Liebeserklärung: „Islamischer Staat“
Die Marke „IS“ erlaubt paranoiden MöchtegernMärtyrern, sich bedeutsam zu fühlen
Wer vor lauter Frust über die Mitmenschen, über die eigene Sexualität, über die Welt insgesamt auf keine bessere Idee kommt, als sich eine Knarre zu besorgen und im Tarantino-Style Menschen zu erschießen – der ist ein Irrer. Jedenfalls war das mal so. Heute hat so einer gleich das Zeug zum Superstar – und das ist allein dir zu verdanken, „Islamischer Staat“, du Glamourterrormiliz, du Gratisgotteskrieg aus dem Netz. Du gibst den Durchgeknallten, den Paranoiden, den Möchtegernmärtyrern die Chance, sich als Teil einer globalen Bewegung zu fühlen.
Am vergangenen Samstag schoss der Wachmann Omar Mateen in einem Club in Florida auf 102 Menschen, 49 starben. Früher hätte man das einen Amoklauf genannt. Zu Deutsch: Da ist einer gewaltig durchgedreht. Heute sprechen die Nachrichten von Terrorismus, weil der Täter darauf geachtet hat, sich vorher und währenddessen auf Facebook zum „Islamischen Staat“ zu bekennen. Wie viel dieses „Bekenntnis“ wert ist, lässt sich an Mateens Vorgeschichte ablesen. Mateen war beim FBI als einer gelistet, der sich gern mal zur Terrormiliz des Tages bekannte: zur al-Qaida, als die noch Thema war, später zur Hisbollah – wobei ihm nicht auffiel, dass sie verfeindet sind. Kurzum, Mateen hatte keinen Schimmer von Nahostpolitik und war in Sachen „Bekenntnis zu Terrorgruppen“ etwa so glaubhaft wie ein Teenager in seinem Bekenntnis zu hippen Indierockbands. Und dennoch ist das Wort Terror aus der Berichterstattung nicht mehr rauszukriegen.
Gute Nachrichten also für alle, die planen, Menschen umzubringen, weil die Welt gemein zu ihnen war. Für sie ist die Marke „IS“ eine gewaltige Aufwertung. Nach einem Amoklauf interessiert die Öffentlichkeit bloß die Psyche des Täters. Wer sich zum IS bekennt, kann hingegen als Teil von etwas Größerem als er selbst in die Geschichte eingehen. Daher ein Tipp für alle, die sich mediale Aufmerksamkeit über den Tod hinaus sichern wollen: Sagt nicht mehr, ich lauf’ gleich Amok, sagt, ich lauf’ gleich IS!
Peter Weissenburger
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