piwik no script img

Der sonntaz-StreitDarf das Semikolon sterben?

Schreibmaschine, Internet, Kapitalismus – die Gründe für den Niedergang des Semikolons sind vielfältig. Ein Grund zu trauern?

Spannende Lektüre ohne Semikola: Harry Potter und der Stein der Weisen. Bild: dpa

Im Jahr 1837 duellierten sich in Paris zwei Jura-Professoren, weil einer von beiden die Kühnheit besessen hatte, einen Absatz mit einem point-virgule – wörtlich: Punkt-Komma – zu beenden. „Derjenige, der behauptet hatte, besagte Passage sei mit einem Semikolon zu beenden, wurde am Arm verwundet“, resümierte damals die britische Times.

Die Streithähne zeigten eine Leidenschaft, die für uns schwer vorstellbar scheint. Denn wer heute wegen eines vergleichbaren Vergehens mit Prügel droht, würde kaum mehr als ein Schulterzucken ernten. Zeichensetzung ist langweilig geworden. Doch wer so denkt, verkennt die wahre Bedeutung des Semikolons. Denn die Frage nach seinem Fortbestand rührt an die großen Debatten unserer Zeit.

Der Beweis dafür findet sich auf Seite 155 des Duden: „Das Semikolon ... steht an Stelle eines Kommas, wenn dieses zu schwach trennt, und an Stelle eines Punktes, wenn dieser zu stark trennt.“ Das Semikolon ist ein Mittelweg, Sinnbild postmoderner Ambiguität. Es ist das „Jein“ der Zeichensetzung, der selbstbewusste Kompromiss des Zweifelnden, das Aushalten-Wollen einer pluralistischen Welt. Und es ist ein Akt des Widerstandes gegen jenen abgehackten, punktüberladenen Kurz-Satz-Stil, der Journalisten schon in der Ausbildung eingehämmert wird.

Man kann, muss aber nicht

Die Spannung, die der Strichpunkt meistert, schlägt sich auch in den Beispielsätzen nieder, die der Duden zur Übung vorschlägt. Unterhalb der ersten Anwendungsregel („Mit dem Semikolon kann man gleichrangige Teilsätze voneinander abgrenzen“) liest man: „Im Hausflur war es still; ich drückte erwartungsvoll auf die Klingel!“ Schon dieser eine Satz – pardon, diese zwei „gleichrangigen Teilsätze“ – atmen Bedeutsamkeit. Der Autor darf hier selbst entscheiden, er oder sie kann die beiden Teilsätze per Semikolon abgrenzen, muss es aber nicht.

Bei der Anwendung des Semikolons hat der Schreibende „mehr Freiheit als bei anderen Satzzeichen“. Das Semikolon ist damit auch Marker demokratischer Wahlfreiheit. Er zwingt uns, eigenständig zu denken, klare Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen.

Doch das Semikolon ist nicht nur Symbol einer liberalen Grundordnung. Es steht auch für Gleichberechtigung – wie Regel Nummer zwei des Duden unmissverständlich klar macht: „Das Semikolon kann bei längeren Aufzählungen gesetzt werden, um gleichrangige Wortgruppen voneinander abzugrenzen und so die Aufzählung zu gliedern“.

Der Beispielsatz dazu: „In dieser fruchtbaren Gegend wachsen Roggen, Gersten, Weizen; Kirschen, Pflaumen, Äpfel“. Wer den Strichpunkt sieht, weiß: Hier trifft Gleiches auf Gleiches. Hier löst sich die strenge Hierarchie von dominantem Haupt- und abhängigem Nebensatz in emanzipatorisches Wohlgefallen auf. Das Semikolon ist damit sozusagen der semiotische Gegenentwurf zur unterordnenden Konjunktion.

Allgemeines Desinteresse

Ganz und gar nicht gerecht ist hingegen das allgemeine Desinteresse, das dem Semikolon heute überall entgegen schlägt. Auch hier ist ein Blick in den Duden aufschlussreich: Während auf 123 Seiten die Regeln der Kommasetzung abgehandelt werden, widmet man dem Punkt-Komma gerade einmal zwei Seiten.

Wie schlimm es um den Strichpunkt auch international steht, zeigt jedoch erst ein Blick in die Statistik: Laut einem Schaubild der Washington Post nutzte Jane Austen 1811 in "Sense and Sensibility" auf 1.000 Wörtern noch ganze 13 Semikola. In Joanne K. Rowlings "Harry Potter and the Philosopher's Stone" trifft man dagegen 1997 bei gleicher Wortzahl auf gerade einmal zwei Strichpunkte. Ein Bedeutungsverlust von beinah 85 Prozent.

Zugegeben, der Niedergang des Semikolons blickt auf eine lange Geschichte zurück. So beschwerte sich beispielsweise schon 1940 der Sprachwissenschaftler Max Zollinger in "Sinn und Gebrauch der Interpunktion", dass für die meisten Menschen das Semikolon „überhaupt nicht zu existieren“ scheine. Er machte dafür die Schreibmaschine verantwortlich, die das Zeichen oft gar nicht kannte. Der Autor musste es selbst aus Punkt und Komma zusammensetzen. Das Problem hatte sich mit Einführung des Computers zwar erledigt, das Sterben des Semikolons aber ging weiter.

Der Markt ist schuld

Im Jahr 2005 lamentierte der Sprachkritiker Wolf Schneider, dass „junge Leute“ das sterbende Satzzeichen fast nie benutzten. Und auch Theodor W. Adorno hatte eine Theorie zum Verschwinden des Strichpunktes: Schuld war – wie könnte es anders sein – der Kapitalismus. Der habe mit seinem fortwährenden Verkaufszwang eine „Furcht vor seitenlangen Abschnitten“ kreiert, weswegen das Semikolon seltener verwendet werde.

Glaubt man Adorno, dann hat der Kapitalismus das Semikolon wegrationalisiert. Denn dort, wo Sprache nur noch Tatsachen registriert, gibt es keinen Platz mehr für Überflüssiges und Zusätzliches – eben jene gedanklichen Ausschweifungen, die das Semikolon so oft einleitet.

Das allmähliche Verschwinden des Semikolons kann also viele Gründe haben. Doch müssen wir uns darum scheren? Kultur, und damit Sprache, sind in stetem Wandel begriffen. Wenn es Aufgabe der Sprache ist, eine tiefere Wirklichkeit abzubilden, dann bedeutet das Verschwinden des Semikolons nur, dass diese Wirklichkeit heute ohne Semikolon auskommt.

Vielleicht weil wir anders denken. Weniger ausschweifend, weniger assoziativ, einfacher, schneller. Im digitalen Zeitalter, in dem ein Großteil der Menschen Online liest und weniger Zeit mit einem Text verbringt, hat das Semikolon vielleicht schlicht keinen Platz mehr. Das Sterben des Strichpunkts ist dann nur Ausdruck sprachlicher und kultureller Evolution. Eben so wie man „daß“ mittlerweile mit „ss“ schreibt, trennt man einen Satz heute lieber mit einem Komma – oder beendet ihn gleich ganz.

Ist das schlimm? Müssen wir das Semikolon betrauern? Brauchen wir es als Ausdruck der Unentschiedenheit und des verlangsamten Denkens? Oder genügen Punkt und Komma, um Satzteile abzutrennen? Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der taz.am wochenende vom 7. Juni/8. Juni 2014. Ihr Statement sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns eine Mail an: streit@taz.de.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Semikolons Aufbegehren

     

    Punkt; Punkt, Komma; Strich – fertig ist das Modegesicht. ;-) Zumindest fast.

     

    Wie fühlte sich heutzutage das E-Mail- oder SMS-Schreiben an, wäre das Semikolon ganz von uns gegangen? Richtig: falsch. Dermaßen falsch; nahezu wie das Trennen von „st“ vor einiger Zeit noch unsäglichen Schmerz verursachte. Es zeugt schon von sadistischem Charakter, solch altbewährtes Gebot zu verachten. Ähnlich hält es sich mit dem Strichpunkt. Ehe selbiger wahrhaftig ins Exil geschickt wird, sollte sich doch nicht nur literarisch in Toleranz geübt werden. In zwei Teilen kehrte es wohl in seiner nachexilischen Zeit als verlorener und gebrochener Zeitgeist wieder zurück. So wie es verlangt wird: angepasst und unauffällig im Verhalten. Unsere Gesellschaft scheint außer Betrieb.

     

    Das Semikolon ist bereits unentbehrlich im Jugendstil der Moderne verankert. Ohne eben diese Liebenswürdigkeit wäre eine ironisierende Wirkung eines Satzes dahin.

     

    Ach, da war doch noch etwas anderes … ;-)

  • Ich habe mal per Blog dazu Stellung genommen: http://wp.me/p2lKnJ-ab

    • @Jan Schreiber:

      Genau! Das Semikolon hat eine gespaltene Persönlichkeit und damit ist es uns näher als manch anderes Zeichen. In einer kohärenten Welt wäre es überflüssig, aber die ist nirgends in Sicht. Keine Angst Semikolon, Du bleibst!

  • In westlichen Gegenwartsgesellschaften leben wir im omnipräsentem Überfluss. Im Supermarkt gibt es zu viel Auswahl, bei Starbucks zu viele Kaffeesorten, in der S-Bahn meistens zu viele Menschen, im Fernsehen zu viel Schwachsinn. Und im Schreibgebrauch zu viele Zeichen. Das Semikolon jedenfalls wird hier, als Gegenstück zum markterfolgreichen Hashtag, zum Ladenhüter, in eine immer enger werdende sprachökologische Nische gedrängt und droht im Abgrund des alltagsschriftlichen Darwinismus zu verschwinden. Brauchen wir deswegen eine gesetzlich festgelegte Semikolonquote? Eine Plakatkampagne, im Rahmen derer sich Gegenwartsprominente zum Semikolongebrauch bekennen? Nein. Wir brauchen eine Kultur der entschiedenen Unentschiedenheit. Denn um nicht in der Alternativenflut des alltäglichen Möglichkeitenmeers zu ersaufen, sind wir heute darauf konditioniert, möglichst schnell, möglichst effizient, möglichst nachhaltig richtig, möglichst entschiedene Entscheidungen zu treffen. Bio oder billig, Apple oder Samsung, Kind oder Karriere, Barfuß oder Lackschuh.

    In so eine Welt passt das Semikolon als semiotische Personifikation des ewigen Mittelwegs nicht: als Vermittler zwischen zwei gleichwertigen Sinneinheiten teilt es ohne zu trennen und verbindet ohne vermischen. Es zwingt nicht zum Priorisieren, sondern lässt uns die Freiheit, Zweierlei in jeweiliger Eigenheit gleichwichtig zu finden und doch in syntaktische Einheit zu bringen. Jedes gebrauchte Semikolon ist ikonisch gelebter Widerstand gegen gesellschaftliche Entscheidungsimperative, routinierte Prioritätensetzung und verkrustete Relevanzhierarchien. Es lebe die entschiedene Nichtentscheidung - ohne Wenn und Aber, ohne Punkt und Komma sondern mit Semikolon. Es lebe der Strichpunkt!

  • Vom Strichpunkt befreit sind kurze und flache

    Sätze durch Schreiberlings fehlend` Geschick;

    Dem Komma grünet Hoffnungsglück;

    Das Semikolon, das alte, schwache,

    Zieht sich in die Belletristik zurück. ;-)

     

    (Wer mag, kann ja die Semikolons in Goethes „Faust zählen.)

  • 4G
    4613 (Profil gelöscht)

    Ähm, also ist das jetzt euer ernst; der ganze Artikel enthält nur 2 Semikolons; und zwar sind sie ausgerechnet nur in den Beispiel-Sätzen enthalten.

    Also da hat die Autorin ja ganz offensichtlich Stellung bezogen - Gegen das Semikolon.

  • Nein, wir müssen den Strichpunkt nicht bedauern; aber wir können. Wer ihn weglässt macht sich das Leben einfacher, aber nicht seinen LeserInnen. Es ist wie mit dem Auslassen der Shift-Taste. Und es kommt gar nicht so selten vor, dass ein Strichpunkt die Verständlichkeit verbessert. Wenn ich mich meiner Umwelt mitteilen will, darf ich von meiner Umwelt nicht erwarten, dass sie sich beim Verstehen die Mühe macht, die ich beim Schreiben einsparen wollte.

  • Sollte die Welt etwa besser werden, wenn man ihr die Nuancen wegnimmt? Wohl kaum!

    Ich behaupte nicht, dass es regelgerecht wäre, aber zu meiner Schulzeit wurde nach dem Semikolon immer groß weitergeschrieben, als hätte das Semikolon faktisch die gleiche Macht eines Punktes, aber eigentlich die Bedeutung eines Kommas.

    Wenn man mir das Semikolon wegnimmt, werde ich aus Rache einen Arbeitskreis für freie Zeichensetzung gründen. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt..;,-,;..

  • Dank des Kommas in deutschen Dezimalzahlen, wird man das Semikolon immer in der mathematischen Programmierung brauchen. Somit bleibt es immerhin auf der Tastatur.

    • @mojolo:

      Dann ist eben das Komma in den Dezimalzahlen der nächste Streichkandidat. Es (das Dezimalkomma) analog zum Englischen/Amerikanischen durch einen Punkt zu ersetzen wäre nur ein weiterer Anglizismus, und vor Anglizismen schreckt hier bekanntlich niemand zurück.

  • Tatsaechlich wird das Semikolon heutzutage im umgangssprachlichen Textgebrauch mit Sicherheit haeufiger verwendet, als frueher - ebenso wie der Bindestrich. Als Zwinkersmiley naemlich.

    • @9943:

      Das Zwinkersmiley gab`s doch schon.

      KlausK nennt es Emoticon. ;;;-)

  • Um es mal für Deutschlehrer besonders provokativ auszudrücken: Fuck the Semikolon!

     

    Es ist meist nicht hilfreich für den Lesefluss und verhindert oft nur die Verwendung eines sauberen Punktes, wodurch elend lange Sätze entstehen, die das Erfassen des Inhalts erschweren. Bei informativen Texten muss das wichtigste der Inhalt sein und wie der Leser es am einfachsten erfassen kann. Ausnahmen davon kann es natürlich in der schöngeistigen Literatur geben, wo manche Autoren meinen, wenn man besonders kompliziert, verschwurbelt und umständlich schreibt, würde das einen Pluspunkt geben. Ansonsten kann man auf das Semikolon komplett verzichten, gerade auch weil die Regeln dafür nicht so eindeutig sind, wie bei Komma oder Punkt und die meisten Möchtegern-Anwender es dann immer exzessiv oder falsch verwenden.

    • @tazzy:

      LeserInnen bitte nicht überfordern; aber es schadet auch nicht, wenn Journalismus ein wenig in Literatur ausartet. Denke ich mal.

    • @tazzy:

      Rettet dem Semikolon! ;-)

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Natürlich nicht! Blöde Frage.

    Es wird unverzichtbar bleiben, wenn auch irgendwann nur noch für das Emoticon ;-)

  • Natürlich soll das Semikolon bleiben. Es erfüllt seine grammatikalische Funktion, und wem das zu hoch ist, soll halt noch einmal bei den Regeln nachschlagen. Insbesondere von Journalisten und Essayisten hätte ich gedacht, daß da ein paar Seminare oder gar Semester in deutscher Sprache dabeigewesen sein könnten. Na ja, und gerade bei Computer und Internet hat das Semikolon seine Bedeutung - als Tabulator, als Abtrennungszeichen, usw.

  • Das Semikolon soll bleiben; es soll zumindest nicht unserer Denk- und Formulierungsfaulheit -solchem SMSismus- geopfert werden.