Beerdigung von Muslimen in Sachsen: Nilas Tochter und das kleine Holzhaus
Sachsen ist eines der wenigen Bundesländer, in denen für Beerdigungen noch die Sargpflicht gilt. Das widerspricht muslimischer Tradition.
Nasir und Nila* kommen jeden Sonntag zum Grabfeld. Ihre Tochter ist hier begraben. „Sie war lange krank“, sagt Nila, eine kleine Frau mit rotem Kopftuch. Nasir, ihr Mann, lächelt verlegen. Sein Oberlippenbart kräuselt sich dabei. Er lässt lieber seine Frau sprechen, ihr Deutsch sei besser. Vor 13 Jahren ist die Familie aus dem Irak nach Leipzig geflüchtet, erzählen sie.
Der Tod der Tochter vor knapp drei Jahren sei ein schwerer Schlag gewesen. Als Nasir und Nila die Beerdigung organisieren mussten, stellten sie sich die Frage: Hier beerdigen oder im Irak? Doch sie wollten ihre Tochter am Grab besuchen und entschieden sich für das Grabfeld in Leipzig. Aber etwas irritierte sie: „Unsere Tochter sollte nicht in das kleine Holzhaus“, sagt Nila und deutet mit ihren Händen eine viereckige Form an.
Sie meint den Sarg, in dem ihre Tochter beigesetzt werden musste – denn in Sachsen gilt nach wie vor die Sargpflicht. Ohne Sarg darf kein Leichnam unter die Erde, besagt das Sächsische Bestattungsgesetz. Nur in Sachsen-Anhalt, Bayern und Sachsen gibt es diese Vorschrift noch. Das ist vor allem für Muslime ein Problem. Nach islamischer Tradition werden sie ohne Sarg, dafür aber in ein weißes Leintuch gewickelt, beigesetzt.
Gegenstimmen kommen von CDU, AfD und Landeskirche
In die Öffentlichkeit gelangte das Thema zuletzt durch den Fall Jaber al-Bakr. Der mutmaßliche Attentäter hatte sich im November in der JVA Leipzig umgebracht. Sein Leichnam wurde nach Berlin überführt. Aufgrund der Sargpflicht sei eine Beisetzung nach muslimischer Tradition in Leipzig nicht möglich, so der Anwalt Alexander Hübner zu den Medien. Verschiedene Zeitungen berichteten, auch der Landtag diskutierte über eine mögliche Abschaffung der Sargpflicht.
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Schon zuvor setzte sich Marion Junge von der Linksfraktion im sächsischen Landtag für eine Modernisierung des Sächsischen Bestattungsgesetzes ein, das in der jetzigen Form schon seit 1994 besteht. Bis 2018 möchte sie einen entsprechenden Antrag im Landtag einbringen. Junge spricht ruhig, aber bestimmt: „Wir wollen eine stärker selbstbestimmte Bestattung und weniger Vorschriften.“ Ein wesentlicher Bestandteil davon wäre die Abschaffung der Sargpflicht. Die Regierung aus SPD und CDU aber sieht keinen Bedarf. Sie hatte schon im Sommer 2016 einen Antrag dazu abgelehnt.
Gegenstimmen sind schnell ausgemacht: AfD, CDU und die Landeskirche wollen am Sarg festhalten. Ihr häufigstes Argument: Er sei aus hygienischen Gründen unverzichtbar. Eine fundierte Studie dazu gibt es bisher nicht, aus all den anderen Bundesländern ohne Sargpflicht sind keine Schwierigkeiten bekannt.
Auch Hans-Jörg Vogel vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung Leipzig sieht keine Probleme: „Ob mit oder ohne Holz funktioniert die Zersetzung von organischer Substanz im Boden sehr zuverlässig.“ Friedmann Sandig von der HTWK Leipzig findet gerade die Verwendung von Särgen bedenklich – wenn sie nämlich von schlechter Qualität sind. Pressspanholz, Klebstoffe, Tackernägel, das seien Fremdstoffe, die ursprünglich nicht in den Boden gehören.
13 Prozent der Ostdeutschen wünschen sich ein Sarggrab
Und was ist mit den Wachsleichen? Der Befürchtung, ohne Sarg gäbe es nicht genug Sauerstoff und um die Leiche würde sich eine Schicht aus Wachs bilden, die den Verwesungsprozess aufhält? „Das ist keine Frage des Sarges, sondern des Umgebungsbodens“, sagt Sandig. Auch in Sachsen finden Friedhofsangestellte immer wieder Wachsleichen, wenn sie die Gräber nach Jahren ausheben.
Doch die Landeskirche Sachsen wittert in der Abschaffung der Sargpflicht schon den „weiteren Verfall der Friedhofs- und Gedenkkultur“, so Pressesprecher Matthias Oelke. Der Sarg gehöre einfach zu unserer Bestattungskultur. Die Realität auf Deutschlands Friedhöfen trifft er damit nicht ganz: Nur noch 13 Prozent der Ostdeutschen wünschen sich ein übliches Sarggrab auf einem Friedhof. Das ergab eine Umfrage der Verbraucherinitiative Aeternitas aus dem Jahr 2016.
Uwe Wurlitzer von der AfD sieht das anders: „Es kann doch nicht sein, dass wir hier im vorauseilenden Gehorsam unsere Gesetze ändern, damit Zuwanderer ihre Bräuche pflegen können.“ Auch er verweist auf die christliche Tradition. Iftekhar Ahmad, Imam der Ahmadiyya-Moschee, wundert sich über dieses Argument. „Meiner Meinung nach stellen christliche Traditionen keine staatlichen Normen dar, und Gesetze dürfen sie schon gar nicht beeinflussen“, sagt Ahmad. Wenn es um den Einfluss des Islams gehe, werde gerne mit der Trennung von Staat und Religion argumentiert – andersrum scheine es in Ordnung zu sein.
Überhaupt gehen muslimische Gemeinden in Leipzig wesentlich unaufgeregter mit dem Thema um. „Davon habe ich noch nie gehört“, sagt der Leiter der Takva-Moschee, Muhammad Seçkin, angesprochen auf die Sargpflicht. Er sitzt auf dem Boden des kleinen Gebetsraumes im Leipziger Osten. Der ist mit rot gemusterten Teppichen ausgelegt, die gen Mekka zeigen. Kinder wuseln umher, ihre Rufe lassen in der Moschee keine Stille aufkommen.
„Dafür gibt es ein Gesetz?“
Muhammad Seçkin hat ein Bein locker angewinkelt, lächelt sanft und schüttelt verwundert den Kopf. Alle Verstorbenen der noch jungen Gemeinde seien bisher in die Türkei zurückgebracht worden. Von der Sargpflicht hört er deshalb zum ersten Mal. „Wenn Sie mich fragen, soll man so etwas nicht in einem Gesetz festlegen“, sagt Seçkin. „Warum soll ich meine Tradition aufgeben und nach einer anderen Tradition leben müssen?“ Auch seine kleine Tochter macht große Augen: „Dafür gibt es ein Gesetz?“
Hans-Georg Ebert, Islam-Experte
Begräbnisse in Deutschland waren für viele muslimische Gemeinden bisher kein Thema. Wie in der Takva-Gemeinde schickten viele Angehörige ihre Toten zurück in die Heimat. Noch ist das muslimische Grabfeld auf dem Ostfriedhof weitgehend leer. Seit der Gründung im Jahr 1997 gab es nur etwa 87 Beisetzungen. Die Gräber drängen sich in eine Ecke des Feldes, während der Großteil frei bleibt – fast so, als warteten sie auf den bevorstehenden Andrang.
Tatsächlich sind sich Islamexperten wie Martin Zabel und Hans-Georg Ebert von der Universität Leipzig einig: Die Beisetzung von Muslimen wird auch in Sachsen wichtiger. Das liegt zum einen an den Geflüchteten, die hier eine neue Heimat fanden. Denn sie werden bleiben. Den Leichnam in das Herkunftsland zurückzuschicken, zahlt der Staat nicht – eine Beisetzung auf dem Ostfriedhof schon.
Zum anderen werden sich zukünftige Migrantengenerationen eher hier begraben lassen. Sie sind hier geboren, haben ihre Familie und Freunde hier. „Das ist auch eine Frage der Integration“, sagt Linken-Abgeordnete Junge. „Wenn wir sagen, wir wollen uns interkulturell öffnen, dann gehört das Sterben dazu.“
Deutschen Gegebenheiten angepasst
Das Sächsische Bestattungsgesetz zu überarbeiten, würde nicht nur Muslimen zugute kommen. Neben der Sargpflicht möchte Junge auch den Friedhofszwang lockern und so alternative Bestattungen erleichtern. „Es gibt neue Lebensweisen, und so muss es auch neue Weisen der Bestattung geben“, findet auch Islamexperte Hans-Georg Ebert.
Nasir und Nila haben sich mit dem Sarg ihrer Tochter abgefunden. Inzwischen liegt sogar ein Blumengesteck auf dem Grab, obwohl das im Irak eigentlich nicht üblich ist. Schließlich mache man das so in Deutschland, sagt Nila. Und es sehe hübsch aus. Sie haben sich bei der Beisetzung ihrer Tochter ein Stück weit den deutschen Gegebenheiten angepasst – warum kommt Sachsen ihnen nicht auch ein Stück entgegen und lässt die Sargpflicht fallen? Gründe, die dagegensprechen, gibt es jedenfalls keine.
* Namen geändert
Mitarbeit: Constanze Kainz, Regina Steffens, Maximilian König
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