Medienpropaganda im Ukrainekrieg: Du bist nicht allein

Das Minsker Abkommen sieht vor, schwere Waffen abzuziehen. Wie berichten TV-Sender in Russland und der Ukraine?

Russische Fernsehsender – von Riga aus angeschaut. Bild: reuters

Nachrichten aus der Ukraine

Dienstag, der 17.Februar. Der Tag, an dem laut Minsker Friedensabkommen die schweren Waffen im Osten der Ukraine abgezogen werden müssen. Aber „es wird wohl auch heute keinen Frieden geben“. Das verkündet die Moderatorin des populären ukrainischen Senders 1+1 bereits in der Morgennachrichtensendung „TSN“ – zu Deutsch „Fernsehnachrichtendienst“. Sie ist mit 20 Prozent Zuschaueranteil die mit Abstand populärste Nachrichtensendung im ukrainischen Fernsehen.

Die Moderatorin wirkt professionell, elegant und charismatisch. Dieser Umstand hilft einigermaßen das zu verdauen, was sie sagt, und vor allem mit welchen Bildern sie das hinterlegt. „Laut der Leitung der antiterroristischen Operation bestehen keine Voraussetzungen für den Rückzug schwerer Waffen.“ Also erst mal kein Abzug.

In den folgenden Beiträgen ist von Dutzenden Artilleriebeschüssen von der feindlichen Seite die Rede, stets mit genauer Kennzeichnung der Orte belegt.

Der russische Sender Lifenews wurde vom Journalisten Aram Gabreljanow gegründet, der auch Vorstandvorsitzender der kreml- nahen Zeitung Iswestija ist. Besitzer ist der Ölhändler Surgutex. Der Sender soll dem FSB-Geheimdienst nahestehen.

Der russische Sender Rossija24 ist ein 24-Stunden-Nachrichten- sender, der auch zur staatlichen Medienholding WGTRK gehört. Rossija24 versucht, sich einen seriösen Anstrich zu geben, ist aber ein Verlautbarungskanal des Kreml.

Der russische Sender Rossija1 oder auch Erster Kanal ist eben- falls Teil der staatlichen Medienholding WGTRK.

Der ukrainische Sender 1+1 gehört dem reichsten Mann des Landes, dem Multimilliardär und Oligarchen Kolomojskyj, der als Gouverneur von Dnipropetrowsk auch in der Politik mitmischt.

Begriffe wie „Separatisten“ oder „Rebellen“ fallen nicht. Die Anhänger der sogenannten Volksrepubliken werden als „Bojowyky“ (Schlägertrupps oder Feindeskämpfer) bezeichnet, die der ukrainischen Seite – „Bijzi“ (Kämpfer). Gelegentlich spricht die Moderatorin auch von den „russisch-terroristischen Einheiten“. Zu sehen sind von den „Feindestrupps“ zerbombte Straßen und Lkws, der Brand nach einem Raketenbeschuss in der Nähe eines Kraftwerkes in Wuglegirsk tief im ukrainischen Hinterland, kaputte Häuser, ein OP-Arzt, der mehrere Schwerverletzte allein an diesem Tag zu versorgen hatte. Kurz: die Nöte des Krieges.

Von den zwei Dutzend Nachrichten des Tages finden sich nur einige wenige, die nichts mit Krieg zu tun haben. Nicht verwunderlich angesichts der 30.000 Soldaten und fast einer Million Vertriebener. Zahlreiche Schaltungen zu den Korrespondenten vor Ort, Statements von Militärsprechern und anderen Verantwortlichen, Interviews mit Betroffenen.

Die Ehefrauen der Armeeangehörigen blockieren eine Landstraße bei Kiew, um vom Verteidigungsministerium mehr Entschlossenheit zu fordern. In einer Schule bei Ternopil wird ein Museum eröffnet zum Andenken an einen Schüler, der während des Euromaidan umgekommen ist. Ein junger gefallener Soldat wird von 500 Einwohner seines Heimatdorfs mit Ehren zu Grabe getragen. 45 Heimkinder aus Artemiwsk werden nach einem Artilleriebeschuss nach Charkiw evakuiert. Ein neues Flüchtlingsheim im westlichen Zaporishje wird eingeweiht. Der allukrainische Automobilclub und FC-Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge vermelden großzügige Spenden.

Die Nachmittagssendung endet mit einem Beitrag über einen Zeichentrickfilm. Er basiert auf wahren Begebenheiten, die vor zwei Wochen nach Angaben des Senders „das Internet zum Bersten brachten“. Damals sind in der Nacht sechs ukrainische Kämpfer ins Feindesland eingedrungen und haben einen T-72-Panzer erbeutet. In dem Fahrzeug wurden Papiere von russischen Streitkräfteangehörigen samt Fertigmahlzeiten gefunden. Eine Heldenerzählung, wenn man so will. „Wie die Kosaken ihrem Kommandeur einen Panzer geschenkt haben“, so die Anmoderation.

Was folgt, ist eine witzige, minimalistisch gehaltene 2-Minuten-Geschichte, die zugegeben nicht nur dem ukrainischen Patrioten gute Laune macht. „Unsere Jungs sind im Krieg, und die Mädels hochzeitsreif. Keine Sorge, sie werden bald zurück sein!“ Dann ist die Sendung vorbei. Jetzt prangt nur noch das Logo des Senders in großen Ziffern 1+1 und darunter klein „Du bist nicht allein“. Ein Wortspiel: auf Ukrainisch sind die Wörter „allein“ und „1“ identisch. (JARINA KAJAFA)

***

Nachrichten aus Russland

Mindestens 5.000 ukrainische Soldaten sind in diesem Ort eingeschlossen“, sagt der Reporter des russischen Senders Lifenews. Seinen Standort beschreibt er mit „Ortseingang von Debalzewe“. Die Kamera schwenkt und bleibt bei entkräfteten und verängstigten Soldaten hängen. Sie werden als ukrainische Gefangene dargestellt. Einige sollen sich ergeben haben, andere festgenommen worden sein. Es kursieren unterschiedliche Zahlen. Die höchsten Angaben liegen bei 150 Gefangenen. Die Stimme des Reporters hat den Rhythmus von Salven angenommen. Als müsste auch das Erzählen die Echtzeit imitieren. Russlands Zuschauer sind an diesen nervösen Kurztakt seit Monaten gewöhnt.

Die Kamera sucht nach ukrainischen Details, ein Gefangener hält in der zitternden Hand auf dem Rücken ein Band in den Farben Gelb und Blau. Die Besiegten. Dann kniet sich der „Ministerpräsident“ der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Alexander Sachartschenko, vor die Gefangenen hin. Von ihnen sind nur einige vage zu erkennen. Wer sich ergäbe und die Waffen strecke, hatte er vorher versprochen, denen garantiere er das Leben, sie könnten Debalzewe verlassen. Alle russischen Sender verbreiten das.

Sachartschenko hockt vor den Gefangenen und klärt sie auf: „Petro Poroschenko benutzt euch nur als Kanonenfutter, ihr interessiert ihn nicht“, sagt er mit einem Anflug von Lächeln. Sie lassen es über sich ergehen, stimmen aber nicht zu. Einer räumt später ein, vom vereinbarten Waffenstillstand in Minsk nichts erfahren haben zu wollen. Sachartschenko fordert seine Mitkämpfer danach auf, mit ihm Debalzewe zu „säubern“. 80 Prozent seien schließlich schon „befreit“.

Auch Rossija 24 zeigt ähnliche Bilder aus Debalzewe. Für die Nichteinhaltung der Waffenruhe macht der „Vizeverteidigungsminister“ von Donezk, Eduard Bassurin, den Gegner verantwortlich. „Wir reagieren nur auf Provokationen der ukrainischen Seite“, die Lage in Debalzewe habe sich dramatisch verschlechtert, sagt er. Nur an dieser Front werde noch gekämpft. Der selbsternannte Chef von Lugansk, Igor Plotnizki, berichtet unterdessen vom Rückzug der Artillerie von ruhigen Frontabschnitten. Bilder von vier verpackten Geschützen ohne Ortsangaben sollen es belegen. „Wir haben wie immer unser Wort gehalten“, sagt er.

Es folgt ein Bericht über die Einsetzung eines Antikorruptionsstaatsanwalts in Kiew. Auch Korruptionsbekämpfung in der Ukraine stellt sich als ein besonders perfider antirussischer Trick heraus. Zumal der Staatsanwalt gebürtiger Georgier ist. Es klingt nach Weltverschwörung.

Tagsüber bleibt unklar, wie die Lage in Debalzewe tatsächlich aussieht. Gibt es noch einen Korridor raus aus dem Ort? Wie viele ukrainische Soldaten sind noch dort? Stimmen die Angaben der „Separatisten“, dass sie 80 Prozent des Gebietes kontrollieren würden? Beweise werden nicht vor Ort gesucht. Ehefrauen und Mütter angeblich ukrainischer Soldaten werden gezeigt, die mit ihren Angehörigen im Kessel über Handy gesprochen haben wollen.

Zurück zu Lifenews: Der Journalist inspiziert einen kleinen Beutel eines Ukrainers mit Mais, Weizenkörnern und Samen. „Was in der Ukraine wächst, sollte ihn schützen.“ Es hätte ihm nichts genützt, „denn es ist unser Land“, sagt er noch. Das Moskauer Museum für zeitgenössische Geschichte wird eingeblendet. Die Direktorin Irina Welikanowa kündigt eine Ausstellung über die Befreiung der Ukraine im Großen Vaterländischen Krieg an. Sie wolle mit den Mythen aufräumen, ukrainische Nationalisten hätten gegen zwei totalitäre Systeme gekämpft. Es werde sich zeigen, „wer Verräter und wer Held war“. Tourt die Ausstellung später durch Europa?, fragt die Moderatorin noch und gibt sich selbst die Antwort. „Europa hat nicht den Mut, Mythen zu entlarven.“

Die Nachrichten „Vesti“ auf dem 1. Kanal am Abend teilen mit, zwei westliche Teams, darunter ein deutsches, seien des Platzes verwiesen worden, da sie gefälschte Bilder benutzt hätten.

Schon am Nachmittag war die Nachricht eingetroffen, Sachartschenko sei bei der „Säuberung“ durch einen Granatsplitter leicht verletzt worden. Der erste russische Kanal zeigt in den Spätnachrichten gegen Mitternacht Igor Plotnizki am Krankenbett des schweigenden Kollegen aus Donezk. Es ist die erste belegte und nachprüfbare Nachricht aus dem Kriegsgebiet an diesem Tag. Die Beobachter der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, könnten aus Sicherheitsgründen nicht nach Debalzewe vorgelassen werden, sagt Denis Puschilin vom „Volksrat“ in Donezk. Niemand fragt nach dem Warum. Allen ist klar, dass die Separatisten diesen Eisenbahnknotenpunkt noch besetzen wollen und dafür wohl auch das Placet des Kremlchefs besitzen. Der wird danach aus Budapest dazugeschaltet. (KLAUS-HELGE DONATH)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.