Kommentar de Maizière und Flüchtlinge: Zurücktreten!
Der Innenminister verkündet falsche Zahlen zu Attesten für Flüchtlinge und macht damit Stimmung. Doch nicht nur darum sollte er seinen Posten räumen.
I nnenminister Thomas de Maizière muss zurücktreten. Es ist wahr: In einer – so genannten – Großen Koalition und dem komplizierten Machtgeflecht innerhalb eines solchen Bündnisses ist es besonders schwierig, jemanden zu entmachten. Regionale Rücksichten, parteiliche Rücksichten, Flügelkämpfe. Alles klar, alles verständlich.
Der Minister verkündete Zahlen, die ungeprüft – ach was, nicht einmal ungeprüft: die schlicht erfunden waren. Und machte damit Stimmung gegen Flüchtlinge und gegen eine Berufsgruppe. Nämlich gegen Ärzte, denen er, nicht ausdrücklich, aber dennoch unmissverständlich unterstellte, sie verhinderten mit Gefälligkeitsattesten die Abschiebung von Menschen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben.
Gut möglich, dass solchen Ärzten, sollte es sie denn geben, eines fernen Tages ein Denkmal für humanitäre Verdienste gesetzt wird. Aber bisher steht nicht einmal fest, dass es solche Ärzte tatsächlich gibt. Denn die vom Minister zitierten Statistiken existieren nicht.
Nach dem Wirbel um nicht gedeckte Zahlen zu Flüchtlings-Attesten hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Fehler eingeräumt. In einem der vielen Gespräche, die er zum Thema Abschiebehindernisse geführt habe, habe man ihm „auch von einer Quote von 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren berichtet, die vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden“, sagte de Maizière am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. „Dass ich durch meine Antwort in einem Interview den Eindruck erweckt habe, dass die Zahl von 70 Prozent eine allgemeingültige, statistisch belegbare Größe ist und eben nicht nur ein Erfahrungswert, war nicht meine Absicht.“ De Maizière reagierte damit auf harsche Kritik von Linken, Grünen und SPD. (dpa)
Es ist für die politische Bewertung dieses Vorgangs gleichgültig, ob ihm die falschen Tatsachenbehauptungen als Tischvorlage geliefert wurden oder ob er persönlich gefälscht hat. Falls ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin eigenmächtig vor sich hinphantasiert hat, dann ist das aufschlussreich genug im Hinblick darauf, was die Leitung des Hauses als Botschaft wünschte. Das genügt, um den Rücktritt von Thomas de Maizière für zwingend zu halten.
Es gäbe übrigens auch noch andere Argumente für diese Forderung: seine offenkundige Überforderung als Zuständiger für die Flüchtlingsfrage. Sein seltsamer Plan, kurzfristig ausgebildete „Hilfssheriffs“ auf die Bevölkerung loszulassen, um damit Defizite bei der regulären Polizei auszugleichen. Aber über all das könnte man ja streiten. Über gefälschte Statistiken kann man nicht streiten. Die sind unverzeihlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos