: Geschmacksfragen
Mythos und Alltag: Die Ausstellung „GENUSSmittelKULTUR“ gibt im großen Stil Auskunft über Gewürze, Rauchwaren, Naschwerk und Alkoholika ■ Von Karen Schulz
Über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten. Kulinarische Vorlieben und Abneigungen treffen die unwahrscheinlichsten Objekte – egal, ob es sich um hochverfeinerte Genüsse wie rohe Austern dreht oder um einen pappigen Fast-Food-Burger. Um so merkwürdiger also die Tatsache, daß es eine Reihe von allgemein akzeptierten Genußmitteln gibt, deren Konsum offensichtlich nicht allzu viel mit dem Geschmack zu tun hat: Denn vorrangiges Merkmal von Genußmitteln wie Kaffee, Tee, Alkoholika oder Tabak ist die Tatsache, daß sie im Grunde gar nicht schmecken – oder zumindest sehr extreme Geschmackssensationen auslösen, die eine der vier Hauptgeschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter überbetonen.
Wenn es nicht der Geschmack ist, was hat diese Stoffe dann zum festen Bestandteil unserer Alltagskultur gemacht? Unter anderem ihre Geschichte: Die meisten der Genußmittel wurden anfänglich aus entfernten Ländern im asiatischen Raum nach Europa importiert und entwickelten sich aufgrund der immensen Preise zum Statussymbol der Aristokraten und später des reichen Bürgertums. Gewürze, insbesondere der Pfeffer, dienten zeitweise sogar als Zahlungsmittel und wurden ähnlich wertgeschätzt wie Edelmetalle.
Doch dieser Raritätencharakter allein macht die Genußmittel nicht zum Objekt der Begierde: Der Konsum beruht auch auf der physiologischen Wirkung von Stoffen wie Kaffee, Schokolade, Alkohol, Cannabis oder Opiaten. Schon vor Jahrhunderten wurden die Genußmittel medizinisch untersucht und wegen ihrer belebenden, schmerzstillenden oder lebensverlängernden Wirkung ärztlich empfohlen – wurden aufgrund ihrer rauschhaften Wirkung aber auch immer wieder staatlicherseits verboten.
Ein Hauptgrund für die Bedeutung der Genußmittel und ihre Verbote mag in den vielfältigen Mythen und Legenden liegen. Die sind kaum noch von dem Objekt zu trennen. So spielen sie in der heutigen Gesellschaft als Initiationsriten eine wichtige Rolle im Prozeß des Erwachsenwerdens: Die erste Zigarette in einer versteckten Schulhofecke mag zwar nicht wirklich schmecken, aber sie macht unglaublich cool. Mädchen im Teenageralter laden sich gegenseitig zum (Wildkirsch-)Tee ein und definieren so einen abgegrenzten Kreis der Intimität. Der erste Vollrausch deutet den Anfang des Teenagertums ebenso an wie das ritualisierte Bauen eines Joints dessen Ende. Und die erste, wirklich gern getrunkene Tasse Kaffee (möglichst schwarz und bitter) zeigt, daß man in den Kreis der arbeitenden Menschheit aufgenommen ist – welcher Arbeitsplatz kommt heute schon noch ohne Kaffeemaschine aus?
Diese Mythologisierung ist ein offener Prozeß, zu dem immer wieder auch Abhandlungen wie etwa Wolfgang Schivelbuschs lesenswerte Geschichte der Genußmittel Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft beitragen. Indem sie nämlich die Mythen zu erklären suchen, verlängern sie sie gleichzeitig.
Eine wissenschaftlich verifizierbare Geschichte der Genußmittel hingegen will die Ausstellung GENUSSmittelKULTUR bieten (siehe auch taz hamburg von gestern). Von den Pflanzen ausgehend werden hier alle Aspekte der Genußmittel dargestellt – von den Kolonialwaren wie Kaffee, Tee und Kakao über die Rauchwaren Tabak, Cannabis und Opiate sowie Alkohol in Form von Spirituosen, Wein und Bier bis hin zu den Geschmacksträgern Honig, Zucker und Gewürze. Dazu gehören Kultivierung, Verarbeitung und die jeweilige Genußform ebenso wie die kulturhistorische Darstellung der Verquickung von Natur- und Kulturprodukt.
Die Ausstellung selbst wird den Genuß durch Duft- und Geschmacksproben ebenso erfahrbar machen wie die vielfältigen Events, die das engagierte Projekt des Studienganges Volkskunde der Hamburger Uni bis Ende Juni einrahmen. Themen-Menüs, Kochkurse, Lesungen, Filme, Spaziergänge und Vorträge werden im Wochenturnus die einzelnen Genußmittel von allen Seiten beleuchten – das beginnt beim Honig und wird in diesem Monat außerdem Zucker und Kakao ins Zentrum des Genusses heben.
„GENUSSmittelKULTUR“: Eröffnung der Ausstellung: heute, 19.30 Uhr, Speicherstadtmuseum, St. Annenufer 2 (im Anschluß gibt es einen Shuttle-Service zur Party im ehemaligen Tonwerk, Heidenkampsweg 32). Info-Hotline unter Tel.: 32 11 91. Die Ausstellung ist bis zum 30. Juni dienstags bis sonntags zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet; das üppige Programm kann dem Veranstaltungskalender der taz hamburg entnommen oder im Internet unter www.rrz.uni-hamburg.de/GENUSSmittelKULTUR abgerufen werden.
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