■ Schröder und die Atomindustrie einigen sich beim Atomausstieg: Wo ist Minister Trittin?
Wenn das stimmt, dürften einige ziemlich überrascht sein: Kanzler Schröder und die Chefs der vier großen Stromkonzerne haben sich über das Ende der Atomkraft geeinigt, meldet der Spiegel. Zwei Reaktoren werden schnell abgeschaltet, der Rest darf noch maximal 20 Jahre weiterlaufen. Im Gegenzug werden die Energieriesen auf langwierige Prozesse gegen die Bundesregierung verzichten. Sowohl seitens der SPD als auch der Konzernzentralen hieß es gestern, die Sache sei noch lange nicht endgültig beschlossen. Aber die Grundlage für alles, was an Details noch verhandelt werden mag, scheint geschaffen zu sein. Und das ist auf jeden Fall eine Brüskierung der Grünen. Denn sie wurden offenbar noch nicht einmal gefragt.
Von Anfang an war klar, daß sich im Zweifel die mächtigen Fraktionen innerhalb der Sozialdemokratie auf die Seite der Stromindustrie schlagen würden. Zu eng sind die traditionellen Verbindungen der Sozialdemokraten mit Konzernen wie RWE, VEW oder PreussenElektra. Konsensgespräche unter Rot-Grün wären also immer entlang der Front Grün gegen den Rest verlaufen. Und die im Spiegel vermeldeten Restlaufzeiten wären ein typischer Kompromiß nach Art der SPD und als solcher nach einiger Zeit wohl eh herausgekommen.
Aber Schröder will anscheinend mehr als einen möglichst reibungslosen Verhandlungsverlauf bei einer milliardenschweren Sachfrage. Hier läßt sich vielmehr hervorragend zeigen, daß er der Chef und Macher im Lande ist. Nicht der Finanzminister Lafontaine und schon gar nicht Umweltminister Trittin aus einer kleinen Mitregierungspartei. Und den Grünen gleich am Anfang den Schneid abzukaufen kann für spätere Konflikte nur nützlich sein. Da wird das neue Atomgesetz aus dem Haus Trittin einfach einkassiert und ein Treffen – so wie es nun aussieht, sogar das wichtigste – mit der Industrie ohne den zuständigen bündnisgrünen Minister vereinbart.
Die Grünen können dabei nur schlecht dastehen: Mehr als die Faust in der Tasche ballen können sie nicht. Sollten sie etwa noch vor Ablauf der Hundert- Tage-Frist die Koalition platzen lassen, auch wenn es um eines ihrer Leib-und-Magen-Themen geht? Das läßt sich niemandem als Erfolg verkaufen. Aber vielleicht ist es ja auch nur ein Possenspiel: Trittin war eingeweiht, wird nun empört nachverhandeln und dann als rauschender Sieger der Atomindustrie noch entscheidende Änderungen im anvisierten Konsens abringen. Herr Minister, wir hoffen aufs Drehbuch! Reiner Metzger
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