Business mit Flüchtlingen im Sudan: Die Ehre der Schleuser
Tamir und Khalid treten wie seriöse Geschäftsleute auf – sie brachten 5.000 Flüchtlinge nach Europa. Beide sind stolz darauf. Und sie sind ausgestiegen.
Khartum, die Hauptstadt des Sudan mit gut 5 Millionen Einwohnern, ist auch eine 200 Jahre alte Kolonialstadt der Briten. Hier fließen der Blaue und der Weiße Nil zusammen, an den Ufern hat sich das allmächtige sudanesische Militär die Filetstücke gesichert. Die Stadt, die aus der Vereinigung der Ortsteile Khartum, Omdurman und Bahri entstand, ist geprägt vom Empire-Stil der Repräsentationsbauten, vom panarabischen Avantgardismus, der zu leblosen staubigen Betonklötzen geführt hat. Und schließlich einem Islamismus, der sich von den chinesischen Geschäftspartnern Protzbauten errichten lässt.
Tamir, der Schleuser. Ein junger Mann, Mitte 20. Bis vor ein paar Wochen hat er im Schleuser-Business gearbeitet. Er sitzt aufrecht in seinem Stuhl. Sein Hautton ist dunkel – im Sudan eines der vielen Zeichen für seinen sozialen Status: Er gehört nicht zu den Arabern, die die Machtelite stellen. Er ist ein Aufsteiger. Sein Einstieg in das Schleuser-Business, sagt er, war sanft. Eine Verführung während des Studiums in Ägypten.
Ein Sudanese im gleichen Wohnheim sprach ihn an, bot ihm für jeden Flüchtling, mit dem er ihn verkuppele, eine Provision. Tamirs Hemd ist sorgfältig gebügelt, die Streifen darauf heben sich klar voneinander ab. Ein Ingenieur wie aus „Homo faber“. 200 US-Dollar bekam er pro Kunden, eventuell 300 – und manchmal, das sagt er sehr stolz, auch 500 US-Dollar.
Eine Maschine, die Menschen bewegt
Tamir ist den anderen Menschen, die hier noch erwähnt werden, nicht begegnet. Aber er gehörte genau wie sie und Tausende andere auch zur riesigen Maschinerie, die jedes Jahr Hunderttausende Menschen bewegt. Menschen, deren Leben einen Preis hat, zusammen viele Millionen Euro.
Von dort, wo Tamir sitzt, sind es mit dem Auto fünf Minuten zum Flughafen. Er liegt mitten in der Stadt, neben dem alten Zentrum. Als die Briten den Flughafen hier planten, ahnte niemand, wie sich die Stadt ausdehnen würde. Nur flache Bauten sind zu sehen, kaum eines höher als fünf Stockwerke. Bis auf das „Hotel Paradise“, das am Abend mit einer rotglühenden Leuchtreklame auf sich aufmerksam macht. Ein hässlicher Klotz, der dennoch Sehnsüchte weckt. „Mit dem Geld, das man im Schleuser-Business verdient, kann man so etwas bauen“, sagt der Sudanese Khalil begehrlich.
Ein selbstbewusster Mann, Mitte 30, breite Schultern. Europäisch mit Hemd, Hose, feinem Schnurrbart. Auch er hat Flüchtlingen geholfen, knapp 2.000. Er ist misstrauischer als Tamir, er hat mehr zu verlieren, seine Familie, die Werkstatt, in der er deutsche Autos repariert. „Draußen steht mein Auto, ich habe den Motor laufen lassen“, bemerkt er immer wieder. Sein Fluchtwagen steht bereit. Schließlich hat die Regierung die Schleuserei offiziell unter hohe Strafe gestellt.
Keine Schwangeren, keine Mütter mit Kindern
Bei Khalil war es die Abenteuerlust, das leichte Geld, das ihn lockte. Am Anfang klebte er gegen ein Handgeld sudanesische Visa in die Pässe von Flüchtlingen, dann baute er eine Organisation auf. „Knapp 40 Leute arbeiteten für mich“, sagt er strahlend. Er ist stolz, dass er nie Schwangere oder Frauen mit kleinen Kindern mitgenommen hat. Er wusste um die Risiken. Fällt jemand in der Sahara vor Entkräftung vom Pick-up, wird nicht angehalten. Eher überlässt man diese Person einen sicheren Tod. Frauen müssen damit rechnen, mindestens dreimal vergewaltigt zu werden. Und zahlen die Flüchtlinge nicht genug, werden sie gefoltert, bis Verwandten Geld schicken.
So was kam bei Khalil nicht vor. Er habe noch Ehre gehabt, sagt er. Die heutigen Schleuser dagegen seien Verbrecher. „Manche Schleuser schneiden ihren Kunden die Nieren raus, um sie zu verkaufen.“ Was wie ein Splatterfilm klingt, ist nicht Khalils Fantasie entsprungen. Jahrelang wurden ahnungslose Eritreer von Khartum nach Ägypten transportiert, auf die Sinai-Halbinsel. Dort wurden sie gefoltert, bis ihre Verwandten Zehntausende US-Dollar zahlten.
2008 stieg Khalid aus. Warum? Es lief doch alles gut. Jeder Trip, sagt er selbstsicher, lief exakt nach Plan, die Fracht kam an. Doch da war das Mittelmeer. „Davor hatte ich Angst“, sagt er leise. Die Milizen, die Checkpoints, die Autos, die Wüste – all das konnte er unter Kontrolle bringen. Nur das Meer hielt sich nicht an Regeln. Der schlimmste Moment kam, als ein Freund nach Europa wollte. Khalid organisierte alles, inklusive Überfahrt. „Tesfai, so hieß er, war ein enger Freund“, sagt er stockend. Als Tesfai starb, weil sein Boot unterging, hörte er auf, sagt Khalid. „Da habe ich die Schleuserei an den Nagel gehängt.“
Die Täuschung von Kassala
Die Grenze zu Eritrea ist sieben Autostunden von der Hauptstadt entfernt. Kassala heißt die Stadt, in der sich die meisten eritreischen Migranten nach Überquerung des Todesstreifens wiederfinden. Denn die Soldaten ihres Landes haben Anweisung, auf Flüchtige zu schießen. Es gibt viele YouTube-Videos über Kassala, meistens erscheint die Stadt wie eine Keimzelle des Friedens mit Flüsschen, Grün und singenden Migranten.
Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel ist es, Flüchtlinge und Migranten tief im Inneren Afrikas aufzuhalten. Die taz berichtet darüber in einem Rechercheschwerpunkt. Die ersten Teile erschienen am 17. November (Zusammenarbeit der EU mit Sudans Regime) und am 23. November (zwei sudanesische Schleuser packen aus). Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (fleissundmut.org).
Für die Neuankömmlinge sind angeblich Buden aufgestellt, wo ihnen die Schleuser die Verwirklichung ihrer Träume für Europa versprechen: Rechtssicherheit, Freiheit, kostenlose medizinische Versorgung, öffentliche Verkehrsmittel. Was immer sie suchen, dort finden sie es. Zumindest in der Bude. Und dann kommen Leute wie Tamir ins Spiel.
Er sei, sagt Tamir, kein richtiger Schleuser gewesen, sondern nur ein Rädchen im Getriebe, ein Anwerber. Über das Schleusen spricht er kontrolliert, wie ein Geschäftsmann über den Handel mit Werbeflächen. Seine Gesten sind kantig und direkt. Wenn die Lampen im Café sein Gesicht beleuchten, beugt er sich in den Schatten.
Furcht und Loyalität
Schließlich hat er bis vor Kurzem für einen der Größten in der Branche gearbeitet, Wad Kabila. Ein Tarnname, den echten will Tamir nicht verraten, da binde ihn seine Loyalität. Und vielleicht die Furcht vor Rache. Denn Wad Kabila bewegt jährlich mindestens 7.200 Menschen. Und nimmt damit wahrscheinlich um die 7,2 Millionen US-Dollar ein.
RBB Kulturradio, Mi., 23.11., 22.04 Uhr: „Handlanger der Hoffnung“.
Der Sudan ist gut gelegen für jemanden, der mit dem Elend anderer Geschäfte machen will. Die rasiermesserscharf geschnittenen Grenzen stoßen an Ägypten, an den neuen Staat Südsudan, an Eritrea und Äthiopien, an den Tschad. Und an Libyen. Der Sudan ist das Verbindungsstück zwischen dem totenstillen Eritrea, aus dem keine Nachricht dringt, und dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Libyen.
Und Khartum ist die erste Station nach Europa. Hunderttausende Eritreer leben hier. Bevor die Regierung gegen Schleuser vorging, waren sie gut zu erkennen, verrichteten Billigjobs, beförderten in Motor-Rikschas Passagiere. Jetzt sind sie getarnt, untergetaucht, aber sie sind immer noch da und warten auf die Anrufe der Schleuser, wann es losgeht ins Paradies Europa.
Eine Jacke für die Sahara
„Probier die Jacke mal an“, sagt der Händler im Souq Arabi, einem der größten Märkte Khartums. „Die ist schön warm!“ Von der Decke baumeln verrüschte Kinderkleider, zum Schutz gegen Staub in Plastik gehüllt. „Das ist die Jacke, die Flüchtlinge auf ihrem Weg durch die Wüste bevorzugen“, sagt er und zeigt eine schwere, dunkle Jacke aus Kunststoff, mit einem filzigen Innenfutter gegen den harschen Wind, wenn die Flüchtlinge auf den Pick-ups tagelang durch die Sahara rasen.
„Die ist oft ausverkauft“, schwärmt der Händler, fast täglich würden Eritreer oder Äthiopier kommen, um so eine Jacke zu kaufen. Die Decken, die man braucht, um in einer kalten Wüstennacht auf dem Sand zu schlafen, hat er in der Mitte gut sichtbar zu einem Stapel getürmt. Flüchtlinge sind ein gutes Geschäft. Etwa 50.000 Eritreer fliehen Schätzungen zufolge jährlich in das Nachbarland.
Das Café ist mit hohen Hecken von der Straße getrennt. Draußen rumpeln Autos durch Schlaglöcher, die Fahrer blinzeln sich durch Staub und die Dunkelheit. Im Café versprühen Ventilatoren kühlende Nebel. Tamir sitzt geradezu herrschaftlich da, die Hände hängen lässig über der Lehne. Er spricht schnell. Er stößt hervor, dass er den Flüchtlingen Tipps gegeben hat, um die Reise zu überstehen, dass er ihnen riet, Biskuits und Schwimmwesten zu kaufen, dass er immer um sie besorgt, aber letztlich froh war, ihnen zu einem besseren Leben in Europa zu verhelfen.
„Sie sind Outlaws so wie wir“
Er sprudelt, seine Sätze werden zu einem Wasserfall. Dann stockt er. „Die Regierungsbeamten sind genauso korrupt wie wir, sie sind auch Outlaws, wie wir. Die Regierung tut nur, als ob sie was gegen die Schleuserei macht.“
Mit solchen Leuten könne er umgehen – Angst habe er nur vor den wenigen, die unbestechlich sind, die ihre Aufgabe und das Gesetz ernst nehmen. In der Spiegelwelt, in der Tamir lebte, waren diese Wenigen eine Gefahr, unberechenbare Irre – schließlich geht es doch nur ums Geschäft. Um ein Geschäft, von dem alle profitieren. Vom Nachbartisch ist Lachen zu hören. Für die Flüchtlinge ging es um den Traum von Europa.
„Ich sprach mit Frauen, die alles verkauft hatten, um zu reisen, die nur noch die 2.000 US-Dollar hatten, mit denen sie ihren Kindern eine schöne Zukunft in Europa kaufen wollten“, sagt er. „Solche arme Menschen, die um einen Rabatt bettelten.“ Aber Tamir sagt nicht, ob er den Rabatt gewährt hat. Es geht ja ums Business.
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