Kolumne Macht: Hoppla, ein Krieg

Weltmächte sichern ihre Einflusszonen. Es geht um Interessen. Wenn man dies in eine Glaubensfrage ummünzt, endet es meist blutig.

Friedenstauben mit ungewissem Schicksal. Bild: dpa

Die Aufständischen waren mutig. Um ihre Freiheit zu verteidigen, griffen sie die Vertreter des Tyrannen an und warfen sie aus dem Fenster auf einen Misthaufen. Der Prager Fenstersturz gilt als Anlass für den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges.

Das mit dem Misthaufen stimmt übrigens nicht. Die Angegriffenen fielen fast 17 Meter tief in einen Burggraben. Es grenzt an ein Wunder, dass alle drei überlebten. Und ob die Angreifer moralisch im Recht oder mitverantwortlich für eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte waren, hängt vom Standpunkt ab. Wenn jemand von einem Misthaufen statt von einem Burggraben spricht, dann ist der Standpunkt allerdings klar.

Ob ich die längst widerlegte Legende nur deshalb in meiner Hamburger Schule gelernt habe, weil die Hansestadt protestantisch ist? Hat sich dort noch immer eine, vermutlich unbewusste, Solidarität mit den Glaubensbrüdern in Böhmen erhalten, die um das kaiserlich garantierte Recht der Religionsfreiheit fürchteten?

Möglich. Jedenfalls ist mir der Prager Fenstersturz vor allem wegen des erfundenen Misthaufens im Kopf geblieben. Propaganda ist zählebig. Ob Luther je seine Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hat, ist zweifelhaft. Unwahrscheinlich ist es, dass Galilei trotzig murmelte „Und sie bewegt sich doch“, als er in Rom vor dem Inquisitionsgericht stand. Wen kümmert’s. Wo kämen wir hin, wenn wir uns die Geschichten über unsere Lieblingshelden durch Fakten zerstören ließen.

Von wegen 20.15 Uhr: Das Fernsehen, so wie wir es kannten, ist tot. Wie zwei Unterhaltungsprofis versuchen, es wiederauferstehen zu lassen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 26./27. April 2014. Außerdem: Warum Leipzig das neue Berlin ist. Wie zwei Schulen in der Sexualmedizin um den Umgang mit Transsexuellen kämpfen. Und: Preisgekrönte Fotos von ägyptischen Bodybuildern und ihren Müttern. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die reine Objektivität?

Es ist nicht egal, wie über Protest und Widerstand berichtet wird. Natürlich sind einem manche Bewegungen sympathischer als andere, und man kann sich auch als seriöse Reporterin und als ernsthafter Redakteur dagegen nicht wehren. Wer als Journalist oder Journalistin meint, die reine Objektivität sei möglich, ist naiv.

Also jubeln unabhängige westliche Medien denen zu, die gegen islamistische Regierungen kämpfen, und erklären jene zu Fantasten, die Plätze besetzen als Zeichen des Protests gegen die internationale Finanzmafia. Na schön. Aber die Art und Weise, wie im Zusammenhang mit der Ukraine mit zweierlei Maß gemessen wird, ist nur noch schwer erträglich.

Wer auch immer auf dem Maidan für die Annäherung an Europa gekämpft hat, gilt nun als Freiheitsheld – und wer auch immer jetzt in der Ostukraine für den Anschluss an Russland demonstriert, muss ein bezahlter Söldner des Satans sein. Geht’s noch? Ich finde, es gibt für eine Hausfrau in Charkiw derzeit gute Gründe, lieber von Moskau als von Kiew regiert werden zu wollen.

Zugegeben: Demokratie spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Aber wollen wir wirklich behaupten, bei unserer – der westlichen – Außenpolitik sei es immer nur um Demokratie gegangen? Und nicht auch um Einflusszonen?

Den Gesslerhut grüßen

Mein verstorbener Vater hat mir erklärt, man müsse den Gesslerhut grüßen, wenn man in einer Diskussion nicht ins Abseits geraten will. Also grüße ich hier den Gesslerhut, und es ist mir sogar ernst damit: Putin ist ein zynischer Diktator, von dem ich nicht regiert werden möchte.

Aber jetzt, Herr Gessler, treten Sie bitte beiseite. Denn ich möchte auch nicht von all denen regiert werden, die von den USA unterstützt wurden. In Chile, in El Salvador, in Grenada. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Weltmächte haben es – leider – so an sich, dass sie versuchen, ihre Einflusszonen zu sichern. Unerfreulich genug. Aber alle Versuche, das in einen Glaubenskampf zu verwandeln, enden im Regelfall blutiger als beabsichtigt. Man kann nämlich auch in einen Krieg hineinstolpern. Wie sich 1618 in Böhmen zeigte.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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