: Trinkinitiativen
■ Die Standortfrage im Bierkrieg
Bis 1848 hatte der Branntwein nach und nach das damals noch obergärige Bier verdrängt. In der langsam erstarkenden Arbeiterbewegung begann man gegen die „Schnapshöllen“ zu agitieren. Auf Druck der Basis wurde dafür von den Gewerkschaften das Bier zur gesunden Volksnahrung aufgewertet – in der untergärigen (tschechischen) Brauart jedoch: „aechtes Bier“ genannt. In Berlin entstanden die ersten Bierschwemmen. Das Gartenlokal Tivoli auf dem Kreuzberg wurde zu einem Ort für Massenveranstaltungen.
1813, nach der Schlacht bei Großbeeren eröffnet, war daraus zunächst, um das neue Schinkelsche Kriegsdenkmal herum, ein Vergnügungspark für die gebildeten Stände entstanden: Neben einem Bierausschank gab es dort zweisitzige Wägelchen, mit denen man den Abhang hinuntersausen konnte. Dem preußischen Philosophen Hegel, der am Kreuzberg ein Haus besaß und sich oft im Tivoli schwäbisch vergnügte, soll auf der „Kreisfahrbahn“ angeblich sogar sein bis heute leuchtendes spiralistisch-fortschrittliches Geschichtsbild eingefallen sein. 1868 fand dort die erste Massendemonstration statt: gegen den Mietwucher. 1875 sprach August Bebel dort. 1877 feierten nach einem Wahlsieg der SPD 22.000 Menschen auf dem Kreuzberg und sangen die Marseillaise.
Diese Politisierung des Berges machte den Ort auch für die Rechten attraktiv: 1892 verabschiedeten die Deutsch-Konservativen dort ihr agrarisch-antisemitisches „Tivoli-Programm“. Inzwischen hatte die Schultheiss-Brauerei die Bierproduktion auf dem Kreuzberg übernommen: Neben Prämien und übertariflicher Entlohnung bot das Unternehmen seinen Arbeitern einen kostenlosen „Haustrunk“. Als die Abstinenzbewegung wieder Tritt zu fassen begann und nun auch gegen die gesunde Volksnahrung vorging, gründete Schultheiss mit anderen Bierhändlern zusammen einen „Schutzbund“, dieser wurde von der SPD-Führung heimlich unterstützt. Viele in der Arbeiterbewegung wegen ihrer Aktivitäten arbeitslos gewordene „Aufwiegler“ waren unterdes Wirte geworden. Sie zogen die früheren Arbeitskollegen in ihre Kneipen, die deswegen von Karl Kautsky auch als „Bollwerke des Proletariats“ gepriesen wurden.
In den Berliner Gewerkschaftshäusern machte man dennoch die bittere Erfahrung: Immer wenn die Funktionäre die darin eingerichteten Schankbetriebe selber bewirtschafteten, ging das Geschäft den Bach runter. Als Aufsteiger wollten sie die Trunksucht ihrer Gäste stets auf allzu „vernünftiges Maß“ bringen. Wenn sie ihre Gewerkschaftskneipen dagegen an Arbeitslose verpachteten, brummte der Laden. Allerdings wurde es oft laut, und manchesmal startete man auch direkt von dort aus nachts Aktionen gegen den Klassenfeind, was einige Gewerkschaftskneipen schwer in Verruf brachte. Im Wedding war insbesondere der „Schwedenkeller“ berüchtigt: Dort trafen sich die „Männer der Faust“ – um Erich Mielke. In der „Bärenquelle“, am Ende der Oranienburger Straße, agitierte das kommunistische Ehepaar Coppi Bauarbeiter, darauf weist seit 1975 ein Schild hin (ihr Sohn könnte dort heute wieder Bauarbeiter aufwiegeln – vornehmlich irische).
Doch ich habe vorgegriffen. Mit dem Ersten Weltkrieg löste sich die „Alkoholfrage“ wie von selbst: Erst 1925 wurden die Produktionsbeschränkungen aufgehoben und das Bier wieder mit vier Prozent Alkohol ausgeschenkt. 1935 wurde die Schultheiss-Brauerei auf dem Kreuzberg zum „NS-Musterbetrieb“ erklärt, im Krieg hielt dort der „Reichstrunkenbold“ Robert Ley, als Leiter der Arbeitsfront, eine Durchhalterede – und sicherte weitere Fremdarbeiterkontingente zu. 1949 produzierte der Betrieb erstmalig wieder in „Friedensqualität“. Der Direktor ließ die Restauration zu seiner Dienstvilla umbauen.
Nachdem Schultheiss zügig den Westberliner Biermarkt „bereinigt“ hatte, erwarb der Dortmunder Konzern Brau und Brunnen, zu dem Schultheiss seit 1972 gehört, mit der Wiedervereinigung auch noch eine Ostberliner Brauerei, woraufhin die Produktion auf dem Kreuzberg eingestellt wurde. Man will dort jetzt eine „Erlebnisgastronomie“ einrichten. Die letzten Arbeiter machten sich indes mit einigen ihrer Erfindungen und den Abfindungen sowie Senatsunterstützung in einem „Arbeitsförderbetrieb“ selbständig. Keiner eröffnete eine Kneipe. Im Gegensatz zu vielen arbeitslos gewordenen Ostberlinern, die dafür Existenzgründerdarlehen und Bankkredite in Anspruch nahmen. Nicht selten verbumfiedelten sie damit bloß ihre gemütlich-heruntergekommenen Eckkneipen. In dem neuen, teuren Spießer-„Ambiente“ fühlten sich jedoch die Karrieristen nicht wohl, erst recht nicht die Arbeitslosen – und die Arbeiter wurden seit der Wende immer weniger. Dementsprechend findet derzeit in Berlin und Brandenburg ein bereits allseits besorgniserregendes Kneipensterben statt. Die Banken sind schon derart verunsichert, daß gerade das früher verpönte proletarische Verhandlungsgeschick bei ihnen immer öfter zum Erfolg führt: Wenn der Wirt nur ordentlich genug droht („Ich schmeiße alles hin!“), wird der Vertrag zu seinen Gunsten neu aufgenommen.
Auf der anderen Seite der Theke werden jedoch meist keine militanten Aktionen mehr geplant, sondern nur noch kleinere Verbrechen und Schwarzarbeiten durchdiskutiert. Schon kommt eine aufwendige wissenschaftliche Untersuchung zu dem Ergebnis, daß Arbeitslose, die Kneipen besuchen, meist mehr Initiative entfalten als solche, die zu Hause hängen und sich bis zum Erbrechen Sat.1 oder Pornos reinziehen. Eigentlich logisch. Helmut Höge
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