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„Marsch für das Leben“ in BerlinDie Bibelstunde hilft nicht weiter

Tausende wollten am Samstag gegen Abtreibungen protestieren. GegendemonstrantInnen konnten erstmals den „Marsch für das Leben“ blockieren.

Klare Botschaft auf dem Asphalt. Foto: imago/Future Image

BERLIN taz | Unter den Linden ging nichts mehr. Die TeilnehmerInnen der Demonstration „Marsch für das Leben“ mit ihren weißen Holzkreuzen in der Hand kamen nicht voran – die Straße vor ihnen war ab der Kreuzung Charlottenstraße komplett von GegendemonstrantInnen blockiert. Es war nicht die erste Blockade. Zuvor war der Schweigemarsch, der am Samstag um 14.30 Uhr am Bundeskanzleramt begonnen hatte, bereits umgeleitet und dadurch stark verkürzt worden.

„Wir haben schon vorher im Internet gelesen, dass die Linken uns dieses Mal blockieren wollen“, sagte eine Teilnehmerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber dass wir hier wirklich nicht weiter kommen, hätte ich nicht gedacht.“ Mit einer Bibelstunde hätten sie und ihre BegleiterInnen, mit denen sie am Morgen aus Niedersachsen angereist sei, sich die Wartezeit verkürzt. Nun aber war ihre Geduld offenbar am Ende: „Wir haben schon mehrfach von der Polizei gefordert, die nächste Eskalationsstufe einzuleiten und uns den Weg frei zu machen“, sagte die Frau.

Für die GegendemonstrantInnen, die den MarschteilnehmerInnen ein antifeministisches und fundamental-religiöses Weltbild vorwerfen, hatte sie auch inhaltlich kein Verständnis: „Wer abtreibt, erleidet einen seelischen Schaden, das steht völlig außer Zweifel“, sagte sie. Der „Marsch für das Leben“ forderte das Ende straffreier Schwangerschaftsabbrüche und setzte sich gegen Sterbehilfe und Gentests an Embryonen ein. Er wurde vom Bundesverband Lebensrecht organisiert, dessen Vorsitzender Martin Lohmann gemeinsam mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch am Samstag in der ersten Reihe marschierte.

Für die GegendemonstrantInnen – nach Angaben der VeranstalterInnen rund 2.500, die Polizei schätzte auf 1.700 TeilnehmerInnen - war der Tag ein voller Erfolg: Zum ersten Mal war es gelungen, den „Marsch für das Leben“, eine seit 2008 jährlich in Berlin stattfindende Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen zu blockieren – und das, obwohl der Marsch erneut rund 5.000 TeilnehmerInnen verzeichnen konnte. „Wir sind absolut zufrieden, dass es uns gelungen ist, der gefährlichen Mischung aus christlichen FundamentalistInnen, extrem Konservativen und Rechtspopulisten den Tag zu vermiesen“, sagte Sarah Bach, Sprecherin des linken Bündnisses „Marsch für das Leben? What The Fuck!“, das auch in diesem Jahr wieder zu den Gegenprotesten aufgerufen hatte.

Polizei setzte Pfefferspray ein

Begonnen hatte der Gegenprotest mit einer „queerfeministischen und antifaschistischen Gegendemonstration“, die um 12 Uhr vom Anhalter Bahnhof aus startete und an der laut Angaben der VeranstalterInnen rund 2000 Menschen teilnahmen. Am Gendarmenmarkt traf diese auf die Demonstration des „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, das vor allem von Parteien und Beratungsorganisationen wie Pro Familia getragen wird und zuvor am Brandenburger Tor eine nach Polizeiangaben rund 450 Menschen starke Gegenkundgebung unter dem Titel „Leben und Lieben ohne Bevormundung“ organisiert hatte.

Nach einer gemeinsamen Zwischenkundgebung teilten sich die GegendemonstrantInnen dann in zwei Gruppen – sogenannte Finger – und versuchten, auf die Route der AbtreibungsgegnerInnen zu kommen. Dabei kam es mehrfach zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Pfefferspray einsetzte. „Die Polizei ist mehrfach in völlig unverhältnismäßiger Weise auf TeilnehmerInnen der Gegenproteste losgegangen“, kritisierte Bach. Insgesamt waren nach Polizeiangaben rund 900 Beamte im Einsatz.

Nach mehreren teils erfolgreichen Versuchen gelang es den GegendemonstrantInnen schließlich, Sitzblockaden auf der Straße Unter den Linden zu errichten, sodass der Marsch nicht weiter ziehen konnte. Zahlreiche Marsch-TeilnehmerInnen verließen ihre Demonstration daraufhin frühzeitig, erst nach gut zwei Stunden gelang es der Polizei, die Blockaden zu räumen. Die übrig gebliebenen TeilnehmerInnen des „Marsch für das Leben“ zogen daraufhin im Regen bis zu ihrem Abschlussort am Lustgarten – begleitet von den „Mittelalter, Mittelalter“-Rufen der GegendemonstrantInnen.

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12 Kommentare

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  • INFLATION UND FASCHISMUS

     

    Wer ganz normale CDU-ler als Faschisten und religiöse Hetzer beschimpft, sollte uns mal erklären wie man dann echte Faschisten und Hetzer nennt. Die DEMO Marsch für das Leben war weder faschistisch noch hetzerisch. Die bürgerlichen Kräfte in Deutschland ticken nunmal anders als wir Linken und das ist gut so, politische Monokultur führt nämlich immer zum Faschismus. Ich war auf der Gegendemo und war erschrocken wie hysterisch und paranoid man auf ein paar harmlose Slogans der selbst ernannten Lebensschützer reagierte.

  • „Mittelalter, Mittelalter“

     

    Nicht ganz. Immerhin hat man auch im Mittelalter und weit früher schon abgetrieben. Über so ausgefeilte Verhütungsmethoden wie heute, die in Kombinationsanwendung jede Empfängnis sicher verhüten, verfügte man aber nie zuvor. Nie war Abtreibung so obsolet wie heute. Verhütung und verantwortungsvoller Umgang mit Sexualität sind modern, Abtreibung ist "Mittelalter", wenn nicht "Steinzeit".

  • Auch das Recht zur Gegendemonstration ist ein Recht. Die religiösen Extremisten bekamen eine publikumswirksame Route genehmigt, die Gegendemonstranten wurden gezwungen durch menschenleere Häuserschluchten zu laufen und wurden sogar daran gehindert die Demonstration zu verlassen. Das verstößt gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Gratulation denen, die es trotzdem geschafft haben sich trotz Polizeigewalt und -willkür gegen den mittelalterlichen Wahn Gehör zu verschaffen. Religiöser Extremismus bedroht Verfassung und Demokratie im Kern.

  • „Die Polizei ist mehrfach in völlig unverhältnismäßiger Weise auf TeilnehmerInnen der Gegenproteste losgegangen“, kritisierte Bach. ???

    Nun, offensichtlich ist das Gegenteil richtig: Die Polizei ist nicht hart genug vorgegangen, da ja die Demo der Abtreibungsgegner blockiert wurde. Jeder hat das Recht, für seine Meinung friedlich zu demonstrieren, egal ob nun für oder gegen Abtreibung oder was auch immer. Wer andere gewaltsam hindert, ihre Menschenrechte wahrzunehmen (und zu den Menschenrechten gehört eben auch das Demonstrationsrecht), macht sich strafbar, und die Polizei sollte dagegen effektiv einschreiten.

    • @yohak yohak:

      Die Fundis wollen das fundamentale Menschenrecht von Frauen, über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden, abschaffen! Vor Abtreibungskliniken sogar mit Gewalt. Demgegenüber ist eine Blockade ihres unerträglichen Demozuges absolut harmlos.

      Keep your rosaries off our ovaries!!!

    • @yohak yohak:

      Die Begriffe Verhältnismässigkeit bzw. Un-verhältnismässigkeit sind Ihnen aber schon bekannt?

    • @yohak yohak:

      Versammlungsfreiheit ist Menschenrecht, das haben sie gut erkannt. Das Recht auf Diskriminierung ist allerdings keins. Wie zuletzt in den USA gut zu beobachten, versuchen fundamentalistische Menschen mit Bezug auf die Meinungs- und Religionsfreiheit, die Freiheit anderer Menschen extrem zu beschneiden. In der Frage Menschenrechte gegen "Gottes Gesetz", muss Gott allerdings immer den kürzeren ziehen. Von daher halte ich die Blockade von Menschen, die mit eindeutig diskrimierenden Aussagen umherwandeln als durchaus legitim.

      • @Sihad:

        Und was ist mit der Freiheit des Fötus? Hat er nicht mal ein Recht auf Leben, nur weil er es noch nicht selbst einfordern kann?

    • @yohak yohak:

      Hinsetzen ist für Sie also Gewalt???

       

      Die haben sich auf die Straße gesetzt, die offenbar sowieso gesperrt war, sonst hätten da die Demonstranten nicht rüber laufen können. Wenn eine Ordnungseinheit erlaubt, die Straße zu anderen Zwecken zu nutzen wie den normalen Verkehr, dann sollte sie grundsätzlich denjenigen, die dies beantragen auch die Pflicht mitgeben, die Straße bis zum Ende der Demonstration wieder verkehrsfähig zu machen. Ob in der Zeit auf der Straße für oder gegen Abtreibung, laufend, stehend oder liegend demonstriert wird, sollte die Exekutive nix angehen.

    • @yohak yohak:

      Prinzipiell haben Sie natürlich Recht. Allerdings sollte man sie Sache auch nicht ganz so verknöchert sehen. Schließlich sind die GegendemonstrantInnen nicht mit Baseballschlägern auf die „Lebensschützer“ losgegangen, sondern haben mit Köpfchen gehandelt. Außerdem scheint selbst Gott nicht viel vom „Marsch für das Leben“ zu halten. Sonst hätte er den heiligen Geist mit einem Stadtplan geschickt. Es gibt in Berlin nämlich viele Wege zum Lustgarten.

       

      Übrigens. Das die Abschlusskundgebung ausgerechnet dort stattfand, muss unfreiwilliger Humor sein.

    • @yohak yohak:

      Wo laufen Sie denn? Wenn das "Demonstrationsrecht" ein Menschenrecht (was ein Quatsch) sein sollte, so trifft das auch auf Gegendemonstrationen zu. Und in Berlin lassen wir nunmal christliche Fundis, AFD-Bratzen und Rechtspopulisten einfach nicht in Ruhe. Da nehmen wir ganz keck unser "Menschenrecht" wahr und verweisen Halbfaschisten und religiöse Hetzer in ihre Grenzen.