Friedensforscher über Sanktionen: „Prestige kommt gleich nach Gold“

Für den Friedensforscher Wolfgang Zellner sind Sanktionen der Weg in eine Eskalationsspirale. Einige Signale sollte die Regierung damit aber trotzdem an Russland senden.

Exil-Ukrainer fordern von der EU Sanktionen gegen Russland Bild: imago/Christian Wang

taz.de: Als Reaktion auf Russlands Rolle in der Krim-Krise diskutieren die Staatschefs der EU auf dem Gipfel in Brüssel weitere Maßnahmen gegen Moskau. Sind Sanktionen der richtige Weg zu Sicherheit und Frieden?

Wolfgang Zellner: Politische Sanktionen sind Hinweise an die andere Seite, das etwas sehr unerwünscht ist. Jetzt sind 33 Personen davon betroffen, die nicht einreisen dürfen und deren Konten eingefroren werden. Ob der Herr Sowieso von der Krim hier ein Wochenende verbringen kann, das ist irrelevant. Die Sanktionen sind so zugeschnitten, dass sie symbolisch sind und die Wirtschaft nicht betreffen. Es bringt nicht unmittelbar Sicherheit, aber es ist der Hinweis: Hört mal Leute, uns gefällt nicht, was ihr macht und wenn ihr so weitermacht, dann können wir noch mehr.

Kuba, Iran, Nordkorea – was können wir aus bestehenden Sanktionen lernen?

Man sieht, dass alle wirtschaftlichen Sanktionen nur längerfristig wirken. Wenn Sie sich die Sanktionen gegen den Iran anschauen, wie das Ölembargo, dann sind das Jahre. Die Wirkung ist kurzfristig nicht zu haben, weil es eine bestimmte Widerstandskraft der Zielwirtschaft gibt, die da sanktioniert wird. Die muss erstmal durchbrochen werden. Nehmen wir an, der Westen würde von Russland kein Gas mehr kaufen. Dann hat Russland die Möglichkeit, die Exporte in Länder umzuleiten, die die Sanktionen nicht mittragen. Also: China, Indien oder dritte Staaten.

Inwiefern schaden Putin die Sanktionen der sogenannten zweiten Stufe?

Die jetzigen Sanktionen werden von Russland locker weggesteckt. Es ist sogar eher etwas, das die Führung zusammenschweißt – auch mit weiten Teilen der Bevölkerung. Putin hat jetzt Popularitätswerte wie schon lange nicht mehr. Die Eingliederung der Krim gegen das Völkerrecht ist in Russland absolut populär. Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt das eindeutig, für die ist die Krim heilige russische Erde.

Müsste die EU stärkere wirtschaftliche Maßnahmen ergreifen?

Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt. Mit echten wirtschaflichen Sanktionen gehen wir ja selbst ein Risiko ein. Das Land ist für unsere Industrie ein wichtiger Exportmarkt. Außerdem hat die EU eine ganze Reihe von Staaten, die zu 100 Prozent vom russischen Gas abhängig sind. Bulgarien, Finnland und die baltischen Staaten zum Beispiel. Die Russen könnten diesen Ländern als Retourkutsche den Gashahn abdrehen – und wir können nicht schnell mal eine Leitung dahin bauen. Mit Sanktionen zementiert man die Konfrontation. Sie drehen damit die Eskalationsspirale nach oben und es ist nicht so leicht, da wieder rauszukommen.

Jahrgang 1953, ist Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Zellner forscht zur europäischen Sicherheit, sowie zur OSZE und konventioneller Rüstungskontrolle in Europa.

Also reichen die jetzigen, schwächeren Sanktionen aus?

Im Moment, ja. Denn durch die symbolischen Sanktionen hat Russland an Ansehen verloren. Das sind moralische Kosten. Die werden nur oft unterschätzt, weil das Denken militarisiert und ökonomisch ausgelegt ist. Aber unter den internationalen Gütern kommt Prestige gleich nach Gold. Ohne Ansehen kannst du gar nichts machen. Schauen Sie sich die Schweiz an, die können jeden anrufen, Obama, Putin – und die heben dann auch ab.

Gibt es denn eine Situation, in der wirtschaftliche Sanktionen erforderlich sind?

In bestimmten Situationen benötigt man wirtschaftliche Sanktionen schon. Nehmen wir an, in der Ostukraine gibt es eine weitere Destabilisierung, oder gar eine russische Invasion, einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Unter solchen Umständen müsste die EU versuchen, Russland höhere Schäden hinzuzufügen. Aber da sind wir nicht – und hoffentlich kommen wir da nicht hin.

Was sind denkbare Alternativen?

Ein militärisches Eingreifen. Aber das will niemand in der EU, das ist klar. Niemand denkt daran, die Krim zurückzuerobern und die Ukraine selbst ist dazu militärisch gar nicht in der Lage. Man muss sich keine Illusionen machen: Die Annexion der Ukraine ist gelaufen. Jetzt ist es von ausschlaggebender Bedeutung, dass man eine OSZE Beobachterkommission hinbekommt.

Was halten Sie von dem derzeit diskutierten Stopp der Lieferungen im Rüstungsbereich?

Sanktionen sind Kommunikationsmittel. Die deutsche Firma Rheinmetall wollte Russland ein hochmodernes Gefechtsübungszentrum liefern. Das geht nicht. Russland hat militärische Maßnahmen vorgenommen, die wir ablehnen, nämlich die Annexion der Krim. Und im selben Moment dann Güter weiterzugeben, die die militärische Kraft Russlands stärken, das ist unlogisch. Das wäre ein Signal an Russland: Jungs wir reden viel, aber nehmt es nicht so ernst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.