Paul Ziemiak über die Junge Union: „An Sachpolitik arbeiten ist sexy“

Der Vorsitzende der Parteijugend erklärt, wie sie für Frauen attraktiver werden will. Auch für die Asylpolitik und den Streit zwischen CDU und CSU hat er Lösungen.

Andreas Scheuer hält ein grünes, großes Spielzeugauto in die Luft, Hans Reichhart steht daneben

Die Junge Union Bayern weiß wie man Jugendlichkeit ausstrahlt Foto: dpa

taz: Herr Ziemiak, Sie sind der erste Vorsitzende der Jungen Union, der mit der taz spricht. Was ist anders im Jahr 2016?

Paul Ziemiak: Nach Brexit, Trump und diesem Interview werden ihre Leser*Innen 2016 endgültig als Katastrophenjahr abhaken. Im Ernst: Ich freue mich sehr auf das Gespräch.

Am Freitag beginnt der Deutschlandtag der Jungen Union. Laut Tagesordnung sprechen dort vierzehn Männer und eine Frau – Angela Merkel. Offensichtlich hat die JU ein ernsthaftes Frauenproblem. Woran liegt das?

Sie sprechen einen wunden Punkt an. Das missfällt mir genauso. Wir müssen da viel sensibler werden, darauf achten, dass bei uns mehr Frauen zu Wort kommen. Aber natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Wir laden die Leute zum Deutschlandtag ja nicht wegen ihres Geschlechts ein, sondern vor allem wegen ihrer Funktion. Es liegt bekanntlich nicht in meinem Ermessen, wer welche Aufgaben in der Bundesregierung übernimmt.

Aber wann geht es denn mal los bei der Jungen Union, planen Sie etwas Konkretes?

Wir arbeiten aktiv daran, die JU für Frauen attraktiver zu machen. Der Austausch dazu findet nicht nur zwischen mir und der Vorsitzenden der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz, statt. Auch die Mitglieder werden einbezogen. In einem gemeinsamen Workshop haben in diesem Sommer Frauen aus der JU und der Frauen Union sehr intensiv darüber diskutiert, was wir besser, anders machen können. Diese Ergebnisse werden wir auf dem Deutschlandtag präsentieren. Keine Sorge, wir haben das Problembewusstsein, und wir wollen da etwas ändern. In der Theorie klingt das oft einfach, aber in der Praxis braucht es Zeit.

Der Anlass: Am Freitag beginnt in Paderborn der Deutschlandtag der Jungen Union, der Jugendorganisation von CDU und CSU. Innerhalb der Union gilt sie als Reformbewegung, vor allem in Fragen der Generationengerechtigkeit. Traditionell sprechen beim Deutschlandtag Schwergewichte der Politik. Neben der Kanzlerin kommen in diesem Jahr Finanzminister Wolfgang Schäuble sowie die General­sekretäre Peter Tauber und Andreas Scheuer.

Der Politiker: Paul Ziemiak, 1985 in Stettin geboren, kam als Dreijähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem ­Abitur in Iserlohn studierte er Jura und Kommunikation. ­Ziemiak ist Mitglied einer katholischen Studentenverbindung. Er spricht einen tollen Ruhrgebietsdialekt mit rollendem R. Mitglied der Jungen Union wurde er mit nur 13 Jahren, mit 16 trat er in die CDU ein. 2012 wurde er Vorsitzender der nordrhein-westfälischen JU, zwei Jahre später wurde er in einer Kampfkandidatur zum Nachfolger des langjährigen JU-Vorsitzenden Philipp Mißfelder gewählt. Dieses Jahr steht seine Wiederwahl an. 2017 kandidiert Ziemiak im Wahlkreis Herne-Bochum II für den Bundes­tag. Seine SPD-Konkurrentin heißt dann Michelle Müntefering. (am)

Aber es wäre machbar.

Bei der Frauen Union musste ich mich auch dafür rechtfertigen, dass bei uns so wenige Frauen in den Gremien vertreten sind. Wie gesagt, wir arbeiten daran. Ich bin mir sicher, dass der nächste Deutschlandtag auch in dieser Hinsicht anders aussehen wird.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat der Partei eine Reform verordnet: Mehr Junge, mehr Frauen, mehr Zuwanderer. Mehr Junge – das ist leicht für die Junge Union. Mehr Frauen ist offenbar schwierig. Wie sieht es denn mit Zuwanderern aus?

Ein Zuwanderer ist ja Vorsitzender – damit geht’s schon mal los. Aber tatsächlich haben wir in den letzten fünf Jahren einen deutlichen Anstieg von Mitgliedern mit muslimischem Hintergrund. Wir werben damit, dass wir offen sind. Jeder ist bei uns willkommen, egal, wo er geboren ist, egal, welche Konfession er hat. Aber es ist nicht so, dass wir nur Leute aufgrund ihrer Herkunft fördern. Das machen wir nicht.

Seit Ihrem Amtsantritt 2014 hat sich Deutschland durch die Flüchtlingspolitik der Union verändert. Braucht Deutschland eine Obergrenze, wie sie CSU-Chef Seehofer fordert?

Ich glaube nicht, dass die Einführung einer Obergrenze jetzt unser vordringliches Problem ist. Momentan geht es in erster Linie um die Rückführung derjenigen, die keine Flüchtlinge sind. Wir müssen unterscheiden zwischen Menschen, die Flüchtlinge sind oder denen wir Asyl gewähren, und Migranten. Für die zweite Gruppe brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz. Denn ich bin der Meinung, wir sollten uns selbst aussuchen können, wer zu uns kommt.

Kürzlich haben Sie von Angela Merkel gefordert, mehr und schneller abzuschieben. Sie selbst sind das Kind von Eltern, die für eine bessere Zukunft ihres Sohnes Polen verlassen haben. Wie machen Sie Ihren persönlichen Frieden zwischen Ihren harten Forderungen einerseits und dem persönlichen Wissen um die Probleme von Leuten, die eine neue Heimat suchen, andererseits?

Gerade weil ich selbst eine Migrationsgeschichte habe, kann ich vieles gut nachvollziehen. Als ich in den Kindergarten kam, konnte ich dort als einziges Kind kein Deutsch. Das war damals kein Problem, mir wurde gut geholfen. Heute sind in manchen Schulklassen die Kinder mit schlechten oder keinen Deutschkenntnissen die größte Gruppe. Da ist die Situation schwieriger, da braucht es größere Anstrengungen.

Wenn es aktuell bei der Integration hakt, liegt das auch an der Politik, die für diese Menschen gemacht wird. Und sind Sie nicht Teil dieser Politik?

Noch einmal: Sie müssen schon unterscheiden zwischen Flüchtlingen und Migranten. Flüchtlinge müssen wir aufnehmen, dass gebietet uns nicht nur das Gesetz, sondern auch unsere christliche Verantwortung. Aber damit Integration gelingt, können wir nicht zur gleichen Zeit die Gesellschaft durch unbegrenzte Migration überfordern. Hier müssen wir durch ein Zuwanderungsgesetz steuern. Tun wir das nicht, spielen wir den Populisten von der rechten Seite in die Hände.

Sie haben zurzeit 110.000 Mitglieder. Warum treten junge Menschen bei Ihnen ein? Die Aktentaschen-JUler sind ja längst passé.

Gut, dass selbst die taz das erkannt hat. Ich denke, dass die, die heute bei uns eintreten, Deutschland mitgestalten wollen und durchaus ihre eigene Zukunft ein Stück besser machen wollen. Ich bin froh über jeden, der bei uns eintritt, jeden, der sich politisch engagiert. Übrigens auch bei den Jugendorganisationen anderer demokratischer Parteien, selbst wenn ich deren Richtung naturgemäß für falsch halte. Ich glaube, nur über das Mitmachen geht’s. Damit vermeiden wir, dass die Leute frustriert und pöbelnd auf der Straße stehen.

Die parlamentarische Demokratie steckt aktuell in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. Was sollte also sexy sein an einer JU-Mitgliedschaft?

Sexy an einer JU-Mitgliedschaft ist es, die Möglichkeit zu haben, konstruktiv an Sachpolitik zu arbeiten und wirklich etwas zu verändern. Das bietet eine wirkliche Alternative zum hetzerischen und populistischen Gerede der AfD oder dem abgehobenen Diskutieren über Fair-Trade-Cola-Automaten auf der anderen Seite. Uns unterscheidet eine Sache von allen anderen: Wir folgen nicht irgendeiner Ideologie. Wir sagen den Leuten nicht, wie sie zu leben haben. Alle anderen sagen: Wir wissen genau, wie diese Gesellschaft zu funktionieren hat. So sind wir nicht. Wir sagen: Menschen sind unterschiedlich begabt und fähig, aber jedem haftet die gleiche Würde an.

Weil Sie gerade die Würde erwähnen: Haftet auch den Pöblern von Dresden eine Würde an?

Ja, selbstverständlich. Das ist meine Grundüberzeugung. Das ergibt sich schon aus Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Egal, was er tut, egal, was er sagt, egal, was er macht.

Und wenn dieser Mensch die Würde anderer verletzt?

Auch dann. Wir sind der Überzeugung, egal, wie schlimm sich jemand verhält, am Ende verliert er seine Würde nicht. Um das klarzustellen: Mir liegt viel daran, diese Menschen dort in Dresden zu überzeugen. Von der Demokratie und von diesem Staat. Ich weiß nicht, was die wählen, ich kann’s mir vorstellen. Als politischer Akteur möchte ich diese Menschen davon überzeugen, eine andere Wahl zu treffen.

Aber diese Leute hassen Leute wie Sie.

Ja, das habe ich selbst schon erlebt. Aber wir können sie nicht aufgeben. Mich interessieren nicht die Organisatoren von Pegida, Bachmann und solche Leute. Mich interessiert nicht die AfD und deren Vorsitzende Petry. Aber mich interessiert jeder Einzelne, der dort mitgeht. Wenn die AfD im Deutschlandtrend bei 14 Prozent liegt, muss uns das wachrütteln. Darüber werde ich auch beim Deutschlandtag sprechen. Wir haben noch ein Jahr Zeit bis zur Bundestagswahl. Ich verstehe nicht, dass man das so hinnimmt – na gut, dann gibt es eben die AfD. Wir müssen sofort damit beginnen, dafür zu arbeiten, dass diese Partei nicht im Deutschen Bundestag sitzt.

Themawechsel. Sie kandidieren 2017 erstmals für den Bundestag. Mit welchen Machtoptionen für den Bund wollen Sie Ihre Wähler überzeugen?

Ich sage ganz deutlich: Eine Große Koalition möchte ich nicht noch mal. Meine Wunschvorstellung wäre Schwarz-Gelb. Ansonsten müssen wir zu gegebener Zeit mit anderen Parteien sprechen. Vielleicht auch mit den Grünen.

In der Jungen Union sind ja junge CDUler und CSUler. Zwischen den beiden Parteien knackt es gerade gewaltig. Wie wirkt sich das auf den Deutschlandtag aus?

Das ist natürlich Thema in der Jungen Union, gar keine Frage. Aber wir wissen, dass wir zusammengehören. Viele Punkte, die die CDU vertritt, tun der CSU gut – und umgekehrt. Es gibt in Bayern Leute, die teilen Angela Merkels Standpunkt. Und es gibt beispielsweise in NRW welche, die sagen: Das, was Horst Seehofer sagt, ist richtig. Gerade in unserer Mischung waren wir immer erfolgreich. Die Junge Union deckt Positionen ab von der parlamentarischen Mitte bis in den Mitte-rechts-Bereich.

In der CSU wird ja schon laut darüber nachgedacht, unabhängig von der CDU im Bundestagswahlkampf anzutreten. Das wäre dann wohl das Ende der Jungen Union. Haben Sie sich für alle Fälle schon die Namensrechte gesichert?

Die Diskussion über eine Trennung halte ich für albern. Wir brauchen jetzt Einigung in den wesentlichen Fragen und den Schulterschluss der beiden Parteivorsitzenden. Und zwar bald, in einem Jahr ist Wahl.

So, das war für heute die letzte Frage. Wie lief denn aus Sicht des JU-Vorsitzenden das erste Interview mit der taz?

Eigentlich ganz gut. Fast wie mit einer normalen Zeitung.

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