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Erzieherin darf Kopftuch tragen

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT Religionsfreiheit gilt auch in Kindergärten und Kitas. Baden-württembergisches Gesetz muss „verfassungskonform“ ausgelegt werden

Von Christian Rath

FREIBURG taz | Das Bundesverfassungsgericht hat das generelle gesetzliche Kopftuchverbot an baden-württembergischen Kitas gekippt. Kopftuchtragende Erzieherinnen können künftig nur noch gekündigt werden, wenn sie explizit für ihre Religion werben.

Vor zehn Jahren hatte der Stuttgarter Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP das Kindertagesbetreuungsgesetz des Landes ergänzt. Wer in einer Kita oder einem Kindergarten arbeitet, durfte seitdem „keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben“, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers oder den religiösen Frieden der Einrichtung zu gefährden. Das klingt sehr abstrakt. Doch in der politischen Debatte wurde nur vom „Kopftuchverbot“ gesprochen.

Im August 2007 erhielt eine deutschtürkische Erzieherin von der Stadt Sindelfingen eine Abmahnung, weil sie weiterhin mit Kopftuch zur Arbeit erschien. Die Frau klagte gegen die Abmahnung und unterlag aber bei den Arbeitsgerichten, weil diese ja das Kitagesetz anwenden mussten. „Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung wie des Kopftuchs stellt eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar“, entschied 2010 das Bundesarbeitsgericht.

Erst beim Bundesverfassungsgericht hatte die Frau jetzt Erfolg. Das Kitagesetz müsse einschränkend „verfassungskonform“ ausgelegt werden, entschied Karlsruhe. Eine abstrakte Gefahr für Neutralität und Kitafrieden genüge nicht, um eine Erzieherin abzumahnen oder gar zu kündigen. Schließlich könne diese sich auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen. Nur wenn jemand offen für seinen Glauben werbe, sei das Bekundungsverbot im Kitagesetz noch anwendbar.

Zur Begründung hieß es: Mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Erzieherinnen sei „keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden“, es gehe vielmehr um eine „erkennbar individuelle Grundrechtsausübung“. Vom Tragen eines Kopftuchs allein gehe auch noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Die Eltern müssten damit leben, dass ihr Kind in der Kita, wie auch sonst in der Öffentlichkeit, Frauen mit Kopftuch begegne. „Ein ‚islamisches Kopftuch‘ ist in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wider“, schrieben die Richter.

Eine „erkennbar individuelle Grundrechtsausübung“, sagt das Gericht

Der Beschluss kommt nicht überraschend, nachdem das Gericht Anfang 2015 bereits bei Lehrerinnen generelle Kopftuchverbote beanstandet hatte. Es hielt nicht einmal eine Pressemitteilung für angemessen.

Die grün-schwarze Koalition dürfte keine Probleme mit der neuen Karlsruher Vorgabe bekommen. Da das Kitagesetz nicht für verfassungswidrig erklärt, sondern nur neu ausgelegt wurde, muss die Landesregierung nun nicht tätig werden. Anwenden müssen die liberalere Linie nun die Kita-Träger. (Az.: 1 BvR 354/11)

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