses. „Manchmal frage ich mich, ob die Menschen sich wirklich mehr beteiligen wollen“, sagt er. In Löhne scheinen sich nicht viele Menschen für Politik zu inter­essieren. Vielleicht ist Löhne die konkrete Manifestation der postpolitischen Merkel-Republik, der viel zitierten Weiter-so-Mentalität. Ein Zustand, den ironischerweise die AfD her­ausfordert, weil sie die ansonsten Desinteressierten mit ihrem Auftreten aufschrecken lässt? „Vielleicht ist das so“, sagt Hegemann. Keiner verneint.

Die These wird auch in der Löhner Bertolt-Brecht-Gesamtschule, wo Hegemann arbeitetet, bestätigt: Hegemanns Schüler erzählen aufgeregt von einer Wahlveranstaltung, an der sie kürzlich teilnahmen, über die Statements des AfD-Kandidaten, die sie „bescheuert“ fanden. 400 Schülerinnen und Schüler bereiteten zuvor in Sowi-Stunden Fragen vor und konfrontierten die Wahlkreiskandidaten von CDU, SPD, Grüne, Linke, FDP und AfD.

Lisa ist in der elften Klasse und noch nicht wahlberechtigt. Die Reaktionen auf die AfD waren heftig, erzählt sie, aber „jeder hat gecheckt, dass man die AfD nicht wählen soll“. Benjamin und Louis teilen die Ablehnung, beide fanden die Art und Weise, wie sich die anderen Parteien auf die AfD einschossen „teilweise kontraproduktiv“.

Lisa findet das auch. Eigentlich hätte sie gern mehr über innere Sicherheit, Europa oder Migration gehört. Statt immer nur über die AfD.

Volkan Ağar, Löhne

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