Rettungsinsel für Flüchtlinge: Größenwahn als Kunstprojekt
Das Zentrum für Politische Schönheit verankert eine Rettungsplattform im Mittelmeer – als Vorgeschmack auf ein „Jahrhundertprojekt“.
Umfangreich ausgestattet mit Positionslichtern, Lebensmittelreserven, Notrufgerät, Photovoltaikmodulen, Fahnenmast, Rettungsring und Kamera soll die sechs mal sechs Meter große Insel Schiffsbrüchigen zwischen Tunesien und Italien das Leben retten und den Kontakt zu Rettungsbooten ermöglichen. Sie trägt den Namen „Aylan 1“, nach dem Anfang September auf der Flucht gestorbenen Aylan Kurdi, dessen Bild um die Welt ging.
Mit der Aktion macht die Künstlergruppe ein weiteres Mal auf das Sterben geflüchteter Menschen vor den Außengrenzen der Europäischen Union aufmerksam. Natürlich wolle man das als Kritik am Verhalten der EU-Mitgliedsstaaten verstanden wissen, sagt Projektsprecher Leopold Bärenthal der taz: „Die EU hat dem Sterben im Mittelmeer zugesehen.“
Die Plattform soll die erste von 1.000 sein, die kontinuierlich im Mittelmeer verankert werden sollen und die selbst Vorbote eines „Jahrhundertprojektes“ seien, mit dem das ZPS ein Zeichen für Humanität setzen will. Bereits am Montag haben die Aktionskünstler mitgeteilt, Österreich wolle in Kooperation mit dem ZPS und auf Initiative von Flüchtlingskoordinator Christian Konrad eine 230 Kilometer lange Steinbrücke vom tunesischen Küstenort Al Huwariyah nach Agrigento auf Sizilien bauen.
Das gigantische Projekt soll im Frühjahr 2017 starten, 13 Jahre dauern und 230 Milliarden Euro kosten. Die Brücke werde „Jean Monnet“ heißen, nach einem Wegbereiter der europäischen Einigungsbestimmungen. Mit seiner Größe würde das Bauwerk die bisher längste Brücke der Welt zwischen den chinesischen Metropolen Nanjing und Shanghai (164,8 Kilometer) bei Weitem überbieten. Finanzieren soll das gigantische Vorhaben der österreichische Raiffeisenverband, dem Konrad 18 Jahre lang vorstand.
Glaubwürdigkeit: zweifelhaft
Um die Aktion glaubwürdig wirken zu lassen, haben die Künstler ein aufwendiges Projektvideo animiert. Darin schwebt eine Kamera im Sonnenuntergang über das Bauwerk, eine sonore Stimme kündigt die Brücke als Lebensader zweier Kontinente und als wirksamstes Mittel gegen Schlepper und Schleuser an. Mit österreichischem Akzent kommt auch eine Stimme zu Wort, die sich als Christian Konrad ausgibt.
Umfang und Kosten des Projekts lassen an dessen Realisierbarkeit und der Echtheit des Videos zweifeln. Darauf angesprochen reagiert Bärenthal mit Verwunderung. Christian Konrad sei eben kein Mann der großen Worte, sondern ein Macher. Konrad selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Dass er jedoch vor seinem offiziellen Amtsantritt am heutigen Donnerstag ein solches Projekt in die Wege leitet, ist unwahrscheinlich.
Dass das ZPS für seine neue Aktion ausgerechnet auf Österreich als vermeintlichen Initiator kommt, könnte an einer Kooperation mit dem österreichischen Kulturprojekt Wienwoche liegen.
PR-Stunt? Kunstaktion? Realsatire? Die Grenzen verlaufen bei Aktionen des ZPS seit jeher fließend. Im Juni schaufelte eine Gruppe von 10.000 DemonstrantInnen unter dem Titel „Die Toten kommen“ rund 100 symbolische Gräber vor dem Bundeskanzleramt, um der tausenden Flüchtlinge zu gedenken, die auf dem Weg nach Europa sterben. Die Aktion sorgte für ein breites Medienecho, PolitikerInnen kritisierten sie als pietätlos.
Welche Tragweite das neue Projekt einnehmen wird, ist schwer abzuschätzen. Reaktionen von politischer Seite blieben bisher aus.
Update: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, das Verankern der Rettungsplattform finde am 01. Oktober ab 6:30 Uhr statt. Dem Zentrum für Politische Schönheit zufolge wurde dieser Termin wegen schlechten Wetters verschoben, auf voraussichtlich Sonntag, 04. Oktober.
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