„Marsch für das Leben“ in Berlin: Die Bibelstunde hilft nicht weiter
Tausende wollten am Samstag gegen Abtreibungen protestieren. GegendemonstrantInnen konnten erstmals den „Marsch für das Leben“ blockieren.
„Wir haben schon vorher im Internet gelesen, dass die Linken uns dieses Mal blockieren wollen“, sagte eine Teilnehmerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber dass wir hier wirklich nicht weiter kommen, hätte ich nicht gedacht.“ Mit einer Bibelstunde hätten sie und ihre BegleiterInnen, mit denen sie am Morgen aus Niedersachsen angereist sei, sich die Wartezeit verkürzt. Nun aber war ihre Geduld offenbar am Ende: „Wir haben schon mehrfach von der Polizei gefordert, die nächste Eskalationsstufe einzuleiten und uns den Weg frei zu machen“, sagte die Frau.
Für die GegendemonstrantInnen, die den MarschteilnehmerInnen ein antifeministisches und fundamental-religiöses Weltbild vorwerfen, hatte sie auch inhaltlich kein Verständnis: „Wer abtreibt, erleidet einen seelischen Schaden, das steht völlig außer Zweifel“, sagte sie. Der „Marsch für das Leben“ forderte das Ende straffreier Schwangerschaftsabbrüche und setzte sich gegen Sterbehilfe und Gentests an Embryonen ein. Er wurde vom Bundesverband Lebensrecht organisiert, dessen Vorsitzender Martin Lohmann gemeinsam mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch am Samstag in der ersten Reihe marschierte.
Für die GegendemonstrantInnen – nach Angaben der VeranstalterInnen rund 2.500, die Polizei schätzte auf 1.700 TeilnehmerInnen - war der Tag ein voller Erfolg: Zum ersten Mal war es gelungen, den „Marsch für das Leben“, eine seit 2008 jährlich in Berlin stattfindende Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen zu blockieren – und das, obwohl der Marsch erneut rund 5.000 TeilnehmerInnen verzeichnen konnte. „Wir sind absolut zufrieden, dass es uns gelungen ist, der gefährlichen Mischung aus christlichen FundamentalistInnen, extrem Konservativen und Rechtspopulisten den Tag zu vermiesen“, sagte Sarah Bach, Sprecherin des linken Bündnisses „Marsch für das Leben? What The Fuck!“, das auch in diesem Jahr wieder zu den Gegenprotesten aufgerufen hatte.
Polizei setzte Pfefferspray ein
Begonnen hatte der Gegenprotest mit einer „queerfeministischen und antifaschistischen Gegendemonstration“, die um 12 Uhr vom Anhalter Bahnhof aus startete und an der laut Angaben der VeranstalterInnen rund 2000 Menschen teilnahmen. Am Gendarmenmarkt traf diese auf die Demonstration des „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, das vor allem von Parteien und Beratungsorganisationen wie Pro Familia getragen wird und zuvor am Brandenburger Tor eine nach Polizeiangaben rund 450 Menschen starke Gegenkundgebung unter dem Titel „Leben und Lieben ohne Bevormundung“ organisiert hatte.
Nach einer gemeinsamen Zwischenkundgebung teilten sich die GegendemonstrantInnen dann in zwei Gruppen – sogenannte Finger – und versuchten, auf die Route der AbtreibungsgegnerInnen zu kommen. Dabei kam es mehrfach zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Pfefferspray einsetzte. „Die Polizei ist mehrfach in völlig unverhältnismäßiger Weise auf TeilnehmerInnen der Gegenproteste losgegangen“, kritisierte Bach. Insgesamt waren nach Polizeiangaben rund 900 Beamte im Einsatz.
Nach mehreren teils erfolgreichen Versuchen gelang es den GegendemonstrantInnen schließlich, Sitzblockaden auf der Straße Unter den Linden zu errichten, sodass der Marsch nicht weiter ziehen konnte. Zahlreiche Marsch-TeilnehmerInnen verließen ihre Demonstration daraufhin frühzeitig, erst nach gut zwei Stunden gelang es der Polizei, die Blockaden zu räumen. Die übrig gebliebenen TeilnehmerInnen des „Marsch für das Leben“ zogen daraufhin im Regen bis zu ihrem Abschlussort am Lustgarten – begleitet von den „Mittelalter, Mittelalter“-Rufen der GegendemonstrantInnen.
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