Übergriffe auf Flüchtlinge in Sachsen: Rechte setzen gezielt auf Bautzen

Rechtsextreme greifen in Bautzen erneut Flüchtlinge an. Trotzdem nahm die Polizei erst einmal keinen von ihnen, sondern einen Flüchtling in Gewahrsam.

Vier Beamte stehen vor einem Polizeiwagen

Die Polizei war bei den Übergriffen in Bautzen vor Ort – ließ aber die Angreifer entkommen Foto: dpa

BAUTZEN/GÖRLITZ taz | Im sächsischen Bautzen haben erneut Rechtsextreme mehrere Flüchtlinge angegriffen. Über das Ausmaß der Ausschreitungen waren sich Polizei und Medienberichte aber zunächst nicht einig. Wie die zuständige Polizeidirektion Görlitz am Mittwoch mitteilte, seien am Dienstagabend auf dem Kornmarkt zwei deutsche Frauen und drei junge Asylbewerber von acht Männern bedroht worden. Den Darstellungen, wonach es eine Hetzjagd auf Flüchtlinge gab, widersprach die Polizei am Mittwoch.

Zeit Online berichtete dagegen von einer „Hetzjagd“, an der sich 40 bis 50 Personen beteiligt hätten. Die Polizei dementierte diese Zahlen. Sie blieb auch auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bei ihrer Aussage, dass bei dem Vorfall höchstens bis zu 15 Personen beteiligt gewesen seien. Zeit Online beruft sich im Bericht auf einen ihrer Reporter, der zufällig in Bautzen als Augenzeuge vor Ort gewesen sein soll.

Debatte verkennt Vorgeschichte

Der Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann verlangte am Mittwoch präzise und neutrale Informationen der Polizei über Straftaten: „Offensichtlich werden als Problem vor Ort nicht die starken rechtsextremen Tendenzen und deren gewalttätige Manifestation gesehen, sondern die Geflüchteten.“

Nach Ansicht des Kulturbüros Sachsen verkennt die Darstellung der Auseinandersetzungen von rechter Szene und Flüchtlingen in Bautzen die Vorgeschichte und die seit längerem vorhandenen Strukturen. Markus Kemper vom zuständigen mobilen Beratungsteam Mitte/Ost verweist auf eine gezielte Provokationsstrategie der lokalen Naziszene.

Unter den geflüchteten jungen Männern seien nicht mehr als zwei bis drei psychisch schwierige oder drogenanfällige Problemfälle, die bei Provokationen ihrerseits mit Gewalt antworteten. Sie würden kaum betreut oder therapiert.

Solche Auseinandersetzungen seien bereits seit etwa eineinhalb Jahren zu beobachten. Seit 2015 steigen auch die bei der Opferberatung registrierten Zahlen von Übergriffen in Region.

Unter den Bautzenern gibt es wenige Extremisten

Markus Kemper verweist darauf, dass mit „Sturm 24“ bereits etwa ab dem Jahr 2000 eine Bautzener Gruppe in Erscheinung trat, die einen Nazi-Kiez errichten wollte. Neben anderen nationalistischen Kleingruppen ist derzeit vor allem „StreamBZ“ aktiv, jeweils kaum mehr als 15-20 Mitglieder. Kemper spricht von Strukturen, die einer Bürgerwehr ähneln. Punktuell werden sie von zugereisten Rechten beispielsweise aus der „Thügida“-Bewegung verstärkt, die nach den bundesweit bekannt gewordenen Zusammenstößen von Flüchtlingen und rechter Szene Bautzen als Plattform nutzen. Dieses Zusammenwirken war auch bei den angemeldeten Demonstrationen auf dem Kornmarkt zu beobachten, zuletzt am 7. Oktober.

Bei den Bautzener Einwohnern stoßen die Extremisten allerdings kaum auf Resonanz. Auch die offiziell angemeldeten Kundgebungen mit 200-300 Teilnehmern blieben weitgend isoliert.

Erstmals wegen gewalttätiger Zusammenstöße zwischen jungen Flüchtlingen und Rechtsextremen bundesweit in die Schlagzeilen geraten war Bautzen bereits im September. Damals hatten rechte Jugendliche gleichaltrige Flüchtlinge durch Straßen gejagt. Vorausgegangen waren wechselseitige Provokationen der beiden Gruppen. Bautzen verhängte daraufhin eine abendliche Ausgangssperre für die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge. Zudem verstärkte die Polizei ihre Präsenz. (mit epd/dpa)

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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