piwik no script img

brüsseler spitzenDie Show gestohlen

die eu-parlamentskolumne

von Eric Bonse

Wir wissen nicht, ob Edward Snowden allein vor dem Fernseher in seinem Moskauer Hotelzimmer saß, als er von Angela Merkels Bierzeltrede hörte. Wir wissen auch nicht, ob er vor seinem Tweet noch mit Freunden aus Europa gesprochen hat. „In diesem Moment beginnt eine neue Ära“, jubelte er nach Merkels Bruch mit US-Präsident Donald Trump.

Vielleicht wäre Snowdens Kommentar weniger begeistert ausgefallen, wenn er statt in Moskau in Brüssel gewesen wäre. Hier fiel die Reaktion nämlich wesentlich gedämpfter aus. Dass „wir Europäer“ unser Schicksal „wirklich“ in die eigene Hand nehmen müssen, wie die Kanzlerin fordert, rief bei den EU-Politikern nur ein müdes Lächeln hervor.

Das predige man ja schon seit Jahren, ließ Kommissionschef Jean-Claude Juncker seinen Sprecher verlauten. Noch müder fiel die Reaktion im Europaparlament aus. Dem Chef der größten Fraktion, Manfred Weber (CSU), war die weltbewegende Rede der Bundeskanzlerin nicht einmal einen Tweet wert.

Dass nach Trumps missglückter Europa-Tour eine neue Ära anbrechen könnte, war in der Hauptstadt der EU nicht zu spüren. Leider. Ein Jahr nach dem Brexit und ein halbes Jahr nach Trumps Machtübernahme herrscht in Brüssel immer noch Business as usual. Deshalb fiel es Merkel so leicht, den Berufseuropäern die Show zu stehlen. Sie klammern sich an ihre Routine.

Allerdings gibt es noch einen anderen Grund für die maue Reaktion. Viele EU-Politiker erinnern sich nur zu gut daran, dass es Merkel war, die die überfällige Emanzipation von den USA behindert und blockiert hat. Im Irakkrieg stand sie in Treue fest zu George W. Bush – und nicht auf Seiten der „alten Europäer“, die sogar eine Art Gegen-Nato gründen wollten.

In der Eurokrise war es Merkel, die darauf beharrte, den Internationalen Währungsfonds – und damit Washington – an Bord zu holen. Die Kanzlerin war es auch, die das EU-Budget zusammengestrichen hat; gemeinsam mit den Briten übrigens, die nun die EU verlassen. Nach dem Brexit dürfte der Haushalt weiter schrumpfen – denn Berlin will nicht für London einspringen.

Wer all das im Hinterkopf hat, kann sich auch schon mal ärgern, dass Merkel der EU die Show gestohlen hat. So richtig freuen kann sich wohl nur jemand, der mit den Feinheiten (und Gemeinheiten) der europäischen Politik nicht vertraut ist. Aber es sei dir gegönnt, Edward!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen