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„Zwanzigmal das kleine Einmaleins schreiben“

■ Friedhelm Meyer, Vorsitzender des Hauptschullehrerverbands, will, daß die Schüler wieder richtig pauken. Mathematik lehrt er mit einem Schulbuch aus dem Jahre 1949

taz: Brüten Schüler heute über den gleichen Mathe-Aufgaben wie vor zwanzig Jahren?

Friedhelm Meyer: Den Abschlußtest von vor 20 Jahren lege ich den Schülern erst gar nicht vor. Damals konnte ich noch Kugelberechnungen machen. Heute komme ich im Stoff bestenfalls soweit, daß ich sage: Diese Art von Geometrie gibt es auch noch.

Die Wirtschaft hat also recht, wenn sie sagt: Die Lehrstellenbewerber sind dümmer als früher?

Jugendliche können sich kaum noch konzentrieren, sie können einfach nicht zuhören. Oft habe ich das Gefühl, daß dies auch an einer allgemeinen Perspektivlosigkeit liegt: Jemand der weiß, daß er sowieso keine Lehrstelle für den Beruf bekommt, den er haben möchte, sieht im Lernen keinen Sinn mehr. Außerdem werden Jugendliche heute zu oft abgelenkt. Vor zwanzig Jahren standen keine Computer in den Kinderzimmern. Heute sitzen die Kinder davor, aber sie lernen nicht damit, sondern nutzen sie für alle möglichen Spiele.

Fühlen Sie sich als Lehrer überhaupt fähig, Schüler zu motivieren?

Ich stehe in Konkurrenz zum Fernsehen. Ich zaubere im Unterricht. Wenn die Konzentration nachläßt, lege ich ein Video ein. Die Schulbuchverlage behaupten, diese Videos würden zappelige Schüler besonders motivieren.

Und das klappt?

Eigentlich nicht. Deswegen gibt es bei mir in einer sehr unaufmerksamen Klasse nur eines: Pauken. Ich zwinge die Schüler, sich mit Mathematik zu beschäftigen, auch wenn ich sie zwanzigmal das kleine Einmaleins schreiben lasse. Wenn sie faul sind, bin auch ich faul und lasse sie pauken. Wenn sie sich Mühe geben, suche ich interessante Aufgaben. Aber nicht aus einem Schulbuch von heute.

Sondern?

Ich benutze ein Mathematikbuch aus dem Jahr 1949, denn es ist nicht so oberflächlich wie die heutigen. In denen wird vieles angerissen, aber nicht vertieft.

Müssen Schüler heute nicht viel mehr Stoff als früher lernen?

Heute wird alles aufgepfropft. Aber bei der Konzentration der Kinder sind vier Stunden Rechnen in der Woche zu wenig. Um die Grundfertigkeiten zu vertiefen, müßten andere Unterrichtseinheiten gekürzt werden.

Die Hauptschule soll also nur noch Grundqualifikationen vermitteln?

Sie sollte sich darauf konzentrieren, zu lehren, wie man lernt. Danach muß sich jeder selbst in den Bereichen weiterbilden, die für seinen Beruf wichtig sind. Wir müssen aufhören, Schüler mit Dingen zu überfrachten, die sie später nicht brauchen. Interview: Annette Rogalla

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