Kampagne für Fluchthilfe im Urlaub: Rübermachen auf dem Rücksitz
Aktivisten fordern zum zivilen Ungehorsam auf. Touristen sollen Geflüchtete mit über die Grenze nehmen – im Privatauto.
„Das Asylrecht in der EU ist zur Farce geworden, weil keine legalen Einreisewege nach Deutschland bestehen, um das Grundrecht auf Asyl in Anspruch zu nehmen“, kritisiert der Aktivist, der nicht namentlich genannt werden will.
Hintergrund der Kritik sind die sogenannten Dublin-Regelungen der EU. Sie schreiben Geflüchteten vor, in dem Land Asyl zu beantragen, in dem sie zuerst EU-Boden betreten. In allen anderen Ländern droht die Rückschiebung. „Es ist fast unmöglich, Deutschland als ersten Staat zu erreichen“, so der Aktivist. „Und Fluchthilfe wird kriminalisiert, doch sie ist notwendig für eine freie Gesellschaft“.
Um die Dublin-Regelungen zu umgehen, wollen die Polit-Aktivisten vom Peng-Kollektiv vor allem den Schengen-Raum nutzen, in dem Grenzkontrollen weitgehend wegfallen. Anders als Busse und Bahnen kontrolliere die Polizei Privatautos nur stichprobenartig. Für Urlauber sei es daher kein großer Aufwand, Fluchthilfe zu leisten. „Mit unserer Kampagne wenden wir uns an all diejenigen, die bereit sind zivilen Ungehorsam zu leisten“, erklärt der Aktivist – etwa Sitzblockierer, die in der Vergangenheit etwa an Anti-Atom-Protesten teilgenommen haben.
Anleitung zur Fluchthilfe
Auf der Website der Kampagne haben die Aktivisten Tipps für Fluchthelfer zusammengetragen: Wo finde ich Fluchtwillige? Zum Beispiel in Bahnhofsnähe in norditalienischen Städten. Welche Route wähle ich? „Fluchthilfe-Anfänger“ sollten sich auf den Schengenraum konzentrieren, Nebenstrecken wählen, und grundsätzlich gelte: „Meidet Raststätten in Grenznähe.“ Und wenn ich doch erwischt werde? Aussage verweigern.
Auch ein „Starterkit“ für Fluchthelfer haben die Kampagnen-Macher vorbereitet. Darin: eine Straßenkarte, Sonnenblenden, damit die Polizei Personen auf der Rückbank nicht erkennt, und Deutschlandfahnen für die Rückspiegel – als Tarnung.
Das Risiko, das die Fluchthelfer eingingen, sei relativ gering, sagt der Mit-Initiator der Kampagne. „Natürlich besteht ein Restrisiko“. Doch wer einmalig Fluchthilfe leiste und keine Gegenleistung in Anspruch nehme, könne im unwahrscheinlichen Fall, dass er erwischt werde, mit einer milden Strafe oder gar der Einstellung des Verfahrens rechnen.
Sollten für die Fluchthelfer Prozesskosten entstehen, wollen die Aktivisten mit einem Rechtshilfefonds, der ab diesem Montag durch Crowdfunding gefüllt werden soll, die Kosten übernehmen.
„Europäisches Verdienstkreuz“ für die Fluchthelfer
Auch eine kleine Geschichte der Fluchthilfe gibt es auf der Kampagnen-Website – angefangen bei Fluchthelfern in den USA des 18. Jahrhunderts, die Sklaven halfen, in den Norden zu gelangen, bis hin zu jenen, die Menschen aus der DDR beim „Rübermachen“ unterstützten. Legal sei Fluchthilfe in den betreffenden Staaten nie gewesen. Im Video, das die Kampagne begleitet, heißt es: „Das eigentliche Urteil wird nicht vor Gericht, sondern in den Geschichtsbüchern gesprochen.“
Um das zu verdeutlichen, knüpfen die Kampagnenmacher an die deutsche Geschichte an: „Viele der Menschen, die die DDR verlassen wollten, würden heute als Wirtschaftsflüchtlinge abgestempelt werden“, sagt der Aktivist.
Für die Kampagne hat das Kollektiv auch Burkhart Veigel gewinnen können, der in den sechziger Jahren als erfolgreicher Fluchthelfer in der DDR aktiv war und sich im Kampagnen-Video zitieren lässt. Für seine nach DDR-Recht illegalen Aktionen erhielt der mittlerweile 77-Jährige 2012 das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Das hat das Peng-Kollektiv zu einem fiktiven „Europäischen Verdienstkreuz am Bande“ für heutige Fluchthelfer motiviert. Die Auszeichnung soll am Freitag in Berlin verliehen werden. Begleitet wird die Aktion von einer Plakatkampagne. Über 1.000 Plakate mit dem Slogan „Retter Leben“ sollen nach Angaben der Aktivisten in deutschen Städten für Fluchthilfe werben.
Mit seinen Aktionen will das Peng-Kollektiv – ähnlich dem ungleich bekannteren „Zentrum für politische Schönheit“ – in aktuelle Debatten eingreifen. In ihrer letzten Aktion im April veranstalteten die Aktivisten eine gefälschte Pressekonferenz in der Berliner Vattenfall-Geschäftsstelle. Das Unternehmen plane, bis 2030 auf erneuerbare Energien umzusteigen und 1.000 Klimaflüchtlinge aufzunehmen, verkündete ein angeblicher Vattenfall-Sprecher. Das Energieunternehmen reagierte gelassen und sah von rechtlichen Schritten gegen das Kollektiv ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch