Biologe über Plastikfressende Raupe: „Die kann man überall kaufen“

Eine Forscherin in Spanien hat entdeckt, dass eine Raupe Plastik fressen kann. Müllproblem ade? Unser Experte gibt Auskunft.

Raupe frisst Plastik

Zersetzt auch Plastik: die Raupe Foto: dpa

Eine Forscherin in Spanien hat entdeckt, dass die Raupen der Großen Wachsmotten Polyethylen, also Plastik, fressen kann.

taz: Herr Werning, ist diese Entdeckung eine Sensation?

Heiko Werning: Das ist für viele Menschen eher eine ganz triviale Alltagserfahrung. Ich ärgere mich mit dem Phänomen seit Jahrzehnten herum. Die sogenannten „Wachsmaden“ sind nämlich einerseits weit verbreitete Parasiten in Bienenstöcken und bei Imkern ebenso gut bekannt wie verhasst. Und andererseits beliebte Futtertiere für Reptilien, Amphibien, Kleinsäuger und Vögel. Die kann man überall im Zoohandel kaufen. In Plastikdosen.

Und in der Tat: Wenn man die zu lange herumstehen lässt, nagen die kleinen Biester sich da ruckzuck raus. Das dürfte jeder Hobby-Imker und jeder Vivarianer leidvoll erfahren haben. Eine Sensation ist für mich eher, dass das offenbar erst jetzt jemand wissenschaftlich untersucht hat; ich hätte das als sozusagen längst gegessen vermutet.

Welche biochemischen Prozesse laufen da ab?

Was da genau passiert, ist bislang unbekannt. Ich hätte angenommen, dass die Raupen das in erster Linie mechanisch mit ihren Beißwerkzeugen erledigen, dass das Plastik also nicht wirklich abgebaut, sondern nur zerkleinert wird. Die neue Studie jetzt zeigt aber, dass es auch eine biochemische Komponente gibt, ein Enzym im Speichel oder von symbiontischen Darmbakterien, das die Plastikpolymere tatsächlich aufspaltet, also unter Energieabgabe in andere Verbindungen umwandelt. Generell ist der Prozess nicht so erstaunlich: Eigentlich leben Wachsraupen in Bienenstöcken, und Wachs ist chemisch betrachtet recht plastikähnlich. Dass bei diesen chemischen Prozessen Energie freigesetzt wird, weiß auch jeder, der so mit den Raupen befallenen Wachs mal in der Hand hatte: der wird verblüffend warm.

Heiko Werning ist studierter Biologe und Raupen-Experte der taz.

Plastik ist ja ein organisches Material, nur halt in einer Darreichungsform, die für die meisten Organismen ziemlich unverdaulich ist. Aber generell kann das natürlich in seine Bestandteile zerlegt werden. Das passiert ja auch in der Natur – selbst Plastik verrottet. Es dauert halt nur unter Normalbedingungen recht lange. Die Raupen wirken da wie ein Katalysator, der das massiv beschleunigt.

Entsteht am Ende ein organischer Stoff?

Natürlich. Asche zu Asche, Kohlenstoff zu Kohlenstoff. Daraus entstehen Wachsmadenkot und Energie. Wie umweltfreundlich dieser Wachmadenkot am Ende ist, ist sicher auch Stoff für schöne Doktorarbeiten. Ich wünsche schon mal viel Spaß beim Forschen.

Gibt es noch mehr Organismen, die Plastik zersetzen können?

Ja. Das können diverse Bakterien und Pilze. Sie brauchen halt nur recht lange dafür, vor allem bei ungünstigen Klimabedingungen. Im feucht-warmen Tropenklima wird auch Plastik vergleichsweise fix abgebaut, in Wüsten oder gar Eiswüsten ist es praktisch unzerstörbar, gemessen an der menschlichen Lebenszeit.

Plastik ist eines der größten Probleme der Menschheit. Kann diese Raupe die Rettung sein?

Wenn es gelingt, das vermutliche Enzym, das für die Aufspaltung der Plastikpolymere verantwortlich ist, zu isolieren und synthetisch herzustellen, scheint es mir durchaus realistisch, das technisch anwendbar zu machen.

Wie kann die Menschheit diese Entdeckung für sich instrumentalisieren?

Interessant wäre natürlich vor allem, wenn es gelänge, damit das Plastikmüllproblem in der Umwelt anzugehen. Auf Mülldeponien etwa landet immer noch viel Plastik, das dort nur sehr langsam abgebaut wird. Könnte man die mit dem noch zu entwickelnden Wachsraupensaft impfen und damit den Abbau deutlich beschleunigen, wäre das sicherlich hilfreich. Toll, aber schwer vorstellbar wäre, eines Tages die riesigen Plastikmüllinseln in den Ozeanen mit dem Zeug zu bearbeiten, damit die sich dann einfach in Wohlgefallen auflösen. Aber da wäre ich dann doch skeptisch. Und für Plastikmüll an sich gibt es ja eigentlich bereits zwei recht effiziente Möglichkeiten: Wiederverwertung oder Verbrennung. Das könnten die Raupen wohl auch nicht besser hinbekommen.

Das Plastik im Meer ist ein Problem – doch viele Objekte, die für die Menschheit mittlerweile unverzichtbar sind, sind ebenfalls aus Plastik. Besteht durch die Raupe vielleicht sogar eine Gefahr?

Für Bienenstöcke: definitiv. Ansonsten: nein. Wie gesagt, diese Raupe ist alles andere als exotisch. Die lebt hier bei uns überall. Vermutlich auch in den Bienenstöcken auf dem taz-Haus. Und trotzdem hat noch keine der Raupen bisher Eure Tastaturen zernagt, oder?

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