taz-Fotografin ausgespäht: Marilys Liste

Die taz-Fotografin Marily Stroux wurde 28 Jahre lang vom Hamburger Verfassungsschutz observiert. „Das macht was mit mir“, sagt sie.

Marily Stroux im Porträt

„Ich schreie alles heraus“, sagt Marily Stroux Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Ein netter Brief lag vor drei Jahren im Postkasten ihrer Eimsbütteler Wohnung. Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz lud alle schon lange in der Stadt lebenden Migranten ein, sich einbürgern zu lassen. Also auch sie, Marily Stroux, 1950 in Athen geboren und seit 1978 in der Bundesrepublik ansässig, seit Mitte der 1980er Jahre freie Fotografin für die taz und andere Medien, Berichterstatterin und Beobachterin auf vielen Demos und bei Polizeiaktionen.

Sie lebte also schon seit 35 Jahren in diesem Land. Sich einbürgern zu lassen, war für sie lange nicht in Frage gekommen. Ihr Vater hatte im Zweiten Weltkrieg einer griechischen Widerstandsgruppe gegen die deutschen Besatzer angehört, wurde verhaftet und von den Deutschen zum Tode verurteilt. „Morgens um 4 Uhr hörte er in der Zelle, wie Mitgefangene zur Erschießung abgeholt wurden“, sagt Marily Stroux.

Ihr Vater überlebte, aber die Erlebnisse in der Haft quälten ihn sehr. Dass sie 1978 einen deutschen Regisseur heiratete und nach Deutschland ging, hat er noch akzeptiert; aber dass sie deutsche Staatsbürgerin wurde, das wollte sie ihrem Vater zu Lebzeiten nicht antun.

Doch im Jahr 2013 sieht die Welt etwas anders aus. Der Vater ist längst gestorben. Die Zeitungen schreiben vom „Grexit“. Falls Griechenland nicht mehr zur EU gehört, könnte auch Marily Stroux nicht mehr in Deutschland willkommen sein, wo sie eine Tochter großgezogen und inzwischen einen Enkel hat, überlegt sie. Marily Stroux will die Einbürgerung. Nur zur Sicherheit lässt sie über ihren Anwalt nachfragen, ob es beim Hamburger Verfassungsschutz eine Akte über sie gibt. Immerhin hatte man ihr und dem taz-Kollegen Kai von Appen 2007 die Akkreditierung zum ­G-8-Gipfel verweigern wollen.

Räumung der Hafenstraße

Drei Jahre hört sie nichts. Dann kommt ein hässlicher Brief, der ihr Leben verändert. Marily Stroux, ausgerechnet sie, die freundliche, stets lebensfroh wirkende Fotografin, die gut mit Kindern kann und schon vor 20 Jahren, als Hamburg Flüchtlinge auf Wohnschiffen einquartierte und das Wort Willkommenskultur noch nicht buchstabiert war, Fotoprojekte mit Flüchtlingskindern machte – ausgerechnet sie steht im Verdacht, an „Bestrebungen oder Tätigkeiten“ gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ teilzunehmen. Sie wird beobachtet, seit 28 Jahren.

1986. Ein Sondereinsatzkommando der Hamburger Polizei räumt einen ganzen Block der ehemals besetzten Hafenstraßen-Häuser. Stroux steht mit ihrer Kamera vor der Tür. Es fliegen Sachen aus dem Fenster. Möbel, Kleidung, sogar ­Türen warfen die Beamten im hohen Bogen auf die Straße. Der ­Container mit der persönlichen Habe wird später zur Polizeikaserne gefahren, wo die geräumten Bewohner sich die Sachen abholen sollen. Marily Stroux findet, von solchen Sachen muss die Öffentlichkeit wissen. Hält mit der Kamera drauf, davon zeugen Schwarz-Weiß-Fotos in Zeitungsarchiven.

„Ich glaube daran, Sachen öffentlich zu machen und zu dokumentieren. Ich mache ­alles öffentlich. Ich schreie alles raus“, sagt die Fotografin. „Ich arbeite nicht unter der Erde im Geheimen.“ Und doch wird sie mit Geheimdienstmitteln wie eine Staatsfeindin ausspioniert. Manchmal sieht sie im Rückspiegel, dass ihr ein Auto folgt.

31 Termine

31 Termine, bei denen sie beobachtet wurde, hat die Hamburger Behörde für Inneres in dem Brief aufgelistet. Stroux, schreibt der Verfassungsschutz, gehöre nach „hier vorliegenden Erkenntnissen“ seit 1988 zum „Initiativkreis Hafenstraße und beteiligte sich an dessen Aktivitäten“. Das als Grund für die Bespitzelung ist ein bisschen komisch. Denn der Initiativkreis wollte vermitteln, als der Konflikt um die von jugendlichen Punks besetzten Häuser eskalierte und die gewaltsame Räumung drohte. Zu der Gruppe gehörten auch Richter, Promis und Politiker, darunter der Millionenerbe Jan Philipp Reemtsma und der Bürgermeister Klaus von Dohnanyi.

Aber die Akte über Marily Stroux ist angelegt. Gleich der zweite Eintrag hat es in sich. Am 18. August 1992 „wurde hier bekannt, dass ihre Mandantin zu einem in der JVA Celle einsitzenden terroristischen Gewalttäter Briefkontakt unterhielt“.

In der Tat, Stroux war dort und hat Gefängnisinsassen besucht. Sie hat in ihr eigenes Archiv geschaut. „Das war ein journalistischer Termin“, sagt sie. Der inzwischen verstorbene Journalist Roger Willemsen hatte drei RAF-Gefangene interviewt. „Ich war als Fotografin mit. Die Korrespondenz kam dadurch zustande, dass ich ihnen Bilder schickte.“ Eine übliche freundliche Geste nach einem Fototermin.

Viele Termine im Auftrag der taz

Schon im Sommer davor hatte Stroux im „Angehörigen-Info“ eine Solidaritätserklärung für die politischen Gefangenen unterzeichnet. „Es handelt sich um ein Unterschrift bei was Öffentliches“, sagt Stroux. Ihre deutsche Grammatik ist nicht fehlerfrei. „Tausende Menschen haben da unterschrieben.“ Also keine konspirative Aktion.

Bei den meisten Einträgen – etwa eine Demo vor dem peruanischen Generalkonsulat – handelt es sich um „taz-Termine“, wie Stroux’ eigene Notizen zeigen. Denn im Wechsel mit anderen Freien übernahm sie seinerzeit Schichten in der Fotoredaktion für die taz Hamburg. Ein Broterwerb wie andere auch.

Bei einem dieser Termine – wieder in der Hafenstraße – wird sie von Polizisten die Treppe heruntergeschubst und bricht sich das Steißbein. Bei einem anderen begleitet sie den über Wochen andauernden Hungerstreik von Asylbewerbern auf den Wohnschiffen. Sie nehme dort „an von Linksextremisten getragenen Protesten teil“, schreibt der Verfassungsschutz.

Arbeit mit Flüchtlingskindern

Fotografie – als Kind vom Vater gelernt – ist Marilys Art, mit Menschen zu kommunizieren. Sie knipst und lächelt und knipst und gibt die Kamera auch aus der Hand. Durch die Linse lernt sie die Familien auf den Schiffen kennen. Schon bald gibt es eine Ausstellung, für die sie später Preise gewinnt. Die Leiterin der Wohnunterkunft erscheint und sagt, interessant, was hinter ihrem Rücken geschehe.

Marily Stroux darf nun offiziell mit den Kindern der Flüchtlingsfamilien Fotoworkshops machen. Ihr Lieblingssatz: „Solange die Löwen nicht eigene Historiker haben, werden Jagdgeschichten von den Jägern erzählt.“ Sechs- oder Siebenjährige aus Bürgerkriegsländern wie Bosnien leben hier drei Jahre und müssen wieder weg. Stroux gibt ihnen Kameras in die Hand, lässt sie ihre Fotos machen. Sie sollen selber entscheiden, welche Erinnerungen sie mit nach Hause nehmen. Ihre eigenen Historiker werden. Mit dicken Fotoalben unterm Arm verlassen sie das Land.

Marily Stroux hält Kontakt. Das Thema Flüchtlinge und Hafen lässt sie nicht mehr los. Es folgt eine Fotoserie über „Blinde Passagiere“, junge Afrikaner, die versteckt auf einem Schiff im Hamburger Hafen stranden. Es wird ein Buch daraus. Und als 2011 einer Gruppe von zehn somalischen Piraten in Hamburg der Prozess gemacht wird, gehört Stroux zu einer Journalistengruppe, die den Verlauf verfolgt und auch mit den Angeklagten spricht. Ein Pirat berichtet, dass er Schulden hatte und sein fünfjähriger Sohn vom Geldgeber entführt wurde. Deshalb sei er Seeräuber geworden. Stroux malt Bilder dazu, daraus entsteht ein Pixi-Buch. Mit dem Geld kann der Mann später seinen Sohn auslösen.

„Ich fühle mich verfolgt“

Marily Stroux gilt als „bedeutende Person innerhalb der linksextremistischen Szene“, notiert der Verfassungsschutz. Sie findet das zum Lachen – aber auch beängstigend. Sieht sich getroffen als Foto-Reporterin. „Das macht was mit mir. Ich fühle mich verfolgt.“ Erstaunlich wenige Zeitungen berichten darüber, meint Stroux. Sie ist überzeugt, dass man sie wegen ihrer Themen und der Art, darüber zu berichten, beobachtet hat. „Den sogenannten objektiven Journalismus gibt es nicht, die eigene Haltung spielt immer eine Rolle“, sagt sie. „Würde ich für die Pharmabranche schreiben, würde ich nicht vom Staat observiert.“

Den Sommer verbringt Marily Stroux in Griechenland. Ihre Vorfahren dort waren Roya­listen und Antikommunisten. „Ich durfte als Kind nicht mal ins russische Ballett“, erinnert sie sich. Gerade befindet sie sich auf Lesbos, wo es derzeit mehr Flüchtlinge, NGO-Helfer und Frontex-Beamte als Touristen gibt. Sie sieht sich als Teil der linken Szene und engagierte Journalistin, „no border, keine Grenzen, das ist mein Thema“.

Manche Einträge auf der Verfassungsschutzliste geben Dinge verfälscht wieder oder machen keinen Sinn. Mal wird die Fotografin auf einer Demo gesichtet, wo sie gar nicht war, mal wird nur das Kennzeichen ihres Auto notiert. Und der Treppensturz, zu dem es sogar polizeiinterne Ermittlungen gab, wird unterschlagen; stattdessen heißt es, man habe sie rausgetragen. Auch gibt der Verfassungsschutz nicht alles preis, was über Stroux gespeichert ist, weil sonst seine „Nachrichtenzugänge“ gefährdet sein können. Dazu muss man wissen: Binnen zwei Jahren wurden in Hamburg drei Szene-Spioninnen enttarnt, vermutlich gibt es noch mehr.

Eigene Broschüre

Marily Stroux will jetzt den Spieß umdrehen, die Liste in einer Broschüre veröffentlichen, mit ihren Kommentaren dazu. Außerdem fordert sie die Löschung der Einträge und will dies notfalls vor Gericht einklagen. Viele, die von ihrem Fall gehört haben, stellen jetzt ein Auskunftsersuchen.

Die Einbürgerung will Marily Stroux immer noch. Sie hat Freunden in Griechenland von der Liste erzählt. Es sei ja „ein Hammer, dass so etwas in Deutschland passiert“, hätten die gemeint. Es sei aber auch ein Hammer, sagt Marily Stroux, dass es Bürgern möglich ist, einen Antrag zu stellen und von der Bespitzelung zu erfahren.

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