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Notstand ist immer

■ Jürgen Seifert, vor 30 Jahren Vorkämpfer gegen die Notstandsgesetze, über die Chancen, sie mit einem Kanzler Schröder wieder abzuschaffen

Seifert war Vorsitzender der Humanistischen Union und Berater des SPD-Gewerkschaftsflügels.

taz: Vor 30 Jahren gingen die 68er gegen die Notstandsgesetze auf die Straße. Heute sitzen die DemonstrantInnen von einst in Parlamenten und ab Herbst vielleicht sogar in einem rot-grünen Bundeskabinett. Ist jetzt die Zeit gekommen, die Notstandsgesetze wieder abzuschaffen?

Jürgen Seifert: In der Tat! Nur so einfach ist das leider nicht. Für die Aufhebung der Verfassungsbestimmungen, etwa die Zulässigkeit von Bundeswehreinsätzen, ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Diese gibt es nicht oder müßte mit bösen Zugeständnissen an die Union erkauft werden. Ohne weiteres wären nur die einfachen Notstandsgesetze zu streichen, mit denen im Ernstfall alles mögliche „sichergestellt“ werden soll. Viele dieser Gesetze sind so unnütz wie der Regierungsbunker in der Eifel. Rot- Grün könnte hier mit einfacher Mehrheit entrümpeln.

Würde die SPD unter Gerhard Schröder bei so etwas mitmachen?

Ich glaube, das könnte er gut als Initiative für den „schlanken Staat“ verkaufen. Diese ständige Planung des Ernstfalls verursacht nur Bürokratie. Beim Zivilschutzbau haben ja die sozial-liberale und auch die Kohl-Regierung schon einiges gestrichen.

Was ist mit der Telefonüberwachung, die wurde ja auch im Zuge der Nostandsgesetze ermöglicht?

Hier besteht dringend Reformbedarf. Die Bestimmungen und ihre Anwendung sind völlig ausgeufert. Erforderlich sind bessere Richterkontrollen, die regelmäßige Überprüfung im Einzelfall sowie strenge Berichtspflichten.

Ende der 60er Jahre wurde die Verabschiedung der Notstandsgesetze von KritikerInnen als „Griff nach der Diktatur“ angesehen. So schlimm ist es nicht gekommen...

...weil den Notstandsgesetzen die größten Giftzähne schon vor der Verabschiedung gezogen wurden. Ursprünglich wollte die Regierung ein Notverordnungsrecht haben, wie einst der Reichspräsident in der Weimarer Republik. Die Regierung hätte dann bei Bedarf ganz ohne das Parlament regieren können. „Der Notstand ist die Stunde der Exekutive“ hieß es damals. Durchgesetzt wurde aber ein Gemeinsamer Ausschuß aus Bundestag und Bundesrat, der im Notstand die Entscheidungen fällt – auch die Entscheidung über den Eintritt des Verteidigungsfalles.

Worin lag die Stärke der damaligen Bewegung?

Der Sternmarsch auf Bonn, bei dem 1968 rund 70.000 Menschen gegen die Notstandsgesetze demonstrierten, war für damalige Verhältnisse etwas ganz Ungeheures. Das war die bis dahin größte Demonstration in Deutschland, zu der die Leute auf eigene Initiative und auf eigene Kosten kamen. Das war der Beginn einer neuen politischen Kultur. Und das parallele Engagement der Gewerkschaften konnte wirkungsvoll Druck auf die SPD ausüben, die ja ab 1966 mit der CDU in der Regierung saß.

Damals schien aber klar: Wenn es Notstandsbefugnisse gibt, werden sie früher oder später auch benutzt. Dabei wurde über den Einsatz der Bundeswehr nicht mal im RAF-Herbst 1977 diskutiert...

Insofern waren die Notstandsgesetze eher Relikt des Kalten Krieges, das nun eben in der Verfassung stand. Schon kurz nach dem Regierungsantritt von Brandt wurde „Innerer Notstand“ als Focus ja auch von „Innerer Sicherheit“ abgelöst. Nun ging es vor allem um Modernisierung und Aufrüstung der Polizei. Da brauchte man die Bundeswehr nur als Reserve. Und rechtlich hat die Polizei heute so viel Befugnisse, daß man fast schon von einem permanenten Notstand sprechen kann. Interview: Christian Rath

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