: „In höchstem Maß kritikwürdig“
■ Die taz dokumentiert den Jahresbericht der Rechtsberatung in Bremer Abschiebehaft und die Schwierigkeit des Vereins im Umgang mit Behörden
Der Verein für Rechtshilfe im Justizvollzug legte mit dem Jahresbericht 1998 jetzt eine ausführliche Bilanz seiner Arbeit vor. Die taz dokumentiert auszugsweise, mit welchen Widrigkeiten ehrenamtliche RechtsberaterInnen sich konfrontiert sahen, deren erklärtes Ziel es ist, „juristisch und politisch dagegen anzugehen, wie hier mit Menschen umgegangen wird, deren einziges 'Verbrechen' darin besteht, in Deutschland leben zu wollen.“ Vorweg das Fazit der Berichtenden: „Die Vollzugspraxis der Abschiebungshaft ist in höchstem Maß kritikwürdig.“
Der Verein, der auch Häftlinge im Regelvollzug berät, begann seine Arbeit 1996 unter Schwierigkeiten. In einem Schreiben an Polizeipräsident Lüken bat er „um regelmäßigen Zugang (...) sowie um Bereitstellung eines Raumes“. Drei Jahre später war dieser Wunsch noch nicht erfüllt. Die Polizei sagt dazu: „... Personen, die sich im Abschiebegewahrsam befinden, werden anwaltlich vertreten, so daß eine individuelle Rechtsberatung stattfindet. Darüber hinaus besteht bei den von den Mitarbeitern des Stadtamtes geführten Gesprächen unter steter Beteiligung eines Dolmetschers jederzeit die Möglichkeit, sich über die jeweiligen persönlichen Situationen beraten zu lassen.“
Kommentar des Vereins: „Diese Argumentation, mit der die Rechtsberatung für überflüssig erklärt wurde, war (...) in sich unschlüssig und widersprach auch unseren Erfahrungen, wonach sehr viele Gefangene in A-Haft nicht anwaltlich vertreten waren. Der Hinweis, sie könnten sich von der Gegenseite (Stadtamt, d. Red.) beraten lassen, konnte uns erst recht nicht von der Unsinnigkeit einer unabhängigen Rechtsberatung überzeugen. Auch wollten wir keine Besuchszeiten durch unsere Anwesenheit verkürzen“ – wie die Polizei anbot: „Besuchszeiten werden zwar von Personen, die Abschiebehäftlingen nahestehen, in der Regel ausgenutzt, es ergeben sich aber immer wieder Gelegenheiten, nicht genutzte Zeiten zu übernehmen. Dazu biete ich an, täglich gegen 14 Uhr das Polizeigewahrsam anzurufen.“ (...) Unter anderem diese „behördlichen Behinderungen“ führten dazu, daß „die Rechtsberatung nicht regelmäßig sondern sporadisch stattfindet. (...) Umso erschreckender sind aber die im folgenden beschriebenen Ereignisse“, die Mitglieder des Vereins zusammengetragen haben.
„Aus einem „Käfig“, in dem sich die Abschiebungsgefangenen während des Hofgangs aufhalten, wurde mir zugerufen, ein gerade eingetroffener Sierra Leoni benötige dringend Hilfe. Schließlich glaubte ich zu verstehen, daß er einen Asylantrag gestellt hatte, über den aber noch nicht entschieden sei. Weil in solchen Fällen Abschiebehaft absolut unzulässig ist, durchschaute ich die Situation nicht sofort. Auf die Möglichkeit, daß hier einer der wenigen Flüchtlinge, die Deutschland erreichen, ohne einen sogenannten Drittstaat zu passieren, zurückgewiesen werden sollte, und ihm dabei rechtswidrig ein Asylverfahren verweigert wurde, bin ich nicht sofort gekommen. Dies erschien mir allzu ungeheuerlich, zumal er offensichtlich politisches Asyl suchte und sich selbst bereits im Asylverfahren wähnte.“ Der Verein konnte dem Mann, der als Blinder Passagier in Deutschland angekommen war, nicht helfen: „Ein in letzter Minute eingeschalteter Anwalt konnte dem Sierra Leoni nicht mehr zu seinem Recht auf ein Asylverfahren verhelfen.“ Nach Ansicht der BeraterInnen ist die Zahl vergleichbarer Fälle unbekannt.
„Zuerst und vor allem besteht das Problem darin, daß Menschen, deren baldige Abreise in ein fernes Land bevorsteht, der Zugang zu rechtlichen Verfahren und Garantien verwehrt wird“, so der Bericht. „Dies zeigen Fälle, in denen Abschiebungsgefangene tatsächlich oder beinahe ohne ihr Gepäck abgeschoben wurden. Obwohl das Problem mittlerweile hinreichend bekannt ist, passiert immer wieder, daß die Sachen nicht abgeholt werden, bevor ihr Eigentümer zum Flugzeug gebracht wird. Wie beim erfolglosen Asylbegehren im Hafen können die Behörden auch hier davon ausgehen, daß rechtliche Schritte, etwa aus dem fernen Afrika, unwahrscheinlich sind.“
Zur Situation von Frauen, die im selben Gebäude wie Männer wohnen und sich mit ihnen einen Aufenthaltsraum teilen, wird folgendes angemerkt: „Bedienstete bringen immer wieder zum Ausdruck, daß sie die Frauen ohnehin pauschal für Prostituierte halten.“ (...) Auch sei die Situation von Müttern bedenklich. Mehrere Fälle werden aufgezeigt, in denen Frauen von Kleinkindern getrennt wurden.„Im ersten der bekannt gewordenen Fälle wurde eine (zudem schwangere) Rumänin, die ihr einjähriges Kind noch stillte, zunächst mit diesem inhaftiert. Am nächsten Tag wurde ihr das Kind weggenommen, ohne daß sie wußte, wohin es gebracht wurde. Es kam in ein Kinderheim. (...) Immerhin sicherte unter dem Eindruck dieses Vorkommnisses der Staatsrat von Bock und Polach zu, daß sich dergleichen nicht wiederholen werde, vielmehr Mütter von ihren Kindern in Zukunft nicht mehr getrennt, aber die Kinder auch nicht mehr mit ihnen gemeinsam inhaftiert würden. Kurz danach kam es allerdings zu zwei weiteren Fällen. Da aber auch auf die Zusagen eines zuständigen Staatsrats offensichtlich kein Verlaß ist, könnten sich solche Fälle wiederholen.“
Auf vier Seiten widmet sich der Bericht den Beschwerdemöglichkeiten von Häftlingen. Fazit: „In der Abschiebungshaft ist die Situation noch um ein Vielfaches bedenklicher (als im Regelvollzug, Anm. d. Red.), und zwar nicht nur, weil sich mangels Kenntnis der deutschen Sprache und des deutschen Behördenaufbaus die Erfolgsaussichten erheblich reduzieren, sondern darüberhinaus aus rechtlichen Gründen. Für den Vollzug der Abschiebungshaft gibt es keine rechtliche Grundlage, und daher ist auch der Rechtsweg, den Gefangene im Falle einer Beschwerde über Haftbedingungen und einzelne Maßnahmen zu beschreiten hätten, nicht ohne weiteres ersichtlich. Auch die ergänzende Polizeigewahrsamsordnung enthält darüber keine Auskünfte.“ Unklar sei auch, welches Gericht für welche Beschwerden zuständig sei. „Dann aber haben die Häftlinge praktisch keine Chance, das Richtige zu tun“.
Die Folgen seien niederschmetternd, so die Rechtsberatung. Ihr sei bekannt, daß der Ausländerbeauftragten 1996 verschiedene Gefangenenbeschwerden zugeleitet wurden, auf die bis heute in keiner Weise reagiert wurde. Auch andere Stellen scheinen abzuwarten, bis sich die Probleme durch Abschiebung der Beschwerdestellenden von alleine „erledigen“. Deshalb wählte der Verein den Weg der Strafanzeige, nachdem zwei Algerier von Mißhandlung berichteten. Aber einer der beiden Männer sei „überraschend schnell abgeschoben und zuvor nicht zum Vorfall gehört worden.“ (...) Auch der andere Algerier wurde vor seiner Abschiebung nicht mehr zum Vorfall gehört. Der beschuldigte Beamte wurde im Januar dieses Jahres dennoch verurteilt – im Zusammenhang mit Übergriffen auf Häftlinge im Regelvollzug. Dieses Verfahren konnte stattfinden, weil der Betroffene ein Deutscher war und daher noch viele Monate nach dem Vorfall für eine Aussage zur Verfügung stand.“
Der Bericht ist über die Universität Bremen, Strafvollzugsarchiv, Postfach, 28334 Bremen, kostenlos erhältlich.
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