: Wie komm' ich in den Himmel?
Durch den Glauben, sagen die Protestanten. Erst durch gute Taten zum Beweis des Glaubens, sagen die Katholiken. Diese Frage führte zur Kirchenspaltung – seit Luther. Dieser Grundsatzstreit wird am Sonntag, am Reformationstag, beigelegt ■ Von Jan Feddersen und Philipp Gessler
Nach heutigem Wissensstand ist falsch, was Jugendlichen im Konfirmandenunterricht erzählt wird: Dass ein Mönch namens Martin Luther am 31. Oktober 1517 in einer Art Fanal 95 Thesen an die Türen der Schlosskirche von Wittenberg nagelte. Vordergründig kritisierte der Vorkämpfer der christlichen Reformation den Ablasshandel seiner Kirche, also Korruption und mafiotische Zustände rund um die moralisch tonangebende Institution jenes Jahrhunderts. In Wirklichkeit hat Luther seine Thesen schon kurz zuvor in zwei Briefen an die Bischöfe seines Vertrauens niedergeschrieben – nur hat niemand den brisanten Inhalt der Kritik am Klerus so recht bemerken wollen. Die Kommunikationswege waren damals eben träger.
Tatsächlich begründete Luther damals das größte Schisma der christlichen Bewegung seit der Geburt Jesus Christus. Die Papstkirche lehrte: Um in den Himmel zu kommen, müsse der Mensch nicht nur tüchtig glauben, sondern auch viele gute Werke tun, im Zweifelsfall auch in finanzieller Hinsicht. Luther hingegen hasste die seelenbankrotte Kultur der prallen Opferstöcke und verwies auf den Apostel Paulus, nach dem der Glaube allein selig mache. Frömmigkeit sei nur im individuellen Zwiegespräch mit dem Herrn und Schöpfer zu erlangen.
Luther wurde daraufhin zunächst als Ketzer, später als Abtrünniger, seine Jünger als Ungläubige und Nichtchristen verfolgt. Jahrhunderte von Religionskriegen folgten. Dieses strenge und finale Urteil wird nun in der „Gemeinsamen Erklärung“, die in einer feierlichen Zeremonie am Sonntag in Augsburg, dem letzten Reformationstag vor der Jahrtausendwende, zurückgenommen.
Eine Fusion, sozusagen eine Konzernvereinigung beider Kirchen, ist damit allerdings nicht eingeläutet – und das soll auch nie der Fall sein, geht es nach den Erklärungen von hunderten von Theologen. Die entscheidende theologische Differenz könne auch durch ein Papier wie dieses mit dem römischen Klerus nicht aus der Welt geschafft werden. Tatsächlich mahnen die Religionswissenschaftler nur an, was die Federführenden des Papiers, Kardinal Edward Cassidy von katholischer Seite sowie Bischof Christian Krause von Seiten der Protestanten, nicht bestreiten: Römische und lutheranische Glaubensverständnisse sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Immerhin haben die Autoren versucht, das Gemeinsame zu bestimmen. Und das ist nicht wenig. Festgeschrieben ist nun, dass tatsächlich die Gnade Gottes das Entscheidende für den Weg ins Himmelreich ist.
Die Verve des Protestes der evangelischen Theologen erinnert ein wenig an den Widerstand vieler Sozialdemokraten gegen ein gemeinsames Papier von SPD und SED. Damals, 1987, war es die Angst – gespeist aus Erfahrung –, dass die SED-Verhandlungsführer, bei aller Milde im Ton, doch nur wieder die Sozialdemokraten mehr oder weniger stalinoid absorbieren wollen. Heute fürchten evangelische Theologen, dass die für ihre Ketzerverfolgungspraktiken historisch berüchtigte römisch-katholische Kirche auf einen ähnlichen Schmuse- und Reintegrationskurs mit langem Atem setzt. Denn trotz der Einigung :Wesentliche Streitpunkte bleiben. So betonen Katholiken, dass jeder Priester eine Weihe brauche, während bei Protestanten das allgemeine Priesteramt allen Gemeindemitglieder offen stehen kann. Uneinigkeit besteht weiter darin, ob Frauen priesterliche Aufgaben am Altar wahrnehmen dürfen. Während die Protestanten dies bejahen, ist es für den Vatikan ganz und gar Frevel. Umstritten bleibt auch, was beim Abendmahl passiert: Während die Katholiken hervorheben, hier wandle sich tatsächlich Brot und Wein in Leib und Blut Christi, gibt es keine derartige „Wandlung“ im Protestantismus – beim Abendmahl werde vor allem die Gemeinschaft, eben durch gemeinsames Essen und Trinken, gefeiert.
Schließlich sehen die Katholiken in der Ehe ein heiliges Sakrament, das auch noch im Himmelreich bindet, während die Protestanten im Eheband ein, nach Luther, „weltlich Ding“ sehen – deswegen ist für sie auch eine Homo-Ehe, rein theologisch betrachtet, nicht undenkbar.
Welche Folgen wird dieses Papier nun haben? Die Gegner unken, für die praktische Ökumene ändere sich nichts, die Einigung sei oberflächlich, kirchenrechtlich dubios (keine Instanz der Kirchenbasis hat ihr zugestimmt), es drohe gar die Eingliederung der evangelischen Kirche in die römische Hierarchie. Zudem sei das Papier für die katholische Kirche ein Ereignis dritter oder vierter Klasse, der Text alles andere als ein theologisches Meisterwerk. Konservative Katholiken warnen, man nähere sich der „Protestantisierung“ der römisch-katholischen Kirche. Das sei einer „allein selig machenden Kirche“, wie sich der Katholizismus versteht, unwürdig.
Kritische Stimmen aber sind in beiden Kirchen in der Minderheit. Positiv bleibt, dass die Hauptursache der Kirchenspaltung praktisch aus dem Weg geräumt wurde. Der katholische Klerus hat erstmals einen Ökumenetext förmlich akzeptiert – man verhandelt jetzt von gleich zu gleich. Oder wie die Bischöfin Margot Käßmann hervorhebt: Glaubenskriege wie in Nordirland werden es in der Begründung schwieriger haben.
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