: Fahrlässig und ignorant
Exkanzler Schröder hat Deutschland in eine groteske energiepolitische Abhängigkeit gebracht. Damit hat er nicht nur der Wirtschaft geschadet, sondern auch der Demokratie
In Deutschland werden derzeit zu Recht die deutsch-russischen Beziehungen diskutiert. Vor allem geht es um die Frage: Wie steht es um die Energiesicherheit in Deutschland und Europa? Klar ist nur, dass der Verbraucher die Zeche zahlen muss für die Eskapaden der deutschen Energiekonzerne und Banken, die sich an Russland binden.
Politiker und Unternehmer rechtfertigen auf unterschiedliche Weise die deutsche Entscheidung für die Zusammenarbeit mit Russland – und gegen Europa. Zum einen erinnern sie an die tragische Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen: eine moralische Rechtfertigung dafür, dass man sich den Bedürfnissen Moskaus beugt, so lange dies der deutschen Industrie nützt. Zum anderen wird die Partnerschaft damit gerechtfertigt, dass man Russland doch nicht mit Nigeria vergleichen könne. Wer über Menschenrechte sprechen wolle, solle zunächst einmal die Situation in anderen Ländern analysieren, die doch viel schlechter dran seien als Russland. Da sind sich Deutschlands Apologeten des russischen Energie-Imperialismus einig, von Exkanzler Gerhard Schröder bis Klaus Mangold, dem Vorsitzenden des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft.
Die deutsche Industrie finanziert die Hybris der Russen in der Energie-Außenpolitik und macht ihr die Ablehnung der Energie-Charta leicht, indem sie für Kapital und für den Anstrich der Rechtmäßigkeit sorgt.
Dass Deutschland Moral, Ethik und demokratisches Denken zugunsten einer Energiepolitik in trauter Zweisamkeit mit Russland hinter sich gelassen hat, ist jedoch mit den längerfristigen deutschen Interessen unvereinbar. Wer so vorgeht, riskiert, dem europäischen Ideal im Allgemeinen und der deutschen Demokratie im Besonderen großen Schaden zuzufügen.
Wie haben sich die trauten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland eigentlich entwickelt? Schon bei oberflächlichen Nachforschungen würde man feststellen, dass sich Führungskräfte im Energiesektor beim Pendeln zwischen den großen deutschen Energiekonzernen und der SPD die Klinke in die Hand gaben. Man kombiniere diese Aktivitäten mit Beiträgen aus der Politik und der nicht vorhandenen Ethik des jüngsten deutschen Exkanzlers, und Deutschlands aktuelle Energie-Strategie wird so durchschaubar wie schändlich. Russland freut sich an dem neuen Einfluss, den es durch seinen Schulterschluss mit Deutschland erlangt hat.
In den vergangenen fünf Jahren hat Schröder den allmählichen Abbau der politischen Rechte in Russland beharrlich ignoriert. Das verwundert, wenn man bedenkt, dass er zu Beginn seiner Amtszeit Besorgnis angesichts der Situation der Menschenrechte in Russland, vor allem in Tschetschenien, geäußert hat. Obwohl der Machtmissbrauch in Moskau ständig zunahm, hat Schröder später sämtliche Versuche blockiert, von Westen aus Druck auf das Regime auszuüben. Während Russland sich immer weiter zurückentwickelte, richtete Schröder sein Augenmerk auf engere wirtschaftliche und politische Bindungen für Deutschland. Schröders Schweigen angesichts der Rückschrittlichkeit der russischen Führung zeigt, wie weit er mit den neuen russischen Energiebaronen verbandelt war.
Es ist kein Geheimnis, dass die Europäer im Lauf der Zeit immer abhängiger von den russischen Energielieferungen werden. Als neue Nabelschnur, die Deutschland mit Mütterchen Russland verbinden soll, wird die unwirtschaftliche Ostsee-Pipeline eingerichtet. Die Kosten für dieses Projekt werden in etwa dreimal so hoch sein wie für eine neue Pipeline über Land, die entlang bestehender Wege gebaut würde. Zudem wird die Ostsee-Pipeline zu einem Risiko für das fragile Ökosystem des Meeres – und das nur, damit Russland Transitgebühren sparen kann?
Wenn die Pipeline schließlich die Energieexporte direkt nach Deutschland liefert, kann Russland der Ukraine, Polen und den baltischen Staaten das Gas abdrehen, ohne dass die Lieferungen nach Europa davon unmittelbar betroffen wären – und wenn man das Verhalten Russlands in jüngster Zeit betrachtet, spricht nichts dafür, dass dies keine echte Gefahr ist. In erster Linie dienen Pipelines den Interessen des Lieferanten, besonders, wenn sie mit langfristigen Verträgen verknüpft sind.
Russland lockt die europäischen Unternehmen mit der Verpfändung von Upstream-Assets (etwa Bohrtürmen). Aber was sind solche Verpfändungen nach Jukos und nach Sachalin wirklich wert? Die russische Administration hat sich, mit aktiver Unterstützung der Staatsanwaltschaft, der Steuer- und Aufsichtsbehörden sowie der Gerichte einen Ruf als Rechtsbeuger und Schikaneur ausländischer Investoren geschaffen. Die Behörden haben keine Hemmungen, auch noch so bedeutende ausländische Investoren zur Seite zu schieben. Dabei sind die ausländischen Investoren nicht die ersten Opfer. Die Zentralisierung der Macht in Moskau in den vergangenen Jahren hat eine drastische Abkehr von der Verpflichtung zu einer Marktwirtschaft des freien Wettbewerbs, zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit sich gebracht.
Abgesehen von der Missachtung grundlegender Eigentumsrechte und anderer Rechtsansprüche, ist die mangelnde Bereitschaft Russlands gegenüber einer Öffnung seines Marktes nicht nur prinzipiell unlauter, sie garantiert gleichzeitig Unsicherheit bei der Energieversorgung. Die Wahrheit ist, dass die russische Führung ganz eindeutig im eigenen Land die Unantastbarkeit von Eigentum nicht respektiert. Andererseits wirft sie ein begehrliches Auge auf die Midstream- und Downstream-Assets (wie Raffinerien) in Europa.
Korruption und Fahrlässigkeit der staatlichen russischen Energieunternehmen sind gut dokumentiert – von der Internationalen Energieagentur und der Weltbank. In Deutschland jedoch wird diese Wahrheit offenbar bewusst übersehen. Kann man das vielleicht mit den enormen wirtschaftlichen Interessen erklären, die Deutschlands größte Banken daran haben, den Kreml bei seinen illegalen, aber weit entfernten Enteignungen zu unterstützen?
Ohne das Schweigen oder gar die aktive Unterstützung der Elite der deutschen Banker und Politiker hätte die Jukos-Affäre nie zu einem solchen Enteignungscrescendo werden können. Als Jukos sich zu einer Affäre entwickelte, war die wichtigste Sorge dieser Leute, wie Deutschland und seine Banken von dem Diebstahl durch den Staat profitieren könnte. Diese Abkehr von der Moral war nicht nur gefährlich für Russland, sondern auch für die Festigkeit der Prinzipien der Demokratie in Deutschland.
Sicherlich sind sich die Deutschen bewusst, dass Schröders Unterstützung eines Regimes, das die Presse unterdrückt, NGOs attackiert, in Schauprozessen Grundbesitz enteignet und auf ethnische Minderheiten schießt, schlicht unvereinbar ist mit deutschen Idealen und dem europäischen Gedanken.
Dabei sollte das Energie-Rezept für Deutschland ebenso wie für Europa sich ausschließlich am Risikomanagement orientieren: durch Diversifizierung von Versorgungsquellen, massive Investitionen in LNG (Flüssigerdgas) und einen starken Vorstoß zur Unterstützung der Nabucco-Pipeline von der Türkei bis Österreich und Verbindungen zwischen den Mittelmeer-Anrainerstaaten. Solche Entwicklungen bringen Europa auf dem Weg eines vernünftigen Energiemarktes nach vorn.
Unabdingbare Voraussetzung für Energiesicherheit ist eine feste Antikorruptionshaltung. Die russische Gazprom kann so lange kein Partner für Europa sein, wie sie nicht in ihre eigene Infrastruktur investiert, wie sie die Deportation von Menschen arrangiert, die als verantwortungsbewussten Lobbyisten für Corporate Governance eintreten, wie sie 14 Milliarden Dollar in nicht zum Kerngeschäft gehörende Aktiva (etwa Medien) investiert – und solange, wie sie unter Leitung des russischen Präsidialamts steht.
Im Jahre 2006 beurteilte die Weltbank 208 Länder im Hinblick auf politische Stabilität, demokratisches Mitspracherecht und Verantwortlichkeit, Effektivität der Regierung, Qualität der Aufsichtsbehörden, Rechtstaatlichkeit und Kontrolle über Korruption. Russland steht dort an 151. Stelle und spielt damit in derselben Liga wie Swaziland und Sambia. Das allein sollte uns für die Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland zu Denken geben.
ROBERT R. AMSTERDAM
Übersetzung: Beate Staib/DAH
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