■ Das "Mykonos"-Urteil wird die iranische Führung von weiteren Anschlägen abhalten. Um die Reformer im Land zu stärken und seine Interessen im Nahen Osten zu wahren, soll Deutschland am kritischen Dialog festhalten, meint Udo Steinbach
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taz: Würden Sie den Donnerstag, wenn das Urteil im „Mykonos“-Prozeß verkündet wird, in Teheran verbringen wollen?

Udo Steinbach: Ich wäre gern in Teheran, um sehr deutlich zu sehen, wie die Reaktion ist. Es wird zwei Formen von Reaktionen geben. Einmal die der Gegner des Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und – sagen wir, jener moderaten Gruppe, die es in Teheran ja auch gibt. Die Reaktion dieser Leute wird pseudospontan sein. Die werden versuchen, Dampf zu machen in Richtung Abbruch der Beziehungen. Dann hätte der radikale Flügel praktisch sein Ziel erreicht, den kritischen Dialog zu beenden und damit die Ansätze der Westöffnung der iranischen Außenpolitik zu blockieren. Die andere Reaktion ist die gestellte Reaktion. Die Reaktion, die die betroffenen Herren – Geheimdienstminister Fallahian, Präsident Rafsandschani, der religiöse Führer Chamenei möglicherweise – inszenieren werden, um das Gesicht zu wahren.

Macht es einen gravierenden Unterschied, wenn in dem Urteil als einer der Anstifter der Tat auch Chamenei genannt wird?

Das ist der entscheidende Unterschied. Die Iraner haben sich nicht nur damit abgefunden, daß Herr Fallahian in Berlin vor Gericht steht, sondern ein Großteil der iranischen Öffentlichkeit begrüßt das sogar. Daß der Mann mit seinen Geheimdiensten praktisch vor Gericht steht, daß dort einmal Roß und Reiter genannt werden. Mit dem Religonsführer ist das eine andere Sache. Ich habe bisher niemanden in Iran gefunden, der sich vorstellen kann, daß der Religionsführer wirklich persönlich hinter dem Mordbefehl steht – in dem Sinne, daß er seine Unterschrift gegeben hat. Unabhängig davon würden sich viele Iraner in ihrem nationalen Gefühl getroffen fühlen – von dem religiösen Gefühl will ich gar nicht sprechen –, und damit müßte die Reaktion stärker ausfallen, möglicherweise sogar dramatisch. Fallahian ist ein abgehaktes Kapitel iranischer Politik. Wer immer die Präsidenschaftswahlen gewinnt, Fallahian wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr Minister werden.

Aber Chamenei gilt als nicht weniger schlimm als Fallahian.

Das ist richtig. Aber da muß man differenzieren. Das Problem ist, daß natürlich Herr Chamenei im Grunde den radikalen, traditionalistischen Flügel stützt. Aber nicht bis zur außenpolitischen Unvernunft. Chamenei ist zwar daran gelegen, weiter eine konservative Außenpolitik zu fahren. Aber ein Abbruch der Beziehungen zu Deutschland oder Europa würde wahrscheinlich auch ihm zuweit gehen. Denn er sieht, daß damit Iran isoliert und der amerikanische Druck auf Iran intensiviert würde.

Gehen Sie davon aus, daß das Urteil eine abschreckende Wirkung hat? Daß es den Iran vor weiteren Anschlägen abhält?

Die iranische Öffentlichkeit empfindet mit Erleichterung, daß endlich Roß und Reiter genannt werden. Im Grunde ist man es leid, daß Iran ständig wegen eines Attentats, wegen eines Terrorakts auf die Anklagebank gestellt wird – mit all den Konsequenzen wirtschaftlicher Natur, mit Einschränkung der Reisemöglichkeiten eines jeden usw. Daß dieser Prozeß bis zu diesem Punkt durchgeführt worden ist und daß der Name Fallahian genannt wurde, hat schon eine Wirkung gezeitigt. Ich bin eigentlich sicher, daß die Wirkung mit Blick auf die Zukunft sein wird, daß jeder im Iran, der einen militanten Akt gegen wen auch immer, mit welcher Zielsetzung auch immer durchführen will, es sich zwei- oder dreimal überlegen wird, ob er das noch tut. Dabei müssen wir sagen, daß es in den letzten Jahren auch hier schon eine Kluft gegeben hat zwischen denen, die weiterhin bereit sind, derartige Attentate zu inszenieren. Herr Fallahian, die Revolutionswächter – das ist der eine Flügel, der immer noch bereit ist, die Revolution zu exportieren.

Die klassichen Jakobiner.

Ja, das sind die Jakobiner. Auf der anderen Seite habe wir den Außenminister Welajati und Rafsandschani, die versuchen, außenpolitische Rationalität zu produzieren, und deren letztes Ziel es ist, die Beziehungen zu den USA wiederaufzubauen.

Den Betrachtern des „Mykonos“-Prozesses ist diese Differenzierung schwer verständlich, weil sowohl Fallahian als auch Rafsandschani in den Mordkomplott verwickelt sein sollen.

Meine Lesart ist: Es handelt sich bei der Fallahian-Geschichte – bei dem Kurden-Attentat – um einen Betriebsunfall in der iranischen Außenpolitik. Der ist typisch für das System: Auf der einen Seite hat man eine bestimmte Orientierung, die man pragmatisch, rational zu gehen versucht. Aber durch die Multipolarität des Systems ist diese gerade Linie nicht durchzuhalten – sie wird immer wieder geknickt, durch querschießenden Kräfte, denen daran gelegen ist, diesen Kurs zu blockieren.

Gegen diese Lesart sprechen aber doch die Prognosen für die kommende Präsidentschaftswahl. Wahrscheinlich wird daraus Herr Nateq Nuri siegreich hervorgehen, und der ist alles andere als ein Reformer.

Heute würde ich keine Wette eingehen, wer die Wahlen gewinnt. Nateq Nuris großer Gegenkandidat Mohammed Chatemi hat eine enorme Zustimmung in der Öffentlichkeit. Wenn die Wahlen frei sind, wird das ein knappes Rennen werden. Chatemi ist durchaus zu den Liberalen zu zählen. 1992 nach den Parlamentswahlen wurde er wegen seiner Westverbindungen abgesetzt, als der konservative Flügel die Mehrheit im Parlament hatte. Es ist keineswegs gesagt, daß Nateq Nuri das Rennen machen wird – wenn die Wahlen wirklich frei sein werden.

Glauben Sie, daß die Wahlen frei sein werden?

Bisher sind noch alle Kandidaten im Rennen. Die erste Nagelprobe wäre, wenn der Wächterrat einen rauskegeln würde. Das wäre nach Lage der Dinge Herr Chatemi. Bisher sind die Wahlen frei, die Kandidaten sind frei, sich zu artikulieren.

Bei den Parlamentswahlen im vergangenen Frühjahr ist im zweiten Wahlgang in einigen Wahlkreisen im nachhinein das Ergebnis geändert worden, es war von massiver Manipulation die Rede.

Das kann jetzt auch passieren. Das will ich nicht ausschließen. Aber nehmen wir einmal an, Nateq Nuri würde Präsident: Er ist eine eher schwache politische Gestalt. Er wird keine Alternative haben, als die Politik der derzeitigen Regierung fortzuführen: eine Mischung von Öffnung und Bremsung, von ökonomischer Öffnung und Staatswirtschaft. Einen Rückfall in Chomeinis Radikalismus wird es mit Nateq Nuri nicht geben. Dazu ist er nicht der Mann, und dafür gibt es keine Mehrheit im Parlament, und das trägt auch die iranische Öffentlichkeit heute einfach nicht mehr mit.

Wie wird sich denn die innenpolitische Lage im Iran verändern? Seit klar ist, daß die Ära Rafsandschani zu Ende geht, hat sich die Menschenrechtslage noch verschlechtert. Nateq Nuri scheinen die Menschenrechte nicht besonders am Herz zu liegen.

Das stimmt genau. Aber was bedeutet das? Bedeutet das eine Position der Stärke – man verletzt die Menschenrechte, setzt die Intellektuellen unter Druck? Oder ist das schon der Abgesang, ist das eher eine Politik der Schwäche? Die Verhärtung der Position in Sachen Menschenrechte bis zu dem Fall des verhafteten Schriftstellers Faradsch Sarkuhi – der die Spitze darstellt – ist eine Reaktion auf eine Herausforderung durch eine liberalere Strömung, die im Wahlkampf 1996 ganz offen die Karten auf den Tisch gelegt hat. Das hat die andere Seite nicht akzeptiert. Die Entscheidung Nateq Nuri oder Chatemi wird in Sachen Menschenrechte wesentliches mitbestimmen. Sollte Nateq Nuri gewinnen, sehe ich weniger in den Bereichen Außen- und Wirtschaftspolitik eine Veränderung als vielmehr in der Fortsetzung eines harten innenpolitischen Kurses, der sich auch gegen Oppositionelle richtet, Schriftsteller, liberale Zeitungen usw. Sollte Chatemi gewinnen, sähe das anders aus.

Mit diesem Prinzip Hoffnung rechtfertigt das Bundesaußenministerium seit Jahr und Tag seine intensiven Kontakte zum Iran. Das dürfte sich mit dem Urteil im „Mykonos“-Prozeß kaum noch aufrechterhalten lassen.

Das Urteil bedeutet ja nicht, daß wir gezwungen sind, die Beziehungen zum Iran abzubrechen. Natürlich wird auch die Bundesregierung auf das Urteil reagieren müssen. Sollte nur der Name Fallahian genannt und von einem allgemeinen staatsterroristischen Hintergrund der Tat gesprochen werden, können wir das zwar nicht abtun, wir können aber damit leben. Die deutschen Reaktionen haben wir vor einem doppelten Hintergrund abzustufen.

Erstens macht die komplexe Situation im Iran es erforderlich, daß wir mit bestimmten Strömungen in Kontakt bleiben. Zweitens ist der Iran politisch von enormer Wichtigkeit für Deutschland. Deshalb können wir es uns einfach nicht erlauben, das Land zu isolieren, wie die Amerikaner das tun. Drittens würde ein Abbruch der Beziehungen der französischen und der italienischen Iranpolitik einen gewünschten Vorteil bringen. Beide Länder warten bereits darauf, in politische und ökonomische Lücken zu stoßen, die Deutschland hinterlassen würde. Viertens stellt sich die Frage, ob wir letztendlich den Amerikanern, die die Golfregion bereits zu neunzig Prozent in der Hand haben, das ganze Feld überlassen wollen. Der Iran ist das Tor in eine Region, in der Europa nach wie vor vitale Interessen hat. Wir sollten diese Region nicht den Amerikanern überlassen. Deshalb brauchen wir eine Unterfütterung der moderaten Positionen im Iran. Und dafür steht nicht England, nicht Frankreich, nicht die Europäische Union als Ganzes, sondern dafür steht Deutschland.

Das ist klassische Interessenpolitik.

Die Frage ist: Wollen wir einen Iran, der zur Stabilität in der Region beiträgt? Wenn wir uns zurückziehen, werden die Amerikaner einen Sieg errungen haben. Das wird zu einer Verstärkung des amerikanischen Drucks in der Region, auch im Iran führen. Das birgt die Gefahr, daß diejenigen Kräfte im Iran, die aus der Präsenz der Amerikaner ihre Legitimation für ihre radikale Politik gezogen haben, Oberwasser gewinnen.

Im Resümee ist der kritische Dialog nicht mehr als ein Kampf um Einflußspären.

Das ist ja per se nichs Unmoralisches. Die Stabilitätsinteressen Deutschlands in der Region sind nicht geringzuschätzen ...

Dafür zahlt der Außenminister denn auch den Preis, öffentlich gescholten zu werden.

Das ist der Preis. Doch hat der kritische Dialog auch einiges gebracht. Es ist der Versuch, ein System, das sich unter islamistischen Vorzeichen etabliert hat, in das internationale Normensystem einzubinden. Es ist nicht nur die Frage nach dem Umgang mit einer Großmacht, sondern auch die nach dem Umgang mit der islamischen Welt.

Was sind die greifbaren Erfolge dieses kritischen Dialogs? Das Kopfgeld für Salman Rushdie wurde erhöht, Schriftsteller wie Sarkuhi verschwinden ...

Das sind spektakuläre Einzelschicksale, die Teil des Systems sind, jedoch nicht das ganze System repräsentieren. Sarkuhi ist als Ausdruck des politischen Überlebenswillens von Fallahian zu interpretieren. Von dem „Mykonos“- Anschlag habe ich als einem Betriebsunfall gesprochen ...

Von diesen, wie Sie sagen, Betriebsunfällen gab es aber eine ganze Reihe.

Das stimmt. Zweifellos. Den Erfolg sehe ich darin, daß sich jemand im Präsidentschaftswahlkampf präsentiert, der zwar noch nicht die Vorstellung eines europäischen Liberalen erfüllt, aber das System öffnen will. Zu solchen Leuten brauchen wir die Nähe, damit die auf der politischen Bühne bestehen.

Sie raten Außenminister Kinkel, die bisherige Politik fortzusetzen?

Ja. Denn das „Mykonos“-Verfahren hat im Iran bereits einen enormen Effekt gehabt. Deutschland ist doch das einzige Land, das mit der gerichtlichen Bekämpfung des Terrors Ernst gemacht hat. Die Iraner werden es sich danach zwei-, dreimal überlegen, ob sie so etwas noch einmal machen.

Und wenn auch die Namen Rafsandschani und Chamenei in der Urteilsbegründung fallen?

Dann ist die Politik des kritischen Dialogs auf Eis zu legen. Dann läßt er sich ohne Gesichtsverlust nicht mehr führen. Allerdings werden womöglich die Iraner die Beziehungen dann abbrechen. Und das wäre schlecht für die deutschen Interessen.

Interview:

Dieter Rulff, Thomas Dreger